Der zukünftige Truppenübungsplatz. Hier wird im Moment noch eifrig gebaggert.
Neugebaute Straßen schlängeln sich durch das Areal. Darauf sollen später die Panzer zum Truppenübungsplatz fahren
Die Dorfstraße des Städtchens Rudninkai ist die Hauptverkehrsroute auf das Militärgelände der Panzerbrigade 45.
Presseoffizier Norman Möller blickt auf den Plan für das Militärgelände: Ende 2027 soll der Stützpunkt einsatzfähig sein.
Noch ist der litauische Ort grün: Oberstleutnant O. ist für die Infrastruktur in der Kaserne zuständig. Dafür wurden 40 Hektar Wald gerodet. © Fotos: Sabrina Proske
Rudninkai – Der schwarze SUV der Bundeswehr bahnt sich an diesem Nachmittag seinen Weg durch den dichten Vilniuser Stadtverkehr in Richtung Süden. Sein Ziel: das etwa 40 Kilometer von der Hauptstadt entfernte Städtchen Rudninkai, nahe der belarussischen Grenze. Dort soll ein riesiger Militärstützpunkt der Bundeswehr buchstäblich aus dem Waldboden gestampft werden.
Bislang gibt es bis auf viel Natur noch nicht viel zu sehen. Ein Storch stolziert erhaben durch das hohe Gras, ein scheues Reh huscht ins Dickicht, ringsum erstreckt sich vor allem eines: dichter, unberührter Wald. Innerhalb von drei Jahren soll an diesem idyllischen Ort alles bereitstehen, was eine Kampfbrigade aus 4800 Soldaten braucht. Dazu kommen 200 zivile Mitarbeiter. Sie alle sind Teil der Panzerbrigade 45 – der litauischen Brigade, die ab Ende 2027 die Ostflanke des Nato-Bündnisses darstellen wird und für eine sichtbare Abschreckung gegenüber Russland sorgen soll.
■ Die Kaserne braucht eine Infrastruktur
Inmitten dieser malerischen Landschaft lenkt Infrastrukturstabsoffizier Oberstleutnant O. nun seinen Geländewagen in die Zufahrtsstraße zum Militärgelände. „Wir erschaffen hier etwas aus dem Nichts“, verkündet er stolz. Der Stabsoffizier ist Teil eines 21-köpfigen Vorkommandos, das am 8. April dieses Jahres seinen Dienst in der litauischen Hauptstadt Vilnius angetreten hat und nun für die umfassende Planung der gesamten Infrastruktur der neuen Soldatenheimat beauftragt ist. Panzerhallen, Sportplätze, Stabsgebäude und Kantine – für all das ist der Oberstleutnant zuständig. „Am Freitag wurde ich angerufen. Bis Montag sollte ich mir überlegen, welche Gründe dagegen sprechen, nach Vilnius zu gehen“, erzählt er mit einem breiten Lachen. Eine solche Chance bekäme er nie wieder. Wie oft wird innerhalb von drei Jahren eine ganze Kaserne aus dem Boden gestampft?
Er entschied sich, Deutschland zu verlassen. Auf die Frage, wie viele Kameraden wann genau folgen werden, gibt es nur vage Antworten. Derzeit läuft die Rekrutierung auf Hochtouren. Der Dienst im Ausland müsse attraktiv gemacht werden und veraltete Regelungen angepasst werden, sagt Oberst André Hastenrath, der Führer des Vorkommandos. Bisher erfolge alles freiwillig, erklärt er. Doch sollte das nicht funktionieren, könnten auch Versetzungen angeordnet werden.
Oberstleutnant O. fährt nun durch den Ortskern von Rudninkai. Hier reihen sich ein Gemeindehaus, das einst zu Sowjetzeiten als Tanzlokal diente, ein Tante-Emma-Laden und einige farbenfrohe Flachhäuser aneinander, bewohnt und unbewohnt. Am Ende der Straße thront die katholische Dorfkirche, deren ockergelbe Fassade in der Nachmittagssonne leuchtet. Ältere Frauen und Männer jäten Unkraut in ihren Gärten oder plaudern über ihre Gartenzäune hinweg.
Möchte man mit ihnen sprechen, fragen sie, ob man russisch oder polnisch spricht. Nichts Ungewöhnliches, da in Litauen jeder Mensch, der älter als 40 Jahre alt ist, beide Sprachen in der Schule gelernt hat. Trotzdem ist Rudninkai anders als der Rest des Landes: 30 Kilometer zur belarussischen Grenze spürt man den russischen Einfluss. Bei den vergangenen Präsidentschaftswahlen wählte ein Großteil der Bewohner den pro-russischen Kandidaten Eduardas Vaitkus.
■ Früher waren hier die Sowjets stationiert
Der in Flecktarn gekleidete Stabsoffizier O. in seinem Geländewagen erntet an diesem Tag keine neugierigen Blicke. Schon längst sind die Einwohner Militär gewöhnt. Kein Wunder, denn das Gelände war schon immer ein Militärstützpunkt. Nachdem Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) mit seinem litauischen Amtskollegen Arvydas Anušauskas das Abkommen zum Nato-Großmanöver unterzeichnet hatte, stellte die litauische Regierung jenes Gelände dafür zur Verfügung. Bis zur litauischen Unabhängigkeit im Jahre 1991 waren es die sowjetischen Soldaten, die auf diesem Weg durch das Dorf auf den Platz kamen. Nach der Annexion der Krim durch Russland im Jahr 2014 begann Litauen, das Areal wieder für militärische Zwecke herzurichten. Bis heute trainiert die litauische Armee auf dem Bodenschießplatz.
Von dort hallen nun auch Schüsse durch den Wald, deren Echo die friedliche Stille unterbricht. Ein flüchtiger Augenblick, der trotz aller Fantasie, die man für die noch vagen Baupläne aufbringen muss, daran erinnert, dass hier bald der Großteil eines fast 5000 Mann starken Heeres stationiert sein soll, bereit, im Ernstfall die Souveränität des Landes zu verteidigen.
Stabsoffizier O. steigt nun aus, holt seine Planungsskizze hervor und deutet auf eine weitflächige, bereits gerodete Fläche. „Hier überall kommt die Kaserne hin“, erklärt er. Sein Finger wandert zwischen der Skizze und der Rodungsfläche hin und her. Einige Gebäude haben dabei oberste Priorität, erläutert er weiter. Dazu gehören Stabsgebäude, eine Tankstelle und Unterkunftsgebäude. Auf einer Fläche von 40 Hektar haben freilich nicht alle Soldaten mitsamt ihrer Familien Platz. Lediglich Soldaten ohne Familien sollen dort in Ein- oder Zwei-Zimmer Apartments unterkommen können. Der Rest sucht sich in Vilnius auf dem regulären litauischen Immobilienmarkt eine Wohnung.
■ Natur und Idylle auf dem Schießplatz
Die Bundeswehr geht derzeit davon aus, dass etwa 30 Prozent der Soldaten ihre Frauen und Kinder nach Litauen mitbringen werden. Auch die Frau des Stabsoffiziers und ein Kind sollen ihm im Sommer nach Vilnius folgen. Nun steht er vor der Herausforderung, eine passende Wohnung zu finden. Das sei nicht so einfach, erklärt er. Vor allem sei der Wohnungsmarkt der Innenstadt von Vilnius bislang nicht auf größere Familien ausgerichtet. Er habe aber noch ein paar Wochen Zeit, schiebt er schnell hinterher und lächelt optimistisch.
Zwischen den Funktionsgebäuden auf dem Kasernenplatz, so erläutert er, wurden bei der Rodung bewusst einige Bäume stehen gelassen. Man wolle für die Soldaten eine entspannte Atmosphäre schaffen. Sie sollen auf sanft geschwungenen Pfaden zwischen den Bäumen von Gebäude zu Gebäude gelangen, erklärt der Stabsoffizier und Bauingenieur. Ein Hauch von Romantik zwischen Schießübungen und Panzern. „Hier wird der Schießplatz entstehen“, sagt er dann.
Es sind genau diese Gegensätze, die den zukünftigen Militärstandort der Brigade noch zu einem unbegreiflichen Ort machen. Was hier zu sehen ist, sind vor allem Baufahrzeuge, die eifrig Löcher baggern und Erde abtransportieren. Im September werden die Verträge mit den Baufirmen unterzeichnet, sagt Stabsoffizier O. „Direkt danach geht es los mit dem Bau. Bis Ende 2027 soll dann alles fertig sein“. Die litauischen Firmen sind sehr schnell, fügt er mit einem Nicken hinzu. Alles liege im Rahmen des vorgegebenen Zeitplans.