Seit elf Jahren ein Paar: Kamala Harris und ihr Mann Doug Emhoff, der vielleicht künftige First Gentleman. © Picture Alliance
Ein Herz zur Begrüßung: Markus Söder überreicht Harris im Februar ein Willkommensgeschenk. © Tobias Schwarz/afp
Kann sie Donald Trump schlagen? Kamala Harris wird wohl anstelle von Amtsinhaber Joe Biden für die US-Demokraten ins Präsidentschaftsrennen gehen. © Ryan Collerd/afp
München – Es ist erst ein paar Wochen her, da saß Kamala Harris auf einem Podium und sagte einen Satz, der heute fast prophetisch klingt. Noch hatte es das verheerende TV-Duell zwischen Joe Biden und Donald Trump nicht gegeben, noch war die Debatte um die Amtsfähigkeit des Präsidenten nicht entbrannt. Und ein Attentat auf Trump schien undenkbar. Harris jedenfalls sagte, manchmal öffneten andere Menschen einem Türen und ließen sie offen, manchmal aber auch nicht. „Und dann muss man die verdammte Tür eintreten.“
Seit Sonntag steht die Tür für die US-Vizepräsidentin weit offen. Oder nicht? Streng genommen weiß man das nicht so genau. Einerseits hat Joe Biden seinen Rückzug mit der Empfehlung an die Demokraten verknüpft, die 59-Jährige ins Rennen gegen Trump zu schicken. Andererseits könnte es sein, dass sich die Tür doch noch mal ein wenig schließt. Denn neben viel Unterstützung gibt es auch das Schweigen einflussreicher Demokraten: Weder Nancy Pelosi noch Barack Obama haben sich bisher klar für sie ausgesprochen. Manche fordern ein offenes Kandidatenrennen.
Dass sich die Demokraten nicht gleich alle hinter Harris versammeln, hat auch mit ihr selbst zu tun und mit der Frage, ob sie die Richtige ist, um Trump zu schlagen. Nicht wenige zweifeln daran. Mit ihr hätte die Partei zwar einen harten Gegenentwurf zum Republikaner. Während er aber seit dem Attentat ein Momentum hat, fehlt ihr bisher die neue, starke Geschichte. Die Amerikaner haben Harris in den letzten dreieinhalb Jahren nicht als strahlende Figur erlebt: Sie wirkte oft farblos, bewirkte wenig. Sie ist ähnlich unbeliebt wie Biden oder Trump.
Dabei war ihr Start mit viel Hoffnung verknüpft. Biden entschied sich 2020 sehr bewusst für Harris, die nicht weniger verkörpern sollte als die Zukunft des Landes. Schon damals fragte man sich, wie lange Biden als Präsident wohl durchhalten würde, Harris sollte sich neben ihm für die Nachfolge warmlaufen.
Dass sie sich auch ohne Türöffner durchsetzen kann, hatte sie mehrfach bewiesen. Als Tochter eines Jamaikaners und einer Inderin machte Harris als Juristin Karriere. In einem Interview sagte sie mal, sie habe nicht nur „auf der Straße nach Gerechtigkeit rufen“, sondern im System wirken wollen, „wo ich nicht um Erlaubnis fragen muss, um zu verändern, was verändert werden muss“. Die Karriere verlief ziemlich steil: Staatsanwältin in San Francisco, ab 2011 Justizministerin und (als erste schwarze Frau) Generalstaatsanwältin von Kalifornien. 2016 wurde Harris in den Senat gewählt, wo sie 2019 US-Justizminister William Barr mit Fragen grillte. Anlass: der Sonderbericht zu Trumps Russlandaffäre.
Es ist nicht ganz frei von Ironie, dass die Ex-Staatsanwältin mit „Law-and-Order“-Ruf nun wohl gegen einen Mann antritt, der zuletzt ähnlich oft vor Gericht erschien wie auf Wahlkampfbühnen. „Politisch war Harris oft dann besonders gut, wenn sie die Rolle der Strafverfolgerin einnahm“, analysiert die „New York Times“. Im kommenden Kurz-Wahlkampf könne ihr das nutzen, weil sie Trumps Schwächen freilegen könne.
Von ihrem Biss spürte man in den vergangenen Jahren allerdings kaum etwas. Manche meinen, das sei dem Amt selbst geschuldet gewesen, das Harris zur Nebenfigur mit einer einzigen Aufgabe degradiert habe: Biden glänzen zu lassen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Harris dort, wo sie hätte wirken können, wenig zustande brachte.
Gleich zu Beginn vertraute Biden seiner Vize-Präsidentin das undankbare Megathema Migration an. Sie sollte den Druck auf die US-Grenze angehen und mit südamerikanischen Staaten über Lösungen verhandeln. Aber es dauerte nicht lange, bis Harris sich doppelt verstolperte. Erst brachte sie die Progressiven in der Partei gegen sich auf, als sie potenziellen Einwanderern in Guatemala zurief: „Kommen Sie nicht!“ Kurz darauf nagelte sie ein hartnäckiger NBC-Journalist fest. Warum sie selbst noch nicht an der Grenze gewesen sei, wollte er wissen. Harris antwortete: „Ich war auch noch nicht in Europa. Worauf wollen Sie hinaus?“
Das Vertrauen in ihre Kompetenz bei dem Thema steigerte das nicht gerade. Hinzu kommt: Bis heute hat sich die Migrations-Lage verschlechtert, das Thema polarisiert die USA enorm, die Republikaner nutzen das selbstverständlich aus. Trumps Kandidat für den Vize-Posten, J.D. Vance, schrieb noch am Sonntag, Harris habe Bidens „Politik der offenen Grenzen und des grünen Betrugs“ mitzuverantworten. Außerdem habe sie „fast vier Jahre lang über Bidens geistige Fähigkeiten gelogen“.
Das Team Trump hat seine Strategie gegen Harris längst gefunden, die Attacke läuft. Man will die Kalifornierin als durchgeknallte Großstadt-Liberale darstellen, als noch schlimmere Version von Biden. Trump hat ihr schon einen seiner berüchtigten Spitznamen verpasst: „Laffin Kamala“ – die Frau mit dem wahnsinnigen Lachen.
Man kann in alldem auch die republikanische Sorge sehen, mit Harris eine weniger berechenbare Gegnerin zu haben. Ihr großer Vorteil liegt auf der Hand: Sie ist fast 20 Jahre jünger als Trump. Neben Biden mag er agil gewirkt haben, neben Harris stünde er plötzlich wie ein Opa da. Die republikanische Trump-Herausforderin Nikki Haley prophezeite vor einigen Monaten, gewinnen werde die Partei, die als erste ihren 80-jährigen Kandidaten loswerde. Die Sorge dürfte real sein unter den Republikanern.
Vieles wird davon abhängen, ob Harris neue und verloren gegangene Wähler mobilisieren kann. Ihr klares Bekenntnis zum Recht auf Abtreibung kommt bei vielen Frauen gut an, ihr kritischer Blick auf Israels Vorgehen in Gaza könnte aufgewühlte Parteilinke besänftigen. Klar ist: Europa könnte gut mit ihr leben, besser jedenfalls als mit Trump. Bei der Münchner Sicherheitskonferenz beruhigte sie erst in diesem Jahr die aufgeregten Gemüter, nachdem Trump gedroht hatte, die europäischen Nato-Partner nicht vor Russland schützen zu wollen. Harris dagegen steht ebenso klar zu den Partnern wie zur angegriffenen Ukraine.
Und trotzdem gilt: Entschieden ist nichts. Ob die Demokraten bei ihrem Parteitag im August Harris küren oder einen Wettbewerb zulassen, ist unklar. Bisher stellt niemand Harris offen infrage. Parteifreunde, die ebenfalls als Kandidaten gehandelt wurden, haben ihr Unterstützung zugesagt – darunter die Gouverneure Gavin Newsom (Kalifornien), Josh Shapiro (Pennsylvania) und Roy Cooper (North Carolina). Obama, der zu Harris schweigt, ist sich immerhin sicher, dass „ein herausragender Kandidat“ gefunden werde. Die Tür für Harris, sie steht dreiviertel offen.