Lucas (16) stammt aus Schottland, ist aber für Portugal.
Christian Schottenhamel mit seinem EM-Bier „Volltreffer“.
Ein Stüberl wird zum Stadion: Georg (v.l.), Julius, Jens und Wirt Jan Oltznauer legen vor dem Valentin-Stüberl Rollrasen aus.
Wird am Marienplatz gefeiert: Craig Ferguson ist in 45 Tagen von Glasgow nach München gelaufen.
Schwarz-Rot-Golddarm: Metzger Magnus Bauch mit seinen Deutschland-Würstl. „Verkauft sich gut“, sagt er.
Der Marienplatz wird zum Marienplace: Schottische Fans feiern vor dem Eröffnungsspiel gegen Deutschland. © Matthias Balk/dpa
Hähnchen für die Damen, Burger für die Männer: Isabella Schuster hat 31 Kilo Grillgut für ihre EM-Party gekauft.
Hat auch Tickets fürs Finale: Ivica Dzambas mit Frau Josipa und Tochter Erika gehen zu allen Kroatien-Spielen. Ob es wirklich fürs Finale reicht? © Alle Fotos: Achim Frank Schmidt
München – Christian Schottenhamel zapft das Bier aus dem Edelstahltank im Keller des Nockherbergs ins Glas. Zwickln nennt sich das, und wenn‘s nach ihm geht, dürfen die Deutschen den anderen Mannschaften auch ein paar reinzwickln in den nächsten Wochen. Das hebt die Stimmung, so wie sein Bier: „Es ist ein Ale, sehr hell, 5,3 Prozent Alkohol“, sagt Schottenhamel. Er hat es eigens für die EM brauen lassen. Der Name: „Volltreffer“.
Schottenhamel ist ein erfahrener Wirt. Gäbe es eine Münchner Gastro-Mannschaft, wäre er ihr alter Trainerfuchs. Er hat sich auf die Euro 2024 vorbereitet wie ein Bundestrainer. Die drei LED-Leinwände für den 2000-Mann-Biergarten hat er schon im Januar in China bestellt. In den Tanks lagern 14 000 Liter Helles und 4000 Liter Volltreffer. Damit kann man viele Schotten dichten.
Vorbereitung ist alles bei so einer EM, aber Stimmung kannst du nicht vorbestellen wie eine Leinwand. Das EM-Fieber ist kurz vor dem Eröffnungsspiel noch eher ein Schnupfen – es gibt aber Anzeichen für einen schlimmeren Verlauf. Es kommt ganz aufs Virus an: Grassiert es oder nicht? Schottenhamels Diagnose: Werd‘ scho! „Der Biergarten ist seit zwei Wochen ausgebucht. Danach ebbt das Interesse ab, aber zum Achtelfinale haben wir schon wieder deutlich mehr Reservierungen.“
Jan Oltznauer (54) macht es wie Trainerlegende Jogi Löw – ja nix ändern. Seit 2006 legt er bei EMs und WMs vor seinem Valentin-Stüberl im Dreimühlenviertel Rollrasen auf seiner Freischankfläche aus. „Die Leute freuen sich total drauf, wenn ich‘s weglasse, kriege ich Ärger.“ 30 Quadratmeter hat er bei „Rollrasen-Rudi“ bestellt, 70 Stühle passen drauf.
Innen baut sein Sohn eine Zuschauertribüne aus 72 Bierkästen und Kabelbindern: Platz für 36 Mann. Dazu Stehplätze. Das Stüberl wird zum Stadion. Oltznauer freut sich auf den ersten Anpfiff. „Ich bin gar kein Fußball-Fan, aber das ist mal was anderes, das ist schön.“ Sogar die Verwaltung macht sich locker, sagt er: „So ein Rasen ist sonst verboten, weil man könnte ja darüber stolpern. Aber bei solchen Großereignissen wird es geduldet.“
Bester Gradmesser für EM-Stimmung ist Grillgut. Zu Flachschuss und Flanke braucht’s Fleisch. Metzgermeister Magnus Bauch (68) weiß das. Deshalb hat er mit all seiner Erfahrung ein Deutschland-Wurst-Paket in die Theke reinrotiert: drei abgepackte Bratwürstl, jeweils eingefärbt mit Tintenfischtinte, Paprika und Curry. Schwarz-Rot-Golddarm. „Verkauft sich sehr gut, viele haben nachbestellt“, sagt Bauch. „Wir merken, dass viele private Grillpartys organisiert haben, die Leute kaufen viel Fleisch.“ Viel Fleisch, viele Partys. Gutes Zeichen.
Genau in diesem Moment heben mehrere Magnus-Bauch-Mitarbeiter schwere Tüten in den Kofferraum eines hellblauen Minis. Isabella Schuster (46) hat 31 Kilo für Freitagabend eingekauft. „Wir machen eine Party mit 15, 20 Leuten, die sollen nicht verhungern.“ Sie hat „Hähnchen für die Damen, Würstl und Wiener für die Kinder und allein fünf Kilo Hackfleisch für Burger“. Die Rechnung für die fettige Fete: 282,92 Euro.
Einkaufen, organisieren, reservieren: So tuckert München ins Turnier. Die Schotten aber geben Vollgas: Schon am Donnerstag wird der Marienplatz zu Marienplace: Dudelsackbläser, blaue Trikots, Kilts und Sporrans (die kleinen Täschchen vorm Gemächt). In jeder schottischen Faust ein Bier.
Eine johlende Menge spielt Fenster-Basketball mit zwei Münchnerinnen. Die haben ihr Fenster im zweiten Stock überm COS-Laden geöffnet, die Fans versuchen, ihnen den Ball zuzuwerfen. Es klappt erstaunlich oft, und dann singen alle: „No Scotland, no Party“. Recht hams. Die Deutschen Fans kommen erst am Freitag dazu – mit Lederhose, Vokuhila-Perücke und Sandalen. Am Stachus tippt ein Dackel namens Ludwig auf den deutschen Sieg. Wir können auch Klischees.
Um 12 Uhr läuft Craig Ferguson (20) auf dem Marienplatz ein. Er ist von Glasgow hierhergelaufen. Ja, zu Fuß – 45 Tage lang. Wieder Jubel, alle besprühen ihn mit Sekt und Dosen-Paulaner. Ein anderer Schotte (19) ist mit dem Radl aus Glasgow hergefahren, natürlich im Kilt. Rock and Roll. Um 15 Uhr am Freitag ist der Marienplatz überfüllt.
40 000 Schotten sind nach München gekommen, viele ohne Karte fürs Eröffnungsspiel. Egal! „Dass Schottland dabei ist, bedeutet uns alles“, sagt Ian (66) aus Dundee. „Wir sind ja nicht so oft dabei.“ Lucas (16) aus Glasgow: „Wir sind 30 Leute, keiner hat ein Ticket.“ Er trägt als Einziger in der ganzen Innenstadt ein Portugal-Trikot. „Ich liebe Ronaldo, er ist der Größte. Portugal soll gewinnen“, sagt er auf Schottisch. Alle tippen 1:0 gegen Deutschland. Die sind wirklich irre.
Aber friedlich. Superintendent Craig Smith (49) leitet die Spezialkräfte-Abteilung von Police Scotland. In München soll er als einer von fünf Verbindungsbeamten die deutschen Einsatzkräfte unterstützen. „Jedes Teilnehmerland schickt eigene Polizisten“, sagt Craig. „Wir erwarten mit unseren Fans keine Probleme.“
Im schwarzblauen Meer fallen die rot-weißen Kroatien-Karos von Ivica Dzambas sofort aus. In München ist er als Tourist, „und für die Stimmung“. Am Samstagabend will er zum Spiel gegen Spanien im Berliner Olympiastadion sitzen. „Ich habe Tickets für alle Spiele, bis ins Finale“, sagt der Zeitungsverleger. Diese Leidenschaft, diese Selbsteinschätzung – er könnte Schotte sein.
Wie weit Deutschland kommt, weiß keiner. Christian Schottenhamel hofft natürlich auf den Titel. Aber: Nach dem Rasen ist vor der Wiesn. „Ihr redet alle über die EM, wir planen schon längst fürs Oktoberfest“, sagt er. Wenn‘s zur EM nicht funzt, ist das kein Europa-Untergang. Wir haben noch das größte Volksfest der Welt. Bei dieser Party sind die Münchner nicht zu schlagen. Nicht mal durch die Schotten. Never.