Graue Fassaden, grauer Asphalt: Die Barer Straße ist ein Negativbeispiel für versiegelte Flächen.
Eine kleine Ruheoase: Der Innenhof der Amalienpassage in der Maxvorstadt ist mit Pflanzen begrünt.
Amelie Bauer steht unter den einzigen großen und etwas Schatten spendenden Bäumen am Marienplatz. Die Hitzekarte der Stadt München (rechts oben) zeigt für die Innenstadt rot. Bedeutet: An einem wolkenlosen Sommertag hat es dort um 14 Uhr zwei Meter über dem Boden 36 bis 37 Grad. © Yannick Thedens (3)
München – Früher Abend, kurz vor 17 Uhr: Es hat noch immer 27 Grad. Passanten sind gekommen, um das bekannte Glockenspiel am Münchner Rathaus zu bestaunen. Ein paar haben einen der wenigen Plätze ohne direkte Sonne ergattert. Eng nebeneinander sitzen sie im spärlichen Schatten, den der Sockel der Mariensäule wirft. Andere verweilen auf Metallstühlen unter den kleinen Palmen in den aufgestellten Pflanzenkübeln. Eine Frau fächert sich Luft zu. Gefühlt sind es tropische Zustände.
Die Temperaturen steigen zunehmend und verwandeln deutsche Innenstädte immer mehr in Hitzezonen. Eine Analyse des Stadtklimas, im Auftrag der Stadt München, sieht rot. Dort, wo sich auf der Hitzekarte die Altstadt befindet, ist ein grellroter Fleck. 36 bis 37 Grad wurden hier an einem wolkenlosen Sommertag, mittags um 14 und zwei Meter über dem Boden, gemessen. Und auch abends um 22 Uhr kühlt es im Kern Münchens (23 bis 24 Grad) weniger ab als in den Außenbezirken (19 bis 21 Grad).
Alte Bäume zu erhalten, ist wichtig für das Stadtklima
Die Glut in den Städten wird immer mehr zur Herausforderung für Bewohner und Umwelt. Maßnahmen dagegen gibt es einige. Amelie Bauer forscht an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) zu Klimaanpassung von Stadtvierteln und Kommunen. Ausgestattet ist sie an diesem Abend mit Sonnenbrille und Schildkappe. Ihre Arme kühlt sie sich noch schnell im Fischbrunnen ab. „Brunnen und kleinere Schatteninseln haben vor allem auf das subjektive Wärmeempfinden Einfluss“, sagt sie. Das heißt: Hitze-Geplagte können sich so abkühlen und ausruhen – zum Klima in einem Areal, dem sogenannten Mikroklima, tragen solche Maßnahmen minimal bei.
Den meisten Schatten nahe dem belebten Platz spenden aber vor allem zwei große Bäume. Darunter tummeln sich dutzende Passanten. „Eine riesige Priorität für das Mikroklima ist es, Altbäume zu erhalten“, sagt Bauer. Bei dem Forschungsprojekt „Grüne Stadt der Zukunft“, das die LMU zusammen mit der Technischen Universität (TU) München durchgeführt hat, wurde eine 20 Jahre alte Linde mit einer 80 Jahre alten verglichen. Das Ergebnis: Der viermal so alte Baum hat eine zehnmal höhere Ökoleistung. Er spendet nicht nur mehr Schatten, sondern kühlt auch die Temperatur durch Verdunstung effektiver herunter. In Zahlen bedeutet das: In einem Jahr kühlt die junge Linde so viel wie 21 Kühlschränke, die alte so viel wie 208 Kühlschränke. Der junge Baum speichert in einem Jahr so viel CO2, wie eine 130-km-Autofahrt produziert, der alte Baum so viel, wie eine 1140-km-Autofahrt ausstößt. Ein Baum muss also viele Jahre wachsen, bis er in nennenswertem Ausmaß auf das Stadtklima wirkt.
Ein Blick über den Marienplatz und seine Nebenstraßen offenbart jedoch wenig Grün und viel Grau. „Versiegelung ist ein ganz wichtiger Faktor bei städtischer Wärme“, erklärt Bauer. Denn eine versiegelte Fläche speichert Wärme und gibt sie länger ab.
Hinzu kommen Gebäude mit großzügigen Fensterfronten, durch die warme Sonnenstrahlen in das Gebäudeinnere scheinen. „Erst seit wir Klimaanlagen haben, gibt es solche Glaspaläste“, sagt die Wissenschaftlerin. Und das ist ein Teufelskreis. „Je heißer es wird, desto mehr Klimaanlagen werden verbaut“, sagt Bauer. „Sie heizen mit ihrem Energieverbrauch aber nicht nur den Klimawandel an, sondern sie pusten die Abwärme auch noch auf die Straße.“
Eine mögliche Lösung ist es deswegen, Dächer und Fassaden zu bepflanzen. Begrünte Hauswände spenden dem Gebäude nicht nur Schatten, sondern kühlen auch die unmittelbare Umgebung herunter. Messungen der Oberflächentemperatur haben einen Unterschied von 14 Grad zwischen begrünten und unbegrünten Fassaden ergeben. Bei der Lufttemperatur haben die Forscher einen Effekt von bis zu 0,4 Grad in einer Entfernung von bis zu vier Metern bestimmt. Gut als Bepflanzung eignet sich laut Amelie Bauer wilder Wein. „Da hat man den Vorteil, dass er im Sommer kühlt und im Winter die Blätter verliert und die Fassade die Wärme der Sonne aufnehmen kann.“
In dicht bebauten Vierteln sind heiße Sommertage besonders schwer erträglich. Dort kommt die Hitze gefühlt von allen Seiten – dem Himmel, den Hauswänden, dem Boden. Ein besonders graues Beispiel ist ein Abschnitt in der Barer Straße in der Maxvorstadt. Schattige Bäume oder kleine Parks sind dort Fehlanzeige. „Hier sieht man ganz gut, dass die Autos in einer direkten Flächenkonkurrenz mit Baumpflanzungen stehen“, erklärt Bauer. Sprich: Stellplätze versus Bäume. „Beim Hitzeschutz ist die Mobilitätswende ein wichtiges Thema.“
Eine Möglichkeit könnten deswegen erst einmal Quartierparkhäuser sein. Also extra begrünte Sammelgaragen für Autofahrer, wodurch im Viertel neue Freiflächen entstehen würden. Sollten die Stellplätze irgendwann nicht mehr nötig sein, kann das Parkhaus dann zu einem Wohnhaus umgebaut werden – so die Idee.
In Hinterhöfen schlummert Potenzial für Abkühlung
Ungenutztes Kühlungs-Potenzial in Wohngegenden haben auch die Hinterhöfe. Statt dort nur Mülltonnen zu lagern, lohnt es sich, kleine Grünoasen anzulegen. Denn solche begrünten Oberflächen kühlen schneller ab als versiegelte Flächen. Außerdem: „Für die Klimaanpassung ist es am besten, wenn die Grünflächen zusammenhängen“, erklärt Bauer.
Wenn solche Grünzüge das Umland mit dem Stadtzentrum verbinden, entstehen wichtige Kaltluft- und Frischluftschneisen, die vor allem nachts für einen Luftaustausch in der Innenstadt sorgen. Durch umliegende Wiesen und Felder wird vor allem kalte Luft erzeugt, Wälder produzieren dagegen frische, also sauerstoffreiche Luft. Aber auch Wasserflächen wie die Isar haben einen kühlenden Effekt auf das Stadtklima. Deswegen ist es wichtig, diese Ströme unbedingt zu erhalten – bestenfalls sogar neue zu schaffen.
Aber nicht immer lassen sich in Wohngegenden gleich ganze Gärten oder Parks anlegen. So werden in der dicht bebauten Maxvorstadt Hinterhöfe von Anwohnern oder Ladenbesitzern auch mal eigenhändig begrünt – wie die Innenhöfe der Amalienpassage. Dort plätschert Wasser aus drei eisernen Löwenmäulern, eine Gärtnerei hat einen Schrein von Kakteen errichtet und ein Sushi-Restaurant hat Zwergahornbäume in Blumenkübeln aufgestellt. Hier lässt sich die Hitze gleich viel besser aushalten. „Ältere und chronisch Kranke sind besonders gefährdet von großer Hitze – da ist es wichtig, dass es Plätze zum Ausruhen gibt“, sagt die Soziologin Bauer.
Mit den steigenden Temperaturen steigt der Handlungsbedarf. 2016 hat der Stadtrat ein erstes Konzept zur Anpassung an den Klimawandel beschlossen. 2022 folgten 30 weitere Maßnahmen. Wer in diesen Tagen die städtische Hitze meiden will, kann in Englischen Garten fliehen. Dort hat es mittags 30 statt 37 Grad – der helllila Streifen auf der sonst so roten Klimakarte.