Die Spezialgrundausbildung: Obergefreiter Brandon M. (26) und Hauptgefreite Laurina H. (19) auf dem Truppenübungsplatz Munster Nord. © Jens Schulze/epd
Berlin – Heute will Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) seine Pläne für eine neue Wehrpflicht vorstellen. Denn in Zeiten des Kriegs in der Ukraine braucht die Bundeswehr Nachwuchs, um im Falle des Falles ihre Rolle in der Nato erfüllen zu können. Trotz Personaloffensive ist die Truppe vergangenes Jahr auf 181 000 Soldatinnen und Soldaten geschrumpft. Im Interview spricht Generalin Nicole Schilling über Wehrpflicht, Personalsuche und was Patriotismus mit Ferienfliegern zu tun hat.
Frau General, Sie sind gewissermaßen eine der Personalchefinnen der Bundeswehr. Wie wirkt sich der Ukraine-Krieg auf die Rekrutierung aus? Schreckt er die Leute eher ab? Oder lockt er manche gerade besonders an?
Ich glaube, es ist beides der Fall. Quantitativ haben wir natürlich Herausforderungen in der Bewerbungslage, so wie jeder andere Arbeitgeber auch in Deutschland. Die haben nicht begonnen mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Wir hatten vorher schon Bewerbungsrückgänge. Momentan stabilisiert sich die Lage. Es ist also nicht der Fall, dass wegen des Krieges die Bewerbungszahlen einbrechen.
Wie schätzen Sie die jungen Bewerber ein?
Die jungen Leute von heute sind anders als ihre Vorgänger-Generation, aber das war jedes Mal der Fall. Es gab immer Unterschiede zwischen den Generationen. Ich glaube, die heutige Gruppe von jungen Menschen zeichnet sich jetzt nicht durch eine übermäßige körperliche Fitness aus, vor allem nicht querschnittlich. Die, die Sport machen, machen ihre Nischen-Sportart hochprofessionell. Aber in der Breite, für das, was wir so brauchen, also auf den Lkw hochspringen und wieder runterspringen mit Gepäck, längere Strecken zurücklegen, da sehen wir schon, dass wir in die Ausbildung investieren müssen.
Etwa 26 Prozent brechen ihre Ausbildung ab, meist schon nach kurzer Zeit. Woran liegt das?
Auch darauf gibt es keine einfache Antwort, weil mehrere Faktoren hineinspielen. Es gibt junge Menschen, die mehrere Eisen im Feuer haben, die sich bei mehreren Stellen beworben haben und dann umentscheiden. Es gibt junge Menschen, die sagen, das habe ich mir so nicht vorgestellt, und es gibt junge Menschen, die von den Rahmenbedingungen ein bisschen überrascht sind und Schwierigkeiten haben, sich einzugewöhnen.
Weil der empfindlichen Generation Z der Ton zu rau ist? Oder weil sie ein Problem mit der hierarchischen Struktur haben?
Der Tagesablauf bei der Bundeswehr ist vor allem zu Beginn sehr durchstrukturiert, man ist fremdbestimmt, man hat kaum Privatsphäre, wenig Zeit für sich, und das in einem Umfang, den sie nicht gewöhnt sind. Und der Ton ist natürlich auch anders, wobei er eben auch nicht so ist, wie man sich das aus früheren Zeiten vorstellt. Da hat sich viel geändert. Aber man kriegt schon gesagt, was man tun soll, und was auch nicht. Das ist in der Kombination für junge Menschen sehr, sehr ungewohnt. Dann noch die Trennung von zu Hause, die Fahrten am Wochenende, die lang dauern, anstrengend sind – dann sagt der eine oder andere nach zwei, drei Wochen, da geh ich nicht wieder hin.
Was halten Sie von einer Rückkehr zur Wehrpflicht? Die CDU hat sich ja dafür ausgesprochen.
Diese Kontingent-Wehrpflicht ist ja im Prinzip eine bedarfsorientierte Einberufung von jungen Menschen. Wie das juristisch ausgestaltet wird, wäre eine Denksportaufgabe fürs Verteidigungsministerium, wenn man denn zu der politischen Entscheidung käme, das so zu machen. Für mich als Personalerin hat es Vor- und Nachteile. Natürlich hat man mehr junge Menschen, die sich mit der Bundeswehr auseinandersetzen müssen und es dann vielleicht auch intensiver als in der Vergangenheit tun. Aber für das, was uns momentan am meisten fehlt, brauche ich aber trotzdem weiter Freiwillige, die eben auch länger dabeibleiben können und wollen.
Was fehlt am meisten?
Bei uns ist es das gleiche Problem wie auf dem zivilen Arbeitsmarkt. Uns fehlen Fachkräfte aus dem Bereich der Facharbeiter. Also nicht Akademiker, sondern Menschen, die einen Ausbildungsberuf machen, auf der Ebene Geselle oder Meister, und das in den technischen und IT-Berufen. Wir brauchen sie eben auch an Bord von Fregatten oder Korvetten, also Menschen, die zur See fahren. Wir erwarten auch die Bereitschaft, sich im Rahmen der Bündnisverteidigung in Litauen oder sonst wo zu engagieren, und wir konkurrieren an der Stelle sehr mit den zivilen Arbeitgebern.
Wie sind Sie zur Bundeswehr gekommen?
Ich bin Soldatenkind. Mein Vater war Generalstabsoffizier. Ich hatte eine Jugend, in der wir alle zwei Jahre unseren Hausstand eingepackt haben und durchs Land gezogen sind. Insofern bin ich damit groß geworden, dass die Bundeswehr letztendlich bestimmt, wo wir leben, und ich habe miterlebt, wie mein Vater seine Aufgabe ernst genommen hat. Das war für mich der Anreiz zu sagen, ich kann mir nicht vorstellen, dass das künftig anders ist. Es ist eine Aufgabe, die einen auch mit Stolz erfüllt. Das klingt pathetisch, aber ein bisschen ist es das schon.
Wie haben Sie Ihre Karriere erlebt?
Ich gehöre zu den ersten Jahrgängen, die das Ganze tatsächlich von der Pike auf gemacht haben. Die im niedrigsten Dienstgrad eingestiegen sind und die komplette Ausbildung durchlaufen haben. Das geht seit 1989, ich bin 1993 dazugekommen, also innerhalb der ersten fünf Jahre. Da war das für die Bundeswehr alles noch neu und aufregend, und das merkte man auch.
Inwiefern?
Das Ausbildungspersonal war sehr vorsichtig im Umgang mit den Frauen, auch unsicher teilweise. Teilweise hatten wir völlig skurrile Regeln. Unsere Stuben, also die der Frauen, waren dann direkt gegenüber unserer sanitären Anlagen. Und da gab es wirklich Vorgaben, was wir anhaben müssen, wenn wir über den Flur gegangen sind. Die männlichen Rekruten durften dann zu der Zeit nicht auf dem Flur sein, obwohl sie daneben auch ihre Stuben hatten. Das hat sich alles in den Jahrzehnten, in denen ich dabei bin, auf einer bestimmten Ebene normalisiert im Zusammenleben.
Allerdings nicht so weit, dass der Frauenanteil bei der Bundeswehr besonders hoch wäre – etwas über 13 Prozent.
Ja, das ist so. Und daher ist die Zahl der Frauen auf meiner Ebene auch sehr übersichtlich. Ich bin oft die einzige Frau im Raum. Ich sage nicht, dass das egal ist, das wäre falsch. Aber ich persönlich kann jetzt nicht sagen, dass ich an irgendeinem Punkt das Gefühl hatte, dass es deswegen für mich besonders schwierig wird. Man wird ja auch wahrgenommen, gerade in so einer Spotlight-Rolle, die ich innehabe. Aber das hat auch den Nachteil: Man ist immer im Fokus, es wird immer auf einen geguckt, man muss vielleicht auch noch umsichtiger sein, als das manche tun müssen. Da halten sich Vor- und Nachteile die Waage.
Was wünschen Sie sich als Soldatin von der Zivilgesellschaft?
Also, von der Gesellschaft wünsche ich mir, dass sie sich ehrlich die Frage stellt: Was müssen wir tun, um unseren Lebensstil zu verteidigen, wenn er angegriffen wird? Wir sollten unsere Freiheit weniger als selbstverständlich ansehen. Das hätte dann auch Auswirkungen auf die Bundeswehr. Sie wird schon als Institution geschätzt. Aber es ist vielleicht noch nicht allen klar, dass ja man selber ganz persönlich, auch wenn man nicht Soldatin oder Soldat ist, einen Beitrag leisten muss.
Wie meinen Sie das?
Ich nenne nur ein Beispiel. Wir hatten im vergangenen Jahr die große Luftwaffenübung. Das war im Juni kurz vor den Sommerferien. Da gab es eine Riesendiskussion, ob Ferienflieger Verspätung haben oder vielleicht ausfallen. Es war die größte Nato-Übung im deutschen Luftraum, viele Nationen haben ihre Flugzeuge nach Deutschland gebracht und das hat alles im Ergebnis supergut funktioniert. Vor dem Hintergrund sollte man vielleicht mal die Frage, ob es Auswirkungen auf die private Urlaubsplanung hat, etwas zurückstellen.