Baywa-Beben erschüttert den Freistaat

von Redaktion

Die Baywa-Zentrale in München. © Picture Alliance

Eingebrochen: Der Aktienkurs leidet nachhaltig unter den schlechten Nachrichten. © Grafik: pms/MM

Das „Tandem“: Klaus Josef Lutz mit Manfred Nüssel (links), der bis 2023 Aufsichtsratschef bei der Baywa war. © imago

Damals noch geeint: Baywa-Chef Marcus Pöllinger (45) und sein Vorgänger Klaus Josef Lutz (66) 2022 auf einer Benefizgala. © pa

München – Februar 2023: Baywa-Chef Klaus Josef Lutz und Manfred Nüssel, der den Aufsichtsrat des Agrarriesen leitet, schlendern durch die Isarphilharmonie. Es gibt Rotwein, Häppchen und Freundschaftsbekundungen: Zwischen ihm und Nüssel sei es „Liebe auf den ersten Blick“ gewesen, schwärmt Lutz, der zum 100. Geburtstag seiner Baywa geladen hat. Auf der Bühne singt Sarah Connor, die für viel Geld als Stargast eingekauft wurde. Auch der designierte Lutz-Nachfolger Marcus Pöllinger ist da und lässt sich mit Festredner Django Asül fotografieren, der als „Agrar-Batman“ auftritt.

Das opulente Fest ist kaum mehr als ein Jahr her – und doch ein Rückblick in andere Zeiten. Heute steckt die Baywa, an der Bauern und Genossenschaftsbanken große Anteile besitzen, in einer tiefen Krise. Die Schulden drücken, das Geschäft stockt, die Dividende wurde gestrichen. Vor etwa einer Woche folgte der vorläufige Tiefpunkt: Die Baywa musste einräumen, dass ein Sanierungsgutachten bestellt wurde. Das passiert meist dann, wenn Banken wissen wollen, ob sie einer Firma überhaupt noch Kredite geben können. Seit dem Festakt im Februar 2023 ist die Baywa-Aktie um zwei Drittel abgestürzt, das meiste in den vergangenen Tagen. Vorstand und Aufsichtsrat wirken geschockt, schweigen zum Kursdebakel. Und Lutz (66), Nüssel (76), Pöllinger (45)? Stecken mittendrin in einer Schlammschlacht.

Auf weltweitem Expansionskurs

Wer wissen will, wie das passieren konnte, muss im Jahr 2008 anfangen. Lutz wurde Baywa-Chef, wollte das langweilige Landunternehmen zum globalen Agrarkonzern umbauen und – netter Nebeneffekt – mit wachsendem Geschäft mehr Dividende ausschütten. 2010 expandierte die Baywa in Erneuerbare Energien, 2011 kaufte sie den riesigen Obsthändler T&G Global aus Neuseeland, 2012 den globalen Getreidehändler Ceftera aus Rotterdam, der auch Spezialitäten wie Sesam oder Chiasamen handelt. Gut 500 Beteiligungen hat der Konzern heute, der Umsatz hat sich auf 24 Milliarden Euro verdreifacht. Der Lohn: 240 Millionen Rekordgewinn im Jahr 2022, der jedoch auch daher rührte, dass die Preise für Weizen, Düngemittel, Baustoffe und Treibstoffe in Folge des Ukraine-Krieges durch die Decke gingen. Aktionäre freuten sich über 1,10 Euro Dividende, dreimal so viel wie 2008.

Nach dem Höhenflug folgte der Absturz. Ein Teil war Pech: Ein Sturm hinterließ eine Schneise der Verwüstung in den Apfelplantagen des Konzerns. Das Geschäft mit Solarparks, in dem weit über drei Milliarden Euro gebunden sind, ist wegen Dumping-Preisen aus China unter Druck. Und die Konjunkturschwäche lastet bleiern auf dem Baugeschäft. Es liegt aber wohl auch an der Expansion: Um Zukäufe zu finanzieren, verkaufte die Baywa dutzende Niederlassungen sowie die Firmenzentrale und mietete sie dann zurück. Gut eine Milliarde Euro an stillen Reserven sollen aufgezehrt worden sein, rechnet ein Insider vor. Die Dividende stieg trotzdem. Gleichzeitig türmen sich die Schulden auf heute knapp sechs Milliarden Euro. In den Nullzinsjahren kein Problem, doch seit die Zinsen hoch sind, drücken sie der Baywa die Luft ab. Allein 2023 musste sie 300 Millionen Euro an Zinsen zahlen, was der Traditionsfirma den ersten Verlust ihrer langen Geschichte bescherte, Dividendenstreichung inklusive.

Fragt man nach der Schuld für die Misere, richten sich viele Finger auf Ex-Chef Lutz, aktuell mächtiger Präsident der IHK für München und Oberbayern. Auch sein Nachfolger Pöllinger, seit April 2023 im Amt, hat diese Lesart nach Kräften befördert, um sich selbst aus der Schusslinie zu bringen. Kurz bevor er den Verlust für 2023 melden musste, merkte er in einem Interview an, die Baywa sei unter Lutz zu schnell gewachsen. Auch wegen seines Charakters taugt Lutz als Sündenbock. Er gilt als charismatisch, Ex-Mitarbeiter beschrieben ihn aber auch als „Despot“ und „aufbrausend“. Dazu passt sein Abgang: 2023 beendete er seinen CEO-Vertrag vorzeitig, kassierte 6,7 Millionen Euro Abfindung, übergab an Pöllinger und wurde ohne die sonst übliche Pause direkt Chef des Aufsichtsrats. Von dort aus lieferte Lutz sich einen erbitterten Machtkampf mit seinem Nachfolger, den er in einer denkwürdigen und lauten Aufsichtsratssitzung im Januar verlor – und daraufhin seinen Hut nahm.

Im Tandem mit der Raiffeisen

Doch niemand führt einen Konzern im Alleingang. Kritik gibt es deshalb auch an einer weiteren Schlüsselperson: Manfred Nüssel, langjähriger Präsident des Raiffeisen-Verbands. Der einflussreiche Funktionär saß ab 1983 im Aufsichtsrat der Baywa, war bis 2023 Vorsitzender. „Nüssel und der Aufsichtsrat tragen eine große Mitschuld an der heutigen Lage“, sagt ein Kenner. „Statt seiner Aufgabe nachzukommen und Lutz zu kontrollieren, hat ihn Nüssel immer vorbehaltlos unterstützt.“ Der Rest des Aufsichtsrats sei faktisch ausgeschaltet worden, Mitglieder wie die CSU-Politikerin Monika Hohlmeier oder Bauernpräsident Joachim Rukwied seien in Finanzdingen ohnehin nicht besonders firm gewesen. „Wer Kritik äußerte, wurde als Nestbeschmutzer beschimpft.“

Die Verbindung der Duz-Freunde und CSU-Parteikollegen war so eng, dass die beiden als „Tandem“ galten. Pikant: Nüssel leitete auch bei der Raiffeisen-Beteiligungsgesellschaft BRB den Aufsichtsrat – nach Maßstäben guter Unternehmensführung problematisch. Die BRB besitzt 34 Prozent der Baywa-Aktien, ist damit größter Anteilseigner und dominiert die Baywa-Hauptversammlung. „Nüssel hat so faktisch sein eigenes Gehalt und das von Lutz in der Hauptversammlung abgenickt, inklusive der Millionenabfindung zum Ende der Amtszeit“, sagt der Baywa-Kenner, der weitere Vorwürfe erhebt. So habe die Baywa 2015 ein defizitäres Unternehmen gekauft, in dem Nüssel im Aufsichtsrat war und das Familienmitglieder von Nüssel beschäftigt: die PC Agrar. Bis zum Verkauf an AGCO in diesem Jahr sei sie für die Baywa ein Verlustbringer gewesen.

Die bittere Pointe: Die Männerfreundschaft Lutz-Nüssel ging irgendwann in die Brüche, nicht zuletzt wegen Pöllinger. Für Nüssel soll Pöllinger immer der Wunschkandidat für die Lutz-Nachfolge gewesen sein. Auch für Lutz war das in Ordnung, immerhin hatte er Pöllinger gefördert. Als Pöllinger Lutz auf dem Chefsessel ablöste, Vertraute seines ehemaligen Mentors vor die Tür setzte und andere Berater anheuerte, kam es zum Machtkampf. Dabei soll sich Nüssel auf Pöllingers Seite geschlagen und vor der Sitzung des Aufsichtsrats im Januar eine Mehrheit gegen Lutz organisiert haben, woraufhin dieser Hals über Kopf zurücktrat.

Und Lutz? Hat lange geschwiegen. Er sei über die Lage der Baywa „überrascht und entsetzt“, sagt er nun unserer Zeitung. Die Schieflage „verwundert angesichts der Tatsache, dass der Vorstand auf der Baywa-Hauptversammlung vor wenigen Wochen noch die Rückkehr zu schwarzen Zahlen angekündigt hatte“, so Lutz. „Krisen kann man bewältigen“, sagt er mit Blick auf das aktuelle Management. „Aber dazu braucht es eine überzeugende Kommunikation und schnelle Handlungsfähigkeit.“ Das Umfeld des Ex-Chefs spricht sogar von „Rufmord“ und einer „Verleumdungskampagne“. Lutz habe an Pöllinger ein gesundes Unternehmen übergeben. Im Frühjahr 2024 sei es aber zu Liquiditätsproblemen gekommen, als eine Anleiheauktion über 250 Millionen Euro platzte. Das passierte unter der Verantwortung Pöllingers. „Das hat extreme Unsicherheit geschürt.“ Und: Pöllinger sei seit 2008 bei der Baywa gewesen, seit 2018 im Vorstand. Ganz so einfach könne er sich nicht aus der Verantwortung stehlen, sagen Lutz-Vertraute. Sie bringen sogar eine Rückkehr von Lutz als Baywa-Retter ins Spiel – „sofern die Baywa-Mitarbeiter darum bitten“.

Der Baywa drohen turbulente Monate

Soweit die Spekulationen, Gerüchte, Vorwürfe. Die Lage ist verworren, und nach dem Machtkampf im Konzern läuft nun die Schlacht um die Deutungshoheit. Klar ist: Die nächste Zeit wird schwer für das angeschlagene Unternehmen. Es soll zwar nicht überschuldet sein, das heißt die Summe der Vermögenswerte übertrifft die Verbindlichkeiten. Doch scheint es Liquiditätsprobleme zu geben. Laut Insidern muss die Baywa 2025 Schulden in Milliardenhöhe refinanzieren, zwei Milliarden davon stecken in einem auslaufenden Konsortialkredit mit angeblich guten Konditionen von Geldgebern wie DZ Bank, LBBW, Commerzbank oder Hypo-Vereinsbank. Viel wird davon abhängen, wie das Sanierungsgutachten ausfällt, das die Unternehmensberatung Roland Berger in den kommenden Wochen vorlegen will. Das Gutachten ist die Voraussetzung für die Gewährung neuer Bankkredite. Parallel will die Baywa mit Beteiligungsverkäufen Geld ranschaffen. „Gut möglich, dass sie dann wieder auf ihre ursprüngliche Größe zusammenschrumpft“, unkt ein Insider.

Die Baywa muss zudem das Vertrauen der Bauern zurückgewinnen. Nicht nur, weil viele von ihnen zu den Kleinaktionären des Unternehmens gehören (siehe Interview), die schon jetzt unter dem Kurssturz und der Dividendenstreichung leiden. Sondern auch, weil sie zentrale Geschäftspartner sind. Diese Woche musste die Baywa die Landwirte schon beruhigen, dass genug Geld vorhanden sei, ihnen ihr Getreide abzukaufen. Auch das zeigt die tiefe Krise des Unternehmens, das Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger mal „die zweitwichtigste Institution auf dem Land neben der katholischen Kirche“ nannte. Am Freitag sah es nicht nach Beruhigung aus: Der Baywa-Kurs purzelte nach neuen Panikverkäufen auf ein Rekordtief knapp über zwölf Euro, vom 2022 unter Lutz erreichten Börsenwert von 1,8 Milliarden Euro ist nur noch ein Viertel übrig.

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