Löwen und Bayern haben beide eine Geschichte im Olympiastadion. Hier Lothar Matthäus beim Derby 1996 im Kampf gegen Peter Nowak, Matthias Hamann und Marco Walker (v.li.). © pa
München – Wann war das Münchner Olympiastadion beim Fußball am vollsten? Als Deutschland 1974 gegen die Niederlande Weltmeister wurde? Bei einer der großen Europapokalschlachten des FC Bayern? Beim Champions-League-Streich von Borussia Dortmund gegen Juventus Turin 1997 ausgerechnet in der Heimspielstätte der Bayern? Oder als Lothar Matthäus 2000 zum Abschiedsspiel lud, mit dem Weltwunder Diego Maradona als Stargast?
Nichts von alledem, den Rekord halten die Löwen, der manchmal vergessene Münchner Zweitverein. 1973 spielte er in der Regionalliga, so hieß damals die 2. Liga, die fünfgeteilt war in regionale Gruppen. Am 15. August, dem zweiten Spieltag der Saison, empfing der TSV 1860 den Aufsteiger FC Augsburg. Es war ein Feiertag, es war ein Derby, der FCA brachte Helmut Haller mit, der gerade gut pastagenährt aus Italien heimgekehrt war. 50000 Eintrittskarten ließen die Löwen drucken, sie reichten nicht, die Leute gingen einfach so rein. Und die, die draußen standen, kletterten über die Zäune, als sie nach drei Minuten einen den Sechzigern geltenden Torjubel vernahmen. 80000 betrug das offizielle Fassungsvermögen, 90000 werden es an diesem Abend vor 51 Jahren gewesen sein. Mindestens. Vielleicht die Taylor-Swift-Menge Stadion plus Olympiaberg. Das Geschichtsbuch des Stadions muss beim Spiel von 1973 ohne verbindliche Zahl auskommen.
Aber dass da einmal die Blauen vorne lagen, ist eine Volte der „Oly“-Historie. Denn das Stadion wurde ja immer wahrgenommen als „rote Schüssel“. Weil die Bayern, immer in allen Wettbewerben und der höchsten Liga vertreten, es 776 Mal bespielten und der TSV 1860 lediglich 318 Mal. Am letzten Spieltag der Saison 1971/72 zogen die Bayern ein, fegten Schalke, den Verfolger, gleich mal 5:1 weg und wurden Deutscher Meister. „Am Anfang war das Olympiastadion für uns ein Quantensprung“, sagte Uli Hoeneß, der Spieler, Manager und Präsident des FCB war. Doch spätestens nach zwanzig Jahren wuchs die Unzufriedenheit: Das weite Rund war halt kalt und zugig im Winter, bei Regen wurde man nass, auf der Ehrentribüne lagen Wolldecken aus. Der Zuschauerschnitt aus allen Bayern-Spielen: 38500. Trotz der legendären Bayern-Südkurve: Stimmung ging oft verloren auf der Laufbahn zwischen Rängen und Spielfeld.
„Es wird sich doch wohl ein Terrorist finden, der das Stadion wegsprengt“, sagte der große Franz Beckenbauer einmal in all die Diskussionen hinein. 2005 zogen die Bayern in die Allianz Arena um, ihr Eigenheim und ein sogenanntes „echtes Fußballstadion“. Danach gab es kaum noch Fußball im Olympiastadion: Während Corona mit seinen Geisterspielen mietete sich der klamme Halbprofiverein Türkgügü München ein, 2022 kam es noch einmal zu einem Nostalgiespiel Bayern–1860, die Alten Herren.
Aber 1972 bis 2005, das war eine große Zeit. Mit WM 1974 und EM 1988, drei Europapokal-Endspielen. Selbst von den Chronisten des Olympiaparks wird übersehen, dass auch elf Matches des Olympia-Turniers 1972, zwischen die Leichtathletik-Termine gepresst, unterm Zeltdach stattfanden, von Deutschland–Malaysia bis zu UdSSR–Sudan. Der Rasen hielt das alles aus. Er war ausgesät worden wie für den Garten, er schlug Wurzeln, weil er Luft und Licht abbekam. Getestet und für gut befunden wurde der Natur-pur-Rasen bei einem heimlichen Feierabendbolz von Mitarbeitern des Olympia-Organisationskomitees im Frühjahr 1972.
GÜNTER KLEIN