Empathische Herzchirurgin: Dr. Elda Dzilic.
Als Sechsjährige wurde Julia Holler 1975 im Herzzentrum zum ersten Mal operiert. © privat
Im Hybrid-Operationssaal des Herzzentrums wird eine künstliche Herzklappe eingesetzt. © Deutsches Herzzentrum Müchen
Eine glückliche Familie: Herz-Patientin Julia Holler mit ihrem Sohn Leo und Ehemann Wolfgang. © privat
München – Als kleines Mädchen, damals gerade mal sechs Jahre alt, wurde Julia Holler vor fast einem halben Jahrhundert im Deutschen Herzzentrum erfolgreich operiert. Die Spezialklinik war erst im Vorjahr eröffnet worden. Jetzt kam die Münchnerin, inzwischen selbst Mama, dort erneut unters Messer – wieder mit einem Happy End. So steht am Freitag der vielleicht schönste Doppel-Geburtstag der Stadt an: Julia feiert ihren 55. und das Herzzentrum seinen 50. Eine Herzensgeschichte.
Die Erlebnisse haben sich tief in ihr Gedächtnis gebrannt: Es ist der 28. August 1975. Julia steht als kleines Mädchen unmittelbar vor einer schweren Herz-Operation. „Meine Eltern müssen gehen, sie verabschieden sich, das macht mir Angst. Im Operationssaal soll ich in einen schwarzen Luftballon blasen und einatmen. Ich sehe mich noch mit einem Pflaster am Arm auf dem OP-Tisch liegen – dann bin ich weg.“
Es folgt eine mehrstündige OP in den Händen von Spezialisten. Genau für solche herausfordernden Eingriffe ist das Deutsche Herzzentrum an der Lazarettstraße erst ein Jahr zuvor gegründet worden. Bei Julia Holler beseitigen die Operateure um Kinderherzchirurg Dr. Sung-Un-Paek eine sogenannte Aortenisthmusstenose. „Dabei handelt es sich um eine Einengung der Hauptschlagader am Übergang vom Aortenbogen zur absteigenden Hauptschlagader“, erklärt Professor Markus Krane, der Direktor der Klinik für Herz- und Gefäßchirurgie. Seine Vorgänger der ersten Herzzentrums-Generation schneiden den verengten Schlagader-Abschnitt heraus und nähen die beiden Enden wieder zusammen. Derweil kommt Julias Mama Dagmar Unger, damals selbst erst 29 Jahre alt, fast um vor Angst um ihre kleine Tochter. Von einer Telefonzelle aus ruft sie immer wieder an, um zu erfahren, wie es ihr geht.
Als die Mama endlich zu ihr darf, ist Julia überglücklich: „Sie brachte mir eine geschlossene Muschel mit, die man in ein Wasserglas werfen konnte. Die Muschel hat sich vor meinen Augen geöffnet, und es stieg eine rote Blume nach oben. Ich fand sie wunderschön.“ Auch Julia blüht auf, die OP ebnet ihr den Weg in eine schöne und unbeschwerte Kindheit. „Ich war danach wirklich ein kerngesundes Kind. Als Erwachsene hatte ich nicht mal Erkältungen.“
Die OP schenkt Julia glückliche Jahrzehnte, bis sie 2015 durch einen Zeckenbiss an Neuroborreliose erkrankt. Dabei befallen Bakterien das Nervensystem. Sie leidet sehr darunter, bis heute. Zudem holt Julia ein angeborener Herzfehler ein. Patienten mit einer Aortenisthmusstenose haben sehr häufig einen Herzklappenfehler, auf Medizinerdeutsch ist von einer bikuspiden Herzklappe die Rede. „Die Patienten müssen mit der erhöhten Wahrscheinlichkeit leben, dass die Herzklappe durch Verkalkungen Schaden nimmt“, erklärt Klinikchef Krane.
Im Spätsommer vergangenen Jahres stellt sich Julia Holler in der Herzklappen-Sprechstunde des Deutschen Herzzentrums vor, die gebürtige Münchnerin reist dafür extra aus Berlin an, wo sie seit 17 Jahren mit ihrer Familie lebt. Leider muss ihr Oberarzt Dr. Ulf Herold eine niederschmetternde Diagnose eröffnen: Ihre Herzklappe ist nicht mehr zu retten. Sie braucht eine neue – und zwar schnell. Möglichst in den nächsten Monaten. „Ich bin aus allen Wolken gefallen, bekam Todesangst. Aber ich entschied mich, dass ich mich wieder in München operieren lassen werde. Das ist meine Heimatstadt, und zudem hatte ich im Herzzentrum schon so viel Warmherzigkeit erlebt.“
Doch bis zur OP macht sie eine schreckliche Zeit durch. „Die Aussicht, dass mein Herz stillgelegt und ich an eine Herz-Lungen-Maschine angeschlossen werden muss, setzte mir unheimlich zu. Ich konnte nicht mehr schlafen, nicht mehr essen. Wenn ich meinen elfjährigen Sohn Leo anschaute, musste ich weinen.“ Immer wieder quält sie derselbe Gedanke: „Vielleicht hat mein Leo bald seine Mama nicht mehr. Ich hatte meine Angst nicht mehr unter Kontrolle.“
An Weihnachten 2023 halten sich Julia und Leo in den Armen und weinen gemeinsam. Er sagt zu ihr: „Du schaffst das, ich weiß es.“ Und lässt einen unglaublich erwachsenen Satz folgen: „Mama, ich weiß, was dich am meisten beunruhigt. Ich verspreche dir: Wenn du es nicht schaffst und stirbst, dann werde es trotzdem irgendwie schaffen, ich werde zurechtkommen, mach‘ dir keine Sorgen. Ich liebe dich.“
Auch Ehemann Wolfgang (47) gibt ihr immer wieder neue Kraft – vor allem, wenn die Angstzustände ihr fast die Luft zum Atmen rauben. Einer der Hintergründe: Wegen der Folgen ihrer Neuroborreliose kann Julia seit Jahren nur auf dem Bauch schlafen, hat Schluckbeschwerden. „Ich hatte Angst, während der OP zu ersticken. Aber Wolfgang hat mich aufgefangen, er hat alles gegeben. Er war meine größte Stütze. Ich werde ihm immer dankbar sein dafür, was er für mich getan hat.“
Kurz vor der OP ist Julia mit den Nerven am Ende. Sie vermisst ihren Sohn Leo schrecklich. „Ich habe wirklich niemandem mehr vertraut, doch dann kam Dr. Dzilic.“ Genauer gesagt Dr. Elda Dzilic, ihre Operateurin. Die empathische Funktionsoberärztin im Herzzentrum erklärt Julia den geplanten Ablauf der OP bis ins Detail – aber was noch wichtiger ist. „Sie hat mir zugehört. Als ich ihr meine Todesängste schilderte, strahlte sie mich an und sagte ganz ruhig: ,Sie werden es schaffen, haben Sie keine Angst.‘ Dr. Dzilic hat mir mit ihrer ruhigen Art und Kompetenz augenblicklich alle Zweifel genommen. Sie ist eine der nettesten und freundlichsten Menschen, die ich in meinem Leben getroffen habe.“
Die Herzchirurgin setzt der Patienten eine mechanische Prothese ein. „Diese künstliche Herzklappe besteht aus Karbon“, erklärt Dr. Dzilic. „Sie hält in der Regel ein Leben lang, hat aber auch einen Nachteil gegenüber einer biologischen Prothese. Man hört bei jedem Herzschlag ein leises Klacken. Daran muss man sich erst gewöhnen.“
Aber das kann Julia verschmerzen. Nach dem Eingriff am 25. Januar erholt sie sich sehr schnell, nach nur einer Nacht auf der Intensivstation wird sie auf die Normalstation verlegt. „Ich war glücklich, ich hatte es geschafft. An der Ecke stand mein Mann mit einer gelben Rose in der Hand, strahlte mich mit seinem schönsten Lächeln an. Diesen Moment werde ich nie vergessen.“
Schon fünf Tage nach der OP wird die Hausfrau, die zuvor als Filialleiterin in einem Schuhgeschäft arbeitete, entlassen. Sie darf heim, zu ihrer Familie. „Ich bin sehr dankbar dafür, wie sich im Herzzentrum alle darum bemüht haben, mir zu helfen – auch die Pflegekräfte. München ist mein Herzensglück“, sagt Julia. „Ich habe nur eine sehr kleine, schöne Narbe an der Brust, gehe schon wieder schwimmen. Ich habe überlebt, für meinen Sohn, meinen Mann, meine Mama, meine liebevollen Verwandten und für mich.“ Besonders stolz ist sie auf ihren Sohn Leo. „Weil er so stark geblieben ist mit seinen elf Jahren und mit all seinen Sorgen um mich durchgehalten hat.“ Sie haben es zusammen geschafft.