München – Es sind keine Tränen, aber zumindest feuchte Augen. Das Stabsmusikkorps der Bundeswehr spielt Hildegard Knefs „Für mich soll‘s rote Rosen regnen“. Dieses Lied hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel selbst ausgesucht – zum Abschied, zum Ende einer Ära. Nach dem großen Zapfenstreich für die scheidende Kanzlerin Ende 2021 verschwindet sie praktisch von der Bildfläche. Es wird ruhig um sie, sehr ruhig.
Erst ein halbes Jahr später lässt sich Merkel wieder in der Öffentlichkeit blicken. Dafür stellt sie sich eineinhalb Stunden lang den Fragen des Spiegel-Journalisten Alexander Osang. Anlass dafür ist eigentlich das frisch veröffentlichte Buch „Was also ist mein Land?“ mit drei Reden der Ex-Kanzlerin. Die 700 Sitze des Berliner Ensembles sind voll besetzt, um das Buch an sich geht es aber nur wenig. Zu Beginn plaudert Merkel aus dem ganz eigenen Nähkästchen. Sie erzählt, wie sie sich nun ihre Zeit vertreibt – an die Ostsee reisen und Hörbücher wie Macbeth hören.
Doch in diesem halben Jahr hat sich die weltpolitische Lage drastisch geändert: Plötzlich herrscht Krieg in Europa. Merkel selbst lenkt das Gespräch immer wieder auf das Thema, schließlich ist es das erste Mal, dass sie sich zum Ukraine-Krieg äußert. Sie beschreibt, wie sie in den letzten Monaten ihrer Amtszeit bereits Putins Truppenbewegung verfolgte. Und sie stellt auch klar: Für ihre Russland-Politik werde sie sich „nicht entschuldigen“.
Danach scheint das Schweigen gebrochen, denn von da an absolviert die Kanzlerin a. D. wieder regelmäßig öffentliche Termine. Gleich zweimal trifft Merkel seither ihren damaligen US-Amtskollegen und Ex-Präsidenten Barack Obama. Die beiden standen sich schon in ihren acht gemeinsamen Amtsjahren sehr nahe.
Es folgen Preisverleihungen, Festakte, kleinere Besuche – zehn öffentliche Auftritte absolviert sie 2022, dann 15 im Jahr 2023 und in diesem Jahr waren es bereits elf. Alles fein säuberlich vom Büro der Ex-Kanzlerin dokumentiert. Keine willkürlichen Termine.
Im Juni 2023 etwa verleiht Ministerpräsident Markus Söder (CSU) der einstigen Bundeskanzlerin den Bayerischen Verdienstorden – für ihren Einsatz in krisengeprägten Zeiten. Bemerkenswert angesichts großer Verstimmungen zwischen der CDU-Kanzlerin und der Schwesterpartei CSU während und nach der Migrationskrise 2015/16.
Für Überraschung sorgt Merkel, als sie im Mai 2024 für einen ihrer doch seltenen Auftritte ausgerechnet den Abschied des Grünen-Politikers Jürgen Trittin wählt – und dabei eine Rede hält. Ihrer CDU widmet sie dagegen wenig Aufmerksamkeit, erscheint nur zu offiziellen Staatsakten, wie im Januar für den verstorbenen Ex-Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble (CDU).
Zwar hat sich Angela Merkel zurückgezogen, etwas zu sagen hat sie trotzdem noch. In ihrem Buch „Freiheit“ befasst sie sich mit 35 Jahren voller politischer Erinnerungen – darunter 16 Kanzlerjahre. Memoiren auf 736 Seiten. Ab dem 26. November 2024 ist das Buch (Verlag Kiepenheuer & Witsch) für 42 Euro erhältlich.
Vielleicht steckt Merkel gerade so sehr in den letzten Vorbereitungen ihrer Buch-Veröffentlichungen, dass sie es dieses Jahr nicht zu den Bayreuther Festspielen schafft. Weder zur Eröffnung am 25. Juli noch zu einem andern Zeitpunkt, heißt es aus ihrem Büro. Eigentlich ist die Alt-Kanzlerin dort Stammgast; für nächstes Jahr habe sie zumindest schon eine Teilnahme signalisiert, teilt die Stadt Bayreuth mit.
Bis dahin dürfte es noch einige Auftritte im Rahmen ihres neuen Buchs geben – das bedeutet auch, für die üblichen Fotos zu posieren. Auf jedem der bislang von ihrem Büro veröffentlichten Fotos hält Merkel ihre Hände übrigens immer ineinandergelegt vor ihrem Körper – die klassische Merkel-Raute war wohl nur für die Kanzlerinnen-Jahre reserviert.
LEONIE HUDELMAIER