Mückenhölle Ammersee

von Redaktion

So sah Krüger nach einem kurzen Bad im See aus. © privat

Daniela Krüger wohnt seit 15 Jahren am Ammersee. © privat

Er zählt Mücken, um die Gemeinde zu Gegenmaßnahmen zu bewegen: Rainer Jünger aus Schondorf am Ammersee. © Jaksch

Eching – Daniela Krüger wohnt seit 15 Jahren in Eching am Ammersee, ein Grundstück am See mit großem Garten und Koi-Karpfen im Teich. Am Sonntag war sie kurz draußen – bewaffnet mit einem Mückenfänger, der aussieht wie ein Tennisschläger. Auf einem Video sieht man, wie sie um sich schlägt. Jedes Mal, wenn sie eine Mücke erwischt, sirrt es kurz. Es sirrt oft. Dann eilt sie zurück ins Haus. Und als sie vorige Woche kurz in den See springen wollte, brach sie nach wenigen Minuten ab. Ihr ganzer Rücken: verstochen.

Der Ammersee hat ein Mückenproblem. Daniela Krüger, 44, sagt: „So schlimm war es noch nie.“ Sie kann kaum noch raus in den Garten. Wenn sie mit ihrem Deutsch-Drahthaar Gassi geht, sprüht sie sich ein, trägt lange Kleidung, manchmal wickelt sie sogar ein Fliegennetz um den Kopf. Trotzdem ist sie dauerhaft von Mückenstichen übersät.

Es war klar, dass die Mücken nach dem Hochwasser in Bayern ein leichtes Spiel haben. Der Grundwasserpegel ist noch hoch, die Wiesen feucht, am Ammerseeufer etwa stehen überall noch Tümpel von den Überschwemmungen. Das Ampermoos im Norden des Gewässers war stark vom Hochwasser betroffen. Dann kam das trockene Wetter, bei dem sich die Larven gut entwickeln konnten. Und jetzt sind die lästigen Viecher, die kilometerweit fliegen auf der Suche nach Blut, ziemlich aktiv. Das wirkt sich auf das öffentliche Leben aus, vor zwei Wochen musste in Eching das Sonnwendfeuer der Vereine abgesagt werden. „Wegen der Schnakeninvasion“, wie es heißt. Auch Gastronomen am See merken, dass Gäste lieber nicht im Biergarten sitzen. Nur sprechen die wenigsten darüber, aus Angst, dass dann gar niemand mehr kommt. Christoph Zauner, seit 20 Jahren Wirt im Seehaus Schreyegg, ist ganz offen: „Ab 20.15 Uhr kommen die Mücken, ab 21 Uhr ist es unerträglich.“ Dann helfen auch die Sprays nichts mehr, die der Wirt verteilt. Sein Tipp: früher essen gehen. Seine Gäste ziehen meistens in den Innenbereich um, wenn die Mücken loslegen.

Einer, der sich mit Mücken rund um den Ammersee bestens auskennt, ist Rainer Jünger aus Schondorf. Der selbstständige Unternehmer, der auch für die CSU im Gemeinderat sitzt, ist der Vorsitzende des Vereins „Mückenplage? Nein danke“. Er selber hält es daheim in Schondorf noch halbwegs aus, wobei: Neulich beim Rasenmähen wurde er ganz schön zerstochen. „In der Sonne geht es, aber sobald man in den Schatten geht, wird es Wahnsinn.“ Schon 2019, als die Region ebenfalls von Stechmücken traktiert wurde, startete die Initiative ein Ratsbegehren, mit dem man die Gemeinde Eching dazu bringen wollte, Maßnahmen gegen die nervigen Insekten zu ergreifen. Es geht um das Biozid BTI, ausgeschrieben ist das der Bacillus thuringiensis israelensis. Das ist ein kristallines Eiweiß, das mit Hubschraubern oder als Granulat verteilt wird. Rainer Jünger erklärt: „Die Larve nimmt das Eiweiß über die Nahrung auf.“ Dadurch werde der Darm perforiert, die Mücke stirbt. Am Chiemsee wird BTI seit 1997 immer mal wieder eingesetzt, wenn es nötig ist. Nur dann erteilen die Behörden die Genehmigung. Genau das wollen sie in Eching auch. Fast 80 Prozent der Stimmberechtigten waren dafür – passiert ist seitdem noch nichts. Der Bürgermeister war auf Anfrage nicht erreichbar.

Dass die Gemeinde keine große Lösung anstrebt, ist ein Problem, findet Rainer Jünger. Und zwar für die Umwelt, auch wenn das paradox klingt. Denn ohne Mückenspray geht am Ammersee gerade keiner vor die Tür. Aber die Mittelchen – sofern sie überhaupt helfen – landen von der Haut der Badegäste im See oder nach der Dusche im Abwasser. Der Wirkstoff DEET etwa ist ein Nervengift, das Hautreizungen, Schleimhautreizungen und beim Verschlucken Übelkeit und Erbrechen auslösen kann. Auch andere Wirkstoffe sind nicht unbedenklich. 2020 ließ der Verein „Mückenplage? Nein danke“ das Abwasser in der Kläranlage und den Uferbereich des Ammersees chemisch untersuchen. Die Wirkstoff-Konzentration stieg bei großem Mückenvorkommen. „Geht man davon aus, dass die in den Proben gemessene Konzentration von 16,5 Mikrogramm/l über einen Tag hinweg in der Kläranlage ankommt, dann entspricht dies 32 handelsüblichen Flaschen z.B. von Anti Brumm Forte täglich, die quasi in den Ausguss gekippt werden“, formulierte der Verein damals die Ergebnisse. Dass die Gemeinde und auch Naturschützer kein BTI einsetzen wollen, weil man Gift in der Umwelt vermeiden will, hält Jünger daher für absurd. Und Daniela Krüger weiß, dass viele Gartenbesitzer zu Gift greifen, um die Mückenplage in den Griff zu bekommen. Die beiden halten BTI für die umweltverträglichere Variante, weil damit nur die Mücken getötet werden, keine anderen Insekten.

Dass gerade außergewöhnlich viel Anti-Insekten-Chemie im Umlauf ist, zeigt ein Rundruf bei Apotheken in der Region. Das beliebte Autan ist kaum noch zu kriegen. Doch der Schwerpunkt liege gar nicht mehr auf Autan, so Helen Brugger, Apothekerin aus Starnberg. Laut der Expertin sei das stärkste Mittel Antibrumm mit dem Wirkstoff Diethyltoluamid. Wie Lea Baschab, Apothekerin der See-Apotheke Herrsching, weiß, ist Antibrumm nicht mehr lieferbar. Die Nachfrage sei heuer einfach besonders hoch. Besonders häufig wird derzeit auch nach dem schmerzlindernden Fenistil gefragt. Täglich kommen Menschen mit entzündeten Mückenstichen, Schwellungen und Rötungen bei Lea Baschab vorbei. Sie hat den Eindruck, dass die Stiche heuer mehr anschwellen als sonst und sich stark entzünden.

Das bestätigt Benedikt Strasdat, Inhaber der Rasso-Apotheke in Grafrath. Seine Apotheke liegt nahe am Ampermoos – und damit im Mücken-Hotspot. Am Sonntag, als er Notdienst hatte, waren etwa zehn Kinder unter den Kunden – mit dick geschwollenen Augen. „Die kamen vom Arzttermin, hatten riesige Stiche, vor allem im Augenbereich“, sagt Strasdat. Sein gesamtes Sortiment – ob Abwehr von Mücken oder Behandlung von Stichen – sei bereits seit Tagen so gut wie weg. „Vor allem, was die Abwehr betrifft, ist kaum noch was da“, sagt Strasdat. Der Apotheken-Chef müsse Kunden auf die nächste Lieferung vertrösten. „Bis dahin können wir nur an die Eigenverantwortung appellieren, lange Kleidung zu tragen oder nicht in den Abendstunden rauszugehen“, sagt Strasdat.

Wie lange dauert der Ausnahmezustand noch an? Martin Geier ist Chef der Biogents AG aus Regensburg, sein Unternehmen hat eine CO2-Mückenfalle entwickelt und Instrumente, um Mücken zu zählen. Er sagt: „Das wird noch eine Weile so weitergehen.“ Klar, je nach Wetter gibt es mal ein Auf, mal ein Ab. Aber heuer seien so viele Mücken unterwegs, dass die wenigen, die täglich eingehen, kaum Entspannung bringen. Rainer Jünger aus Schondorf befürchtet, dass sich je nach Wetter und Niederschlag die Lage erst im September beruhigt. „Dann ist der Sommer vorbei.“

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