Die Szenerie: Der Schütze soll nur 120 bis 150 Meter von Trump entfernt gewesen sein. © Grafik: dpa
Schreie, Chaos: Trump-Unterstützer, teils blutverschmiert, auf der Zuschauertribüne in Butler. © Rebecca Droke/afp
„Kämpft“: Noch als ihn die Sicherheitsleute in die Limousine drücken, reckt Trump den Arm. © Anna Moneymaker/Getty/afp
Sekunden nach dem Attentat: Mitarbeiter des Secret Service helfen dem republikanischen Präsidentschaftsbewerber Donald Trump auf und stützen ihn. An seiner Wange ist Blut zu sehen. © Gene J. Puskar/dpa
Butler/Washington – Donald Trump ist mitten im Satz, als die ersten Schüsse fallen. Der Ex-US-Präsident steht auf einer Bühne bei einem Wahlkampfauftritt in der Kleinstadt Butler im Bundesstaat Pennsylvania. Er fasst sich ans rechte Ohr, duckt sich dann zu Boden hinter sein Pult. Sofort stürmen mehrere Secret-Service-Agenten zu ihm, werfen sich über den Republikaner. Im Publikum bricht Panik aus. Noch ein Schuss. Laute Schreie dröhnen durch die Ränge.
Sekunden später richten die Sicherheitsleute Trump hinter dem Pult auf. Der 78-Jährige blutet am rechten Ohr, die Haare wirr, seine rote Kappe nicht mehr auf dem Kopf. „Lasst mich meine Schuhe anziehen“, sagt Trump mehrfach. „Sir, wir müssen zu den Autos“, entgegnet einer der Leibwächter, die einen Ring um ihn bilden. Die Agenten wollen sich mit ihm in Bewegung setzen, doch Trump ruft dazwischen: „Wartet, wartet, wartet, wartet.“ Dann reckt er aus dem Ring der Sicherheitsleute heraus seine Faust in die Höhe, schlägt sie dreimal nach vorne in die Luft, formt nicht vernehmbar mit seinen Lippen ein Wort, das Anhänger später so interpretieren: „Kämpft! Kämpft! Kämpft!“
Das Foto von Trump mit Blut im Gesicht und der geballten Faust in der Luft geht um die Welt. Trump, der um die Macht von Bildern weiß, beweist mit dieser blitzschnellen Reaktion innerhalb von Sekunden nach dem Angriff besonderen politischen Instinkt und sorgt dafür, dass er die Erzählung des historischen Ereignisses mit diesen Bildern diktiert.
Das Attentat auf den früheren Präsidenten und aktuellen republikanischen Präsidentschaftsbewerber gibt dem US-Wahljahr, das ohnehin eines ist wie keines zuvor, eine neue dramatische Wendung. Es verschärft die Spannungen in einem tief gespaltenen Amerika und wirft in ganz neuem Ausmaß Ängste vor neuer politischer Gewalt auf.
Nach der Nachricht von den ersten Schüssen auf Trump überschlagen sich die Ereignisse. Am Ende ist der mutmaßliche Schütze tot, ebenso wie ein Zuschauer. Laut Gouverneur Josh Shapiro war der Tote ein Feuerwehrmann, der sich schützend über seine Frau und Töchter beugt, als die insgesamt acht Schüsse fallen. Zwei weitere Menschen werden schwer verletzt. Trump dagegen wird schnell in Sicherheit gebracht und kommt mit einer leichten Verletzung davon. „Ich wurde von einer Kugel getroffen, die den oberen Teil meines rechten Ohrs durchschlug“, schreibt er nach der Attacke auf der von ihm mitbegründeten Plattform Truth Social. „Ich wusste sofort, dass etwas nicht stimmte, denn ich hörte ein zischendes Geräusch, Schüsse und spürte sofort, wie sich die Kugel durch die Haut bohrte.“ Sein Team versichert, es gehe ihm gut.
Trumps Wahlkampfkampagne veröffentlicht nur Stunden nach der Attacke ein Video, in dem der Präsidentschaftsbewerber in einem frischen Anzug, frisiert aus seinem Privatflugzeug steigt. Dazu schreibt seine Vize-Kommunikationsdirektorin: „Stark und unverwüstlich. Er wird nie aufhören, für Amerika zu kämpfen.“ Die Botschaft der Trump-Leute: Dieser Mann ist unbesiegbar und durch rein gar nichts unterzukriegen. Und das nur zwei Tage, bevor die Republikaner in Milwaukee zu ihrem Krönungsparteitag zusammenkommen, um Trump offiziell als ihren Präsidentschaftskandidaten zu nominieren.
Die Attacke löst in den USA und weltweit einen Schock aus. Politiker beider Parteien in den USA, amerikanische Ex-Präsidenten, Regierungschefs anderer Länder – alle äußern sich entsetzt. Sie verurteilen den Angriff. Einige äußern Sorge, was Amerika nun bevorsteht.
Zumindest wohl eine Diskussion darüber, wie es zu dem Attentat kommen konnte. Zwar reagierten die Personenschützer schnell, als die Schüsse fielen, und brachten Trump in Sicherheit. Augenzeugen berichten dem britischen Sender BBC allerdings, sie hätten gesehen, wie der Schütze quasi ungehindert auf ein nahes Dach, vielleicht 150 Meter von Trump entfernt, klettern konnte. Sie hätten die Polizei über das verdächtige Verhalten informiert, sagt ein Zeuge. Passiert sei aber nichts. Haben die Sicherheitskräfte versagt?
Hinzu kommt: Schon jetzt ist die Stimmung in den USA angespannt. Teile der Gesellschaft stehen einander feindlich gegenüber, Drohungen gegen Politiker und andere Offizielle nehmen deutlich zu. Nicht zu vergessen: Schon rund um die jüngste Präsidentenwahl 2020 kam es zu einem beispiellosen Gewaltausbruch, als Trump seine Niederlage gegen den Demokraten Joe Biden nicht eingestand, sondern stattdessen seine Anhänger aufhetzte, bis diese schließlich gewaltsam das Kapitol stürmten. Damals kamen mehrere Menschen ums Leben. Es geht seit Langem die Angst um, dass es diesmal erneut zu Gewalt und Chaos kommen könnte.
Trumps Anhänger jedenfalls haben Schuldige schon ausgemacht: Senator J. D. Vance, der als Vizepräsidentenkandidat gehandelt wird, macht Präsident Biden persönlich für die Attacke verantwortlich. Bidens Wahlkampagne sei komplett darauf ausgerichtet, Trump als autoritären Faschisten darzustellen, der um jeden Preis gestoppt werden müsse, schreibt Vance. „Diese Rhetorik führte direkt zum versuchten Attentat auf Präsident Trump. Auch Trumps Sohn Donald Junior meint, die „Demokraten und ihre Freunde in den Medien“ hätten genau gewusst, was sie taten, als sie Trump mit Hitler verglichen hätten und vor einem Untergang der Demokratie unter ihm gewarnt hätten.
Trump selbst schreibt nach der Attacke bei Truth Social, Gott allein habe ihn beschützt und das Undenkbare verhindert. Und dies: „In diesem Moment ist es wichtiger denn je, dass wir zusammenstehen und unseren wahren Charakter als Amerikaner zeigen, indem wir stark und entschlossen bleiben und nicht zulassen, dass das Böse gewinnt.“
Das klingt fast staatsmännisch. Kritiker aber dürften bezweifeln, dass er es ernst meint. Seit jeher inszeniert sich Trump als einen, den seine politischen Gegner mit allen Mitteln loswerden wollen. Schon die vier Strafverfahren gegen ihn setzte er erfolgreich ein, um seine Anhänger zu mobilisieren und Spenden zu sammeln. Wenige Stunden nach den Schüssen verschickt sein Team dann die erste Wahlkampf-SMS mit den Worten: „Ich werde nie aufgeben“ – und einem direkten Link zur Spenden-Webseite. Trump liegt in Umfragen ohnehin vor einem strauchelnden Biden. Die Attacke könnte dem Republikaner einen weiteren Schub bringen.
Die Biden-Kampagne muss sich dagegen neu sortieren. Das Wahlkampfteam stoppte vorerst seine gesamte Kommunikation samt Wahlwerbespots. Biden selbst hat eine Ansprache an die Nation angekündigt und das Land zum Zusammenhalt aufgerufen. Der Präsident hat eigentlich ganz andere Sorgen. Bis zu den Schüssen auf Trump sah es so aus, als könnte der 81-Jährige auf Druck seiner Partei hinschmeißen. Doch das rückt vorerst in den Hintergrund.