Fachkräfte: In Oberbayern geht es um die Wurst

von Redaktion

Metzger Kurt Blank aus Dachau steht fast täglich hinter seiner Theke. Personal für den Verkauf zu finden, ist extrem schwer geworden. © Foto: Andreas Höß

München – Kurt Blank aus Dachau steht in seiner Metzgerei, in der Auslage liegen Würste, Lamm und Schinken, hinter ihm hängt Speck, in einer Vitrine reifen T-Bone-Steaks. „Ich bin hier jeden Tag hinter der Theke, meine Frau Kati auch – wir sind im Verkauf inklusive uns beiden ja nur zu dritt“, berichtet er. Nichts gegen die Kunden, den Kontakt mit ihnen mag er. Doch eigentlich hätte er genug anderes zu tun: Würste brühen zum Beispiel, Steaks zurechtschneiden, Buchhaltung, Bestellungen, Lieferungen. Im vor mehr als einem halben Jahrhundert gegründeten Familienbetrieb gibt es immer Arbeit. Und die wird oft zu viel für das kleine Team. „Wir sind dauernd auf der Suche nach Personal“, sagt Blank und schüttelt den Kopf. „An Weihnachten helfen sogar schon Freunde aus.“ Bewerbungsgespräche laufen, doch der Fachkräftemangel ist für den Metzger eine Dauerbaustelle. „Es ist nicht mehr witzig. Das Catering haben wir weitgehend eingestellt, an einem Nachmittag hat der Laden schon zu“, sagt Blank. „Wenn das so weitergeht, müssen wir die Öffnungszeiten weiter einschränken.“ Und das würde bedeuten: weniger Geschäft.

Alle Branchen leiden

So wie Metzger Blank geht es vielen Unternehmern in der Region. Laut einer Erhebung der Industrie- und Handelskammer (IHK) für München und Oberbayern, die unserer Zeitung vorliegt, fehlen derzeit 36 000 Arbeitskräfte in Oberbayern, Tendenz steigend: 2027 dürften es schon 41 000 sein – eine ganze Kleinstadt. Dieser Mangel hinterlässt Spuren in der Wirtschaft. Die Ökonomen vom IW Köln haben im Auftrag der IHK ausgerechnet, dass den Unternehmen, Geschäften und Restaurants in und um München eine jährliche Wertschöpfung von 4,7 Milliarden Euro entgeht. In den kommenden fünf Jahren dürften sich die Mindereinnahmen also auf 23,5 Milliarden Euro summieren, wenn der Trend so bleibt.

Betroffen sind dabei so gut wie alle Branchen. Laut IHK fehlen in der Region allein über 2000 Verkäufer und Verkäuferinnen – Metzger Blank ist also bei Weitem nicht allein mit seinem Problem. Ähnlich sieht es am Bau, in der Gastronomie, der Elektrotechnik oder der Hotellerie aus (siehe Tabelle). Die Folge: Der örtliche Biergarten bewirtet nicht mehr jeden Tag Gäste, der Mittelständler braucht Geduld, bis ihm jemand seine Anlagen repariert, der Hausbau wird langwieriger und teurer. Das alles schmerzt.

Besonders folgenreich ist der Mangel zudem in der IT. So werden in Oberbayern fast 1500 Informatiker gesucht, jede fünfte IT-Stelle dürfte 2027 unbesetzt bleiben. Das bremst die Digitalisierung aus, warnt Manfred Gößl, Hauptgeschäftsführer der IHK für München und Oberbayern. „Die große Konkurrenz um diese Fachkräfte wird vor allem für solche Arbeitgeber zu einem Problem, die bei den Gehältern nicht mithalten können, also beispielsweise für die kleinen und mittleren Unternehmen und den öffentlichen Dienst“, befürchtet er. „Schon jetzt werden IT-Fachleute dort händeringend gesucht und der Bedarf an Spezialisten nimmt weiter zu.“

Bedeutet: Bürger und Firmen müssen sich weiter dem Papierkrieg in Ämtern stellen, was viele Unternehmer schon heute als zeitraubend und geschäftsschädigend kritisieren. Mangels Fachkräften wird es aber wohl noch lange dauern, bis sie ihre Anträge bequem und schnell vom Computer aus einreichen können. Und auch die neue Webseite oder das maßgeschneiderte Produktions- und Logistikprogramm für den Mittelständler könnte länger auf sich warten lassen als geplant. Im immer härter und globaler werdenden Wettbewerb ist das für die hiesige Wirtschaft sicher kein Vorteil.

Der Fachkräftemangel ist also längst in mehrfacher Hinsicht zum Bremsklotz geworden. Dabei steht Oberbayern im Vergleich noch ganz gut da. München boomt, die Millionenmetropole beherbergt so viele Großkonzerne wie keine andere deutsche Stadt. Sie ist bekannt für ihre starken Universitäten – und für das schöne Umland samt Seen und Bergen.

Magnet München

Mehr als eine halbe Million Menschen pendeln täglich aus dem Speckgürtel in die Stadt, das Einzugsgebiet reicht längst bis Schwaben und in die Hallertau. Die Metropolregion hat heute fast drei Millionen Einwohner, eine halbe Million mehr als vor 20 Jahren. „Die wirtschaftliche Stärke Oberbayerns wirkt weiter wie ein Arbeitskräftemagnet“, erklärt IHK-Chef Gößl. Das lindere die Sorgen hierzulande – noch. Obwohl in Oberbayern 40 Prozent aller bayerischen Beschäftigten arbeiten, steht der Regierungsbezirk für nur knapp ein Viertel der Arbeitskräftelücke in Bayern. So fehlen im Rest Bayerns bereits 115 000 Arbeitskräfte, laut IHK werden es im Jahr 2027 um die 135 000 sein. Im Vergleich dazu ist die Personaldecke rund um die Landeshauptstadt noch ausreichend.

Ob sie das bleibt? Das sei nicht garantiert, warnt IHK-Chef Gößl. Schon allein, weil bezahlbarer Wohnraum Mangelware ist. Auch potenzielle Zuzügler wissen längst, dass München das teuerste Pflaster der Nation ist – und sehen sich trotz solidem Arbeitsmarkt und hoher Gehälter immer öfter nach Alternativen um. „Unternehmen haben in den vergangenen Jahren oft erlebt, dass gerade für Mitarbeiter in den unteren Gehaltsgruppen ein Umzug in den Großraum München nicht mehr attraktiv ist“, berichtet Gößl. Zu hoch sind die Mieten und zu weit die Wege für Pendler, die halbwegs bezahlbar wohnen wollen. Da helfe nur forcierter Wohnungsbau, sagt Gößl. Und ein besserer Nahverkehr.

Nächstes Problem: das Betreuungsangebot. Lange hatte die Staatsregierung eher auf Herdprämien als auf Kitas gesetzt. Das rächt sich, in Bayern fehlen zehntausende Kita-Plätze, was Eltern davon abhält, wieder voll in den Job einzusteigen. Gößl fordert eine flächendeckende Kinderbetreuung sowie bessere Pflegeangebote für Senioren. „Um mehr Frauen zurück in die Jobs zu bekommen, sind sie das A und O.“ Auch höhere Arbeitsanreize für Senioren oder Bürgergeldempfänger seien unerlässlich. „Dazu sind Reformen bei der Lohn- und Einkommenssteuer, Entlastungen bei Sozialabgaben sowie eine abgestufte Anrechnung höherer Arbeitseinkünfte auf Sozialtransfers notwendig.“

Was die „Politik“ davon umsetzt, steht in den Sternen. Den Fachkräftemangel hat sie zwar auf dem Schirm, doch die Mühlen mahlen langsam. Kurt Blank hat sein Schicksal deshalb selbst in die Hand genommen. Vor seiner Dachauer Metzgerei steht seit drei Wochen eine Art Container – die vollautomatische „Blank Box“. „Da gibt es eigentlich alles, was die Leute so brauchen: von Wienern über Halsgrat bis zu Grillkohle oder Kartoffeln“, sagt Blank, „und das rund um die Uhr, auch am Sonntag!“ Blank hofft, dass sich die Investition lohnt und der Freistaat eine Förderung dazugibt. Ein Problem lindert die Box aber schon jetzt: „Für die brauche ich kein Personal, da muss keiner drinstehen und kassieren. Bis auf das Ein- und Ausräumen läuft alles automatisch“, erzählt er. „Für die Zukunft muss man wohl so planen.“

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