Sahra Wagenknecht, Parteivorsitzende des BSW, kann zuversichtlich auf die Landtagswahlen im Osten blicken. © dpa
Berlin – Aus dem Stand bundesweit 6,2 Prozent: Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) hat in seinem ersten Test bei der Europawahl einen beachtlichen Erfolg eingefahren. „Wir werden die Politik in Deutschland verändern“, rief Wagenknecht am Sonntagabend vor jubelnden Anhängern in Berlin. Davon ist die kleine Partei zwar noch weit entfernt. Doch könnte das BSW das politische Gefüge in Wallung bringen.
Da die Wagenknecht-Partei in Ostdeutschland besonders viel Anklang findet, könnte sie bei den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg im September ein Machtfaktor werden und dort erstmals Koalitionen testen. Der nächste Halt ist dann die Bundestagswahl. Wagenknecht punktet zulasten der AfD – vor allem aber ihrer früheren Partei Die Linke, die sie im Oktober im Streit verließ. Die kämpft nun nach einem Europaergebnis von 2,7 Prozent ernsthaft ums Überleben.
„Das BSW hat eine Leerstelle besetzt: eine links gerichtete Sozialpolitik und eine rechts gerichtete gesellschaftliche Politik“, sagt der Potsdamer Politikwissenschaftler Jan Philipp Thomeczek. Zum Beispiel streitet das BSW für höhere Renten und mehr Mindestlohn, bremst aber beim Klimaschutz und der Aufnahme von Geflüchteten. Für Deutschland ist diese Mischung neu. Hinzu komme der populistische Ansatz, sagt Thomeczek – Wagenknechts Rhetorik als vermeintliche Anwältin der kleinen Leute gegen „die da oben“. In Ostdeutschland kommt das gut an: Hochrechnungen zufolge kam das BSW dort auf mehr als 13 Prozent der Stimmen.
Beispiellos ist aus Sicht des Forschers aber die Personalisierung. „Sahra Wagenknecht kennt jeder, das ist wirklich ungewöhnlich“, sagt Thomeczek. „Sie polarisiert, sie hat viele Kritiker, aber eben auch viele Fans.“ Andere BSW-Spitzenkräfte, darunter die Co-Vorsitzende Amira Mohamed Ali, verblassen hinter ihr. Die Gefahr: Ohne Wagenknecht werde es die Partei „keinesfalls in den Bundestag schaffen“.
Nichts mobilisierte im BSW-Wahlkampf so wie das Thema Krieg und Frieden. Wagenknecht fordert Verhandlungen mit Russland, warnt vor Waffenlieferungen an die Ukraine, streut Zweifel an USA und Nato. Wer nicht AfD wählen will, findet sich mit solchen Positionen nur beim BSW. Thomeczek zufolge teilt die Wagenknecht-Partei mit der AfD Positionen zum Ukraine-Krieg und zur Migration, ebenso die populistische Niedergangsrhetorik und Elitenkritik. Das knabbert an der AfD. Das größere Wählerpotential bietet aber die Linke. Nach ersten Analysen erhielt das BSW von der AfD etwa 160 000 Stimmen, aber auch gut eine halbe Million Stimmen von früheren SPD-Anhängern und mehr als 400 000 von der Linken.
Die Linke ist also Wählerreservoir für Wagenknecht, obwohl die sich weit von ihrer ehemaligen Partei entfernt hat. Die Linke hat noch mehr als 50 000 Mitglieder – das BSW etwa 650. Aber in der ersten Reihe fehlen Promis. Der Bundesvorsitzende und Europa-Spitzenkandidat Martin Schirdewan und seine Co-Chefin Janine Wissler sind bei Weitem nicht so bekannt wie Wagenknecht. Die Linke will nun bis zur Bundestagswahl strukturell und programmatisch nacharbeiten und sich „auch personell für die Zukunft aufstellen“. Es könnte ihre letzte Chance sein. VERENA SCHMITT-ROSCHMANN