Zwei Streuner treffen sich: Daniel Großhans ist gerade in Tadschikistan. Der Straßenhund wollte mit aufs Foto.
Selfie mit den Taliban: Daniel Großhans sitzt mit bewaffneten Kämpfern auf einem gepanzerten Fahrzeug.
Abschiedsgeschenk: Daniel hat ein Foto von sich und Sabur rahmen lassen, es hängt jetzt in Saburs Wohnung.
Afghanische Gastfreundschaft in Herat: Daniel Großhans mit Sabur (re.) beim Essen. Sabur habe sich um ihn gekümmert wie um seinen eigenen Sohn, erzählt der Deutsche.
Die deutsche Attraktion: Daniel Großhans radelt eine Steigung hinauf, neugierige Afghanen laufen ihm hinterher. © Fotos: Daniel Großhans
Daniel Großhans, 27, radelt seit drei Jahren um die Welt. Der Mediengestalter aus Karlsfeld (Kreis Dachau) kündigte in der Corona-Zeit seinen Job und schwang sich aufs Fahrrad. Seine Erfahrungen teilt er in den Sozialen Medien. Ob Wildzelten bei 40 Grad in der Wüste Irans oder minus 12 Grad in den Bergen Süd-Ost-Albaniens – Daniel sucht den Kick. Zuletzt durchquerte er drei Wochen lang Afghanistan, das in der Abschiebedebatte derzeit besonders im Fokus steht. Wir haben Großhans telefonisch im Nachbarland Tadschikistan erreicht. Wenn er von Afghanistan erzählt, fällt ein Wort auffällig oft: krass. Ein Gespräch über die Taliban, Spuren des Krieges, nervöse Momente und eine unvergessliche Begegnung.
Warum Afghanistan?
Mich hat es vor allem gereizt, weil es so unentdeckt ist und ich genau das liebe: unentdeckte Gebiete zu erkunden, wo sonst kein Tourist so einfach hinkommt. Ich gehe relativ unvoreingenommen in jedes Land meiner Weltreise und möchte mir erst mal ein eigenes Bild machen, bevor ich irgendwas darüber denke. Außerdem lag Afghanistan auf dem Weg nach Zentralasien, und in Pakistan und Turkmenistan, meinen anderen Optionen, hätte ich deutlich weniger Bewegungsfreiheiten gehabt.
Das Auswärtige Amt warnt vor Reisen nach Afghanistan und fordert deutsche Staatsangehörige auf, das Land zu verlassen. Wie waghalsig muss man denn sein, alleine in so einem Land zu radeln?
Auf das Auswärtige Amt gebe ich nicht so viel. Die warnen vor der halben Welt, was ja auch nachvollziehbar ist. Ich lege aber viel mehr Wert auf Meinungen anderer Touristen. Da ich mich sehr gut vorbereitet hatte, hatte ich keine Sicherheitsbedenken.
Welche Vorkehrungen haben Sie getroffen?
Ich habe genug Leute gefragt, die schon in Afghanistan waren und wusste daher, wie das mit den Taliban und den Checkpoints ablaufen wird. Es ist aber natürlich noch mal was anderes, wenn man das erste Mal von bewaffneten Taliban kontrolliert wird.
Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie plötzlich vor Taliban standen?
Das war angsteinflößend. Aber nur am Anfang. Man gewöhnt sich schnell dran. Nach den ersten drei, vier Checkpoints war das kein Stress mehr. Ich habe gemerkt, dass sie ihre Sturmgewehre nicht gegen mich einsetzen und auch nicht in der Gegend herumballern.
Wie haben sich die Taliban Ihnen gegenüber verhalten?
Die Taliban sind Touristen nicht gewohnt, deswegen waren sie meistens sehr verwundert. Die haben das nicht so recht verstanden, was ich da mit meinem Fahrrad in ihrem Land mache. Ich habe mir deswegen vorab ein Travel-Permit besorgt. Das ist ein offizielles Dokument, das mich als Tourist ausgewiesen hat. Dann wussten die Taliban: Der Typ ist kein Spion, der ist ungefährlich, wir müssen den beschützen. Sie waren alle immer freundlich und sehr interessiert, haben viele Fotos mit mir gemacht und mich zum Teetrinken eingeladen.
Sind Sie diesen Einladungen gefolgt?
Ein einziges Mal bin ich mit zum Essen gegangen. Eigentlich war das nicht anders, als mit anderen Leuten essen zu gehen. Aber es war schon komisch, weil ich aufpassen musste, was ich sage. Ich konnte zum Beispiel keine kritischen Fragen stellen.
Haben Sie mit anderen Leuten kritisch über die Lage vor Ort gesprochen?
Nein, eigentlich nicht. Aber ich habe mich einmal mit einer Frau unterhalten. Das hat mich sehr mitgenommen. Es war ganz am Anfang meines Aufenthalts. Sie war 18 und die einzige Frau, mit der ich sprechen konnte – auf meiner ganzen Reise durch Afghanistan. Sie hat mir alles bestätigt, was man in den Nachrichten hört. Frauen haben überhaupt keine Perspektive in Afghanistan. Die 18-Jährige wollte auswandern. Natürlich. Das hat mich alles ziemlich fertig gemacht.
Sie haben aber auch für Selfies und Klicks in den Sozialen Medien mit Taliban posiert. Können Sie das moralisch vertreten?
Ich reise sehr unvoreingenommen durch die Welt. Das betrifft die Länder, aber auch die Menschen. Ich weiß nichts über sie, wenn ich sie treffe. Ich weiß nichts von ihrem Schicksal. Bei den Afghanen kenne ich nicht die Hintergrundgeschichte, warum jemand zum Talib wurde. Wenn Menschen respektvoll zu mir sind, bin ich es erstmal auch. Mit den Taliban habe ich keine tiefere Freundschaft aufgebaut. Das war auch nicht mein Plan. Taliban haben vielleicht schon Menschen umgebracht. Weil sie so was wie die Polizei dort sind, war ich bei Straßenkontrollen aber gezwungen, freundlich zu ihnen zu sein.
Wie sicher haben Sie sich gefühlt?
Schon sicher. Aber es war eine angespannte Sicherheit. Ich konnte nicht wild zelten. Nicht weil ich Angst hatte, beraubt zu werden, sondern um Missverständnisse zu vermeiden: Dass sie mich für einen Spion halten, weil sie noch nie einen Touristen gesehen haben.
Wurde es mal gefährlich?
So richtig nicht. Einmal hat ein Talib kurz seine Macht gezeigt und mein Handy durchsucht. Ich wollte erst nicht entsperren, aber hab es dann doch gemacht, weil die alle Waffen haben. Das war kurz unangenehm, weil ich nicht wusste, ob der Talib mir was Böses will. Aber der war vielleicht nur ein bisschen übervorsichtig.
Was war die größte Herausforderung?
Ganz klar: Mit der Aufmerksamkeit klarzukommen. Von so vielen Menschen umzingelt zu werden und Fotos mit ihnen zu machen. Das war am Anfang noch lustig, aber irgendwann wurde es mir zu viel. Afghanen sind ein sehr kollektives Volk, immer in Gesellschaft. Von morgens bis abends. Es gibt dort gar keine Privatsphäre. Ich bin nicht hinterhergekommen, meine Erlebnisse und den kulturellen Unterschied zu verarbeiten. Es war so anders als alles, was ich bisher auf meiner Weltreise erlebt habe.
Inwiefern?
Zum einen die Gesellschaftstrennung. Ich habe zu 99,9 Prozent mit Männern gesprochen und draußen fast nur Männer gesehen. Ich wollte aber auch die andere Seite hören, die der Frauen. Man kriegt nichts mit von diesem Teil der Gesellschaft. Zum anderen die Infrastruktur: Manche Einwohner müssen zehn Kilometer ins nächste Dorf fahren, um duschen zu können. Und überall ist Waffenpräsenz der Taliban.
Welche Atmosphäre herrscht in dem Land?
Die Menschen sind relativ entspannt und gut gelaunt. Wie ich von vielen erfahren habe, weil kein Krieg mehr herrscht. Seit der Machtübernahme ist das Land wieder relativ sicher. Man kann wieder vor die Tür gehen, ohne die Angst, gekidnappt zu werden. Es gibt kaum noch Kriminalität. Dass da 40 Jahre lang Krieg war, ist aber noch sehr präsent.
Wo sieht man noch Spuren des Kriegs?
Einmal waren wir essen mit einer afghanischen Familie. In dem Haus war ein Loch in der Decke. Vor vier Jahren ist dort eine Rakete eingeschlagen. Und jetzt saß ich da. Direkt darunter. Das ist unvorstellbar. Viele haben mir auch ihre Narben gezeigt oder ihre Schusswunden. Man sieht ständig Einschusslöcher, irgendwelche Panzer stehen noch herum, viele Menschen haben keine Beine oder Arme mehr.
Was haben diese Eindrücke in Ihnen ausgelöst?
Ich kann das schwer beschreiben, aber es hat mich eigentlich richtig fertiggemacht. Ich musste über so viel nachdenken, mit so viel klarkommen. Es war der krasseste Kulturschock, den ich je hatte. Viel zu viele Eindrücke und viel zu wenig Zeit, das zu verarbeiten. Das hat mich krass überfordert.
Das hört sich sehr negativ an. Welche positiven Erfahrungen bleiben?
Die Afghanen waren die freundlichsten Menschen, die ich bisher auf meiner Reise kennengelernt habe. Sie haben mir oft Geschenke gemacht und wollten mir helfen. Das Wichtigste dort ist, dass es dem Gast gut geht. Kein Afghane wollte mir je was Böses. Ich habe viele Freunde gefunden. Eine Person, die ich nie vergessen werde, heißt Sabur. So einen Kontakt hatte ich noch nie auf meiner Fahrradweltreise. Ich habe ihn in Herat, meinem ersten Stopp, kennengelernt und er hat sich so krass gekümmert. Als wäre ich sein Sohn, obwohl ich ein Fremder war. Er hat seine Zeit geopfert. Für mich. Für ihn war es die höchste Priorität, dass es mir gut geht. Da habe ich mich so sicher gefühlt.
Mit welchem Wort lässt sich das Land beschreiben?
Du kannst Afghanistan nicht in einem einzigen Wort beschreiben. Dafür ist das Land viel zu krass. Krass könnte man vielleicht sagen. Anders. Dementsprechend auch am interessantesten, am spannendsten und am anstrengendsten.
Sie sind nun in Tadschikistan. Wie war es, Afghanistan hinter sich zu lassen?
Der ganze Druck ist von mir abgefallen. Die Taliban wollten ja immer wissen, wo ich bin. Das fühlt sich jetzt an wie eine neu gewonnene Freiheit. Jetzt möchte ich den Pamir-Highway fahren. Dann Kirgistan, vielleicht Russland, China, Mongolei. Ich hab auch aktuell ganz kurze Momente, wo ich denke: Ich mach’ Feierabend, wenn ich in der Mongolei ankomme. Gerade nach der Afghanistan-Reise muss ich gucken, was passiert.