Paris – die Stadt der Spiele

von Redaktion

Ein Obdachloser schläft direkt am Louvre an einem Metro-Schacht, aus dem warme Luft strömt. © Matthias Tödt/pa

Anne Hidalgo, Bürgermeisterin von Paris, schwamm in der Seine, um zu zeigen, dass der Fluss sauber genug für Olympia ist. © AFP

Ein Arbeiter stellt Absperrgitter auf, im Hintergrund der Eiffelturm mit den olympischen Ringen. © MANAN VATSYAYANA/AFP

Schöne Bilder, gute Laune: Besucherinnen posieren in Paris vor den olympischen Ringen. © YEON-JE/afp

Paris – Vor einigen Tagen ergab sich ein Bild, das die Hochglanz-Marketing-Maschinerie der Olympischen Spiele nicht besser hätte inszenieren können. Der Mond schmiegte sich genau in einen der olympischen Ringe am beleuchteten Eiffelturm. Da war sie, die heile Welt von Paris, über die in den kommenden Wochen alle staunen sollen. Aus der Stadt der Liebe wird die Stadt des Sports.

Am heutigen Freitag werden die Olympischen Spiele feierlich eröffnet. Die Nationen fahren mit Booten über die Seine an den Sehenswürdigkeiten der Stadt vorbei, 10 000 Sportler aus 206 Nationalen Olympischen Komitees. Mindestens 300000 Menschen werden an der Strecke erwartet. Nach London 2012 die ersehnte Rückkehr des größten Sportevents nach Europa. „In Paris werden 11 000 Stunden Content produziert, so viel wie nie zuvor, bei 3000 Stunden Sport“, sagt IOC-Mitglied Michael Mronz unserer Zeitung: „Das werden mit Sicherheit die Spiele mit der größten medialen Strahlkraft werden. Die mediale Interessenlage ist gigantisch.“

Eigentlich wäre das auch die perfekte Bühne für den französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron, der sich noch im März beim Boxen fotografieren ließ, kämpferischer Gesichtsausdruck, angespannter Bizeps, geballte Fäuste. Doch das Schwergewicht taumelt. Die Regierung Mitte Juli zurückgetreten, bis nach den Spielen soll sie im Amt bleiben. „Bis Mitte August müssen wir uns auf die Olympischen Spiele konzentrieren. Danach ist es meine Aufgabe, je nach Stand der Diskussionen einen Premierminister oder eine Premierministerin ernennen“, sagte Macron dem Sender France 2. Zuvor hatte er im Palais Congres versichert, „dass ich den nächsten Premierminister bitten werde, nicht nur die Garantie zu unterschreiben, sondern auch ein Olympia-Gesetz als Priorität der neuen Regierung anzusehen“, das sollte IOC-Präsident Thomas Bach besänftigen. Es half, die Winterspiele 2030 wurden in die französischen Alpen vergeben, zumindest unter Auflagen.

Die Spiele von Paris sollen für das neue Olympia stehen. Statt höher, schneller, weiter nun nachhaltig, modern und gleichberechtigt. 95 Prozent der Sportstätten waren bereits vorhanden, der CO2-Fußabdruck soll im Vergleich zu London 2012 und Rio 2016 um 50 Prozent reduziert werden.

1,4 Milliarden Euro investierte Paris, um aus der Kloake Seine eine Wettkampfstätte für die Freiwasserschwimmer zu machen. Bürgermeisterin Anne Hidalgo nutzte ein Bad in der Seine, um öffentlichkeitswirksam zu zeigen, dass der Fluss auch wirklich sauber ist. Und dass Paris bereit ist für Olympia, egal wie groß die Anstrengungen auch sind. Es sind Spiele mit einer enormen sportpolitischen Dimension.

Inmitten der politischen Anspannung und der Spaltung im Land setzt Marcon voll auf die Karte Olympia. Beachvolleyball vor dem Eiffelturm, Reiten vor dem Schloss Versailles, Skateboarding und Breaking am Place de la Concorde. Die Arrondissements sind auf Hochglanz poliert, die Spiele in der Stadt allgegenwärtig. Alles soll perfekt sein, da geht es auch schon mal 6,5 Millionen kleinen Bewohnern von Paris an den Kragen. „Dort, wo es viele Ratten gab, haben wir vor den Spielen Fallen aufgestellt“, sagte Vize-Bürgermeisterin Anne-Claire Boux. 7500 Mitarbeiter der Reinigungs- und Sammelteams der Stadt sollen für einen makellosen Eindruck bei den Besuchern aus aller Welt sorgen – über 15 Millionen werden erwartet. Ratten und Müll passen da nicht ins Bild.

Die Obdachlosen wurden verbannt

Was aus Sicht der Verantwortlichen auch nicht ins Bild passt, sind Obdachlose. Sie werden mit Bussen in andere Städte gebracht, Camps werden geräumt. Ein Zusammenschluss mehrerer Hilfswerke „Le Revers de la Médaille“ (Die Kehrseite der Medaille) spricht in einem Bericht von einem drastischen Anstieg der Räumungen, immer wieder werfen Hilfsorganisationen eine „soziale Säuberung“ vor. Der Bericht beschreibt die neue Realität der französischen Hauptstadt während Olympia so: „Eine sterile Stadt des Lichts, ohne sichtbares Elend, mit ,sauberen Vierteln‘ ohne Bettler, Drogen und Prostitution.“ Es scheint in diesen Tagen das Motto Frankreichs zu sein, vorgegeben von Macron, alle Probleme erst mal zur Seite zu schieben. Um die kann man sich nach Olympia kümmern.

Spaziert man dieser Tage durch diese frisch gesäuberte Stadt, trifft man auf viele genervte Bewohner, die nur noch mit QR-Codes in ihr Viertel kommen, überall sind Sicherheitszonen eingerichtet, Bereiche weitläufig abgesperrt. Viele Einwohner sind schon vor dem großen Trubel geflohen, haben ihre Wohnungen vermietet. Die Sicherheitsmaßnahmen hätten „katastrophale Folgen“ für viele lokale Betriebe, warnten die Wirtschaftsverbände Le Sneg & Co und Culture Nuit.

Die Hotels der Sportler und Journalisten sind alle bewacht, Polizisten mit Maschinengewehren patrouillieren an jeder Ecke. Die Sorge vor einem Anschlag ist riesig, seit März gilt die höchste Terrorwarnstufe im Land. Frankreichs Innenminister Gérald Darmanin sagte der Zeitung „Le Parisien“, man habe bereits zwei nachgewiesene Anschlagspläne auf Olympia vereitelt (siehe dazu auch den Text unten). Am Mittwoch sorgte eine verdächtige Tasche in der Nähe des Parc des Princes für Sprengstoffalarm, am Abend spielte dort die israelische Fußballmannschaft.

Es sind auch die Spiele der Konflikte. Ukrainische Sportler können auf russische Sportler treffen, das Olympische Komitee Palästinas hatte zuletzt den Ausschluss Israels von den Spielen gefordert. „Unterschiedliche Gemengelagen der Weltpolitik wirken sich immer auch auf die Sportereignisse aus. Das war bei der Europameisterschaft schon so, bei den Olympischen Spielen multipliziert sich das noch mal durch die Reichweite und die Anzahl der teilnehmenden Nationen“, sagt Prof. Dr. Jürgen Mittag von der Deutschen Sporthochschule unserer Zeitung.

Die spektakulären Bilder der Superstars werden ohnehin in die Welt transportiert, Paris muss sich vor allem als sicherer Gastgeber präsentieren. 35 000 Polizisten und Gendarmen sowie 18 000 französische Militärangehörige sind täglich im Einsatz. Die Eröffnungsfeier auf der Seine mit mehr als hundert Spitzenpolitikern sorgte für große Bedenken bei den Sicherheitsbehörden, doch Macron setzte sich durch und sagte kürzlich, dass er sich auf einen Auftritt von Superstar Céline Dion sehr freuen werde. Viele schöne Bilder, ablenken, da ist es wieder!

Céline Dion und Lady Gaga singen

Sportpolitik-Experte Mittag bezweifelt, dass der Plan für den französischen Präsidenten aufgehen wird: „Angesichts des für Macron schwierigen Wahlergebnisses und der anhaltenden Debatte um die Regierungsbildung in Frankreich wird die Aufmerksamkeit nicht so ungeteilt wie ursprünglich erhofft Macron und der Exekutive gelten, sondern auch anderen politischen Kräften zuteilwerden.“

Thomas Weikert, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) sagte unserer Zeitung, dass sich alles auf den Sport konzentrieren wird, sobald die ersten Medaillen vergeben werden. Sorge, dass Konflikte die Spiele überlagern, habe er keine. Darauf baut auch Macron. Wie zuletzt bei der Fußball-EM in Deutschland soll der Sport für Euphorie sorgen und Politik-Verdruss verdrängen. Beim Auftakt der französischen Rugby-Nationalmannschaft sorgten 69 000 Zuschauer im ausverkauften Stade de France für eine fantastische Stimmung. Die sportlichen Erfolge Frankreichs könnten dann sogar den ein oder anderen genervten Pariser zum Jubeln bringen. Goldmedaillen gegen die Sorgen.

Während Dion und Lady Gaga bei der Eröffnungsfeier Piaf-Songs vortragen, kann Macron noch mal durchatmen. Dann muss der taumelnde Boxer die Kraft von Olympia und den größten Sport-Superstars dieser Welt nutzen, um den Knockout zu verhindern.

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