Personalnot am Premium-Airport

von Redaktion

Gestrandet vor dem Urlaub: Familie Aydin hing stundenlang am Flughafen fest. © Mayank Sharma

Lange Warteschlangen sind am Münchner Flughafen inzwischen eher die Regel als die Ausnahme. © Frank Hoermann / SVEN SIMON

München – Seit mehr als acht Stunden streifen Volkan und Sükran Aydin mit ihren Töchtern Neira und Mariam durch die Hallen des Münchner Flughafens. „Wir sind schon seit fünf Uhr morgens hier und versuchen, irgendwie in die Türkei zu kommen”, sagt Volkan Aydin. Eigentlich hätten sie schon um 7:10 Uhr im Flieger nach Adana sitzen sollen, Sommerurlaub am Mittelmeer. „Aber wegen der langen Sicherheitskontrollen und der weiten Laufwege haben wir es nicht pünktlich zum Flieger geschafft“, erzählt der Familienvater aus Neu-Ulm. Wie es jetzt weitergehen soll, wissen sie noch nicht.

Flug verpasst wegen langer Schlangen – es ist der Albtraum vieler Urlauber. Und kein Einzelfall in diesen Sommerferien, wenn der Ansturm am Flughafen groß ist. Die Geschäftsführung erwartet für die Ferien mehr als sechs Millionen Fluggäste mit bis zu 1000 Starts und Landungen täglich. Und wer näher hinschaut, bemerkt: Es hakt an mehreren Stellen. Seit dem letzten Schultag vor zwei Wochen kommt es erst an den Schaltern, dann an der Sicherheitskontrolle immer wieder zu langen Schlangen, Wartezeit je bis zu einer Stunde. Auch die neuen CT-Scanner, seit Ende 2023 in Betrieb, verhindern den Rückstau nicht.

Auch bei der Ankunft zwickt es. Der Pilot von LH1843 aus Valencia macht ironische Durchsagen an Bord: Man sei zwar pünktlich gelandet, aber leider habe der Münchner Flughafen „vergessen“, dass so ein Flugzeug bei der Ankunft ja eine Treppe brauche, einen Bus für die Passagiere und einen Wagen für die Koffer. Am Gepäckband schimpfen Passagiere dann über massiv verlängerte Wartezeiten – oder warten die halbe Nacht auf ihr Gepäck, so wie kürzlich ein verzweifeltes Rentner-Paar aus Bad Tölz.

All das kann passieren. Passiert in München aber derzeit auffallend oft. Nachzulesen auch in Foren im Internet, wo genervte Passagiere ihren Zorn rauslassen. „Nie wieder Lederhosenflughafen München!”, schimpft einer auf dem Reiseportal Trustpilot. „Der Start verzögerte sich um eine Stunde, weil kein Personal zum Einladen der Koffer da war.“ Bei der Rückkehr dann eine Stunde Herumsitzen im Flieger, weil Personal zum Bedienen der Ausstiegsrampe fehlte. Der Airport wird hier sehr oft mit nur einem von fünf Sternen bewertet, Minimalwert.

Das Selbstverständnis ist eigentlich ein anderes. Der Flughafen München gilt laut der Beratungsfirma Skytrax als „Fünf-Sterne-Airport“, einer von zwölf weltweit. 2015 gab es die begehrte Auszeichnung zum ersten Mal. Erst in diesem Jahr kürte Skytrax die Erdinger wieder zum besten Flughafen Zentraleuropas – eine Auszeichnung, mit der sich der Konzern gerne brüstet.

Der Flughafen zieht nach den ersten beiden Ferienwochen eine positive Bilanz. „Abgesehen von Verzögerungen, die sich beispielsweise durch die Gewitterlagen ergeben haben, verzeichnen wir einen geregelten Flugbetrieb“, sagt ein Sprecher auf Anfrage. Man habe sich „intensiv auf die Hauptreisezeit vorbereitet”. Während der Sommerferien stehe den Passagieren „zusätzliches und leicht erkennbares Personal” zur Verfügung, um bei der Orientierung im Airport zu helfen. Viele reisten schließlich nur zur Ferienzeit und benötigten deshalb besonders viel Hilfestellung. Dennoch könnten Verzögerungen nie gänzlich ausgeschlossen werden.

Hier sieht der Flughafen auch die Airlines in der Verantwortung: Flugverspätungen stellten die Personalplanung vor zusätzliche Herausforderungen. So wie im Fall des Ehepaares aus Bad Tölz: Wegen Verspätungen bei den Airlines landeten noch kurz vor dem Nachtflugverbot statt der geplanten sechs Maschinen elf Flugzeuge. Zu diesem Zeitpunkt sei nicht genügend Personal in der Bodenabfertigung vorhanden gewesen, so eine Sprecherin. Das habe zu den starken Verzögerungen bei der Gepäckausgabe geführt. Und: Das Personal am Check-in-Schalter wird von den Airlines beauftragt, nicht von der Flughafen-Gesellschaft.

Mitarbeiter und Gewerkschafter sehen eine grundsätzlichere Schieflage. „An allen Ecken und Enden fehlen Leute”, erklärt Flugzeugabfertiger René Kittan. Er sieht ähnliche Probleme nahen wie im Sommer 2022, als zwischenzeitlich zehntausende Koffer stehen blieben und teils wochenlang eingelagert wurden. Auch im letzten Jahr mussten immer wieder Maschinen ohne Gepäck abheben, weil nicht rechtzeitig verladen werden konnte.

Betriebsräte sehen den Personalmangel als eine Pandemie-Spätfolge. Marc Zangl (Komba) und Ralf Krüger (Verdi) erinnern an den Personalabbau während Corona, als der Airport wochenlang gespenstisch leer blieb. Vor allem ältere und erfahrene Beschäftigte hätten während der Flaute die Gelegenheit ergriffen und Angebote zur Frühverrentung wahrgenommen, sagt Krüger. 2022 stieg der Flugverkehr sprunghaft wieder an. In der ersten Hälfte 2024 stieg die Passagierzahl auf 85 Prozent im Vergleich zum Rekordjahr 2019 mit seinen rund 48 Millionen Fluggästen. Mit dem erneuten Anstieg habe die Aufstockung des Personals aber nicht Schritt gehalten, so Krüger.

Der Betriebsrat beklagt, dass die Wachstumspolitik letztlich auf dem Rücken der Flughafenarbeiter ausgetragen würden. „Die Beschäftigten pfeifen aus dem letzten Loch. Sie arbeiten sich völlig auf”, sagt Krüger. Schon vor der Sommerreisezeit sei der Betrieb nur deshalb mehr oder weniger stabil gelaufen, weil ständig Überstunden angeordnet worden seien. Für die Sommerferien sieht Krüger den Flughafen deshalb schlecht gerüstet.

Fragen nach Personalmangel beantwortet die Geschäftsführung nicht konkret. Gegenwärtig investiere man aber „mehrere Millionen Euro in die Rekrutierung von Personal, Anwerbeprämien, Deutsch- Sprachkurse sowie die Bereitstellung von Wohnraum”, so ein Flughafensprecher. Im letzten Jahr seien 1500 Mitarbeiter rekrutiert worden. Mit mehr als 9000 Mitarbeitern nähere man sich an den vorpandemischen Personalstand an.

Die Betriebsräte Zangl und Krüger bestätigen, dass es einen regelrechten Rekrutierungsmarathon gebe. Etwa 400 neue Kollegen seien seit Jahresbeginn eingestellt worden. Sie zweifeln aber an der erhofften Entspannung. Zangl warnt, es dauere zwei bis drei Jahre, bis ein neuer Kollege fertig ausgebildet und voll einsatzfähig sei. „Erst dann wird die Entlastung der Mitarbeiter einsetzen. In diesem Jahr werden wir davon also wenig bemerken.”

Ein Insider berichtet außerdem von quälend langen Sicherheitsüberprüfungen neuer Mitarbeiter. Wer als Kofferschlepper oder Fluglotse arbeiten will, muss erst selbst durchleuchtet werden. Bis zu einem Jahr könne das dauern.

Hört man sich bei den Beschäftigten um, ist die Ausbildung der neuen Mitarbeiter höchst umstritten. Ein besonderer Streitpunkt ist, dass die Schulungen an der hauseigenen Airport Academy verkürzt wurden, um mehr Personal durch die Ausbildung schleusen zu können. Außerdem habe die Geschäftsführung das Mindestsprachniveau von Deutsch A2 abgeschafft. „Da werden Leute eingestellt, die in der praktischen Schulung auf dem Rollfeld nicht mal ihren Trainer verstehen”, klagt Zangl.

Der Flughafen versucht zwar, wie ein Sprecher bestätigt, der Sprachbarriere mit eigenen Deutschkursen entgegenzuwirken. Inzwischen reichten für die Einstellung aber Englischkenntnisse aus. Aufgrund der angespannten Lage auf dem Arbeitsmarkt müsse man schließlich europaweit nach Personal suchen. Die Betriebsräte hoffen derweil, dass der erste Branchentarifvertrag, der seit August gilt, die Jobs durch höhere Löhne attraktiver macht.

Familie Aydin hilft das beim Ferienstart erst mal auch nicht. Flug weg, Frust groß. Sie hoffen, dass ihre Reiseagentur umbuchen kann. „Jetzt bleibt uns nichts anderes übrig, als zu warten. Und das tun wir jetzt schon seit acht Stunden,” sagt Volkan Aydin.

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