Dr. Stefan Woinoff ist Psychotherapeut und Paartherapeut.
München – Dr. Stefan Woinoff (66) ist Arzt, Psychotherapeut und Paartherapeut. Ein Gespräch über Liebe, Beziehungen und zweite Chancen.
Gib es für Paare nach einer früheren Trennung eine zweite Chance?
Das hängt davon ab, wie die Trennung verlaufen ist und die Emotionen waren. Zu mir kommen viele Paare in Trennung. Entweder ist die Liebe erloschen oder es gab sie nie – oder sie ist nur verschüttet durch Alltagsstress, Vorwürfe, Enttäuschungen, Verletzungen. Aber es glüht noch etwas. Dann können sie auch eine zweite Chance haben. Liebe sollte stärker sein als der Alltag.
Kommen auch Paare, bei denen es gerade zum zweiten Mal schiefgeht?
Ich kenne ein Paar, das hat sich verheiratet, geschieden, verheiratet und wieder geschieden. Sie blieben aber gute Freunde. Auch das ist ein Modell. Dass man, wenn man mehrfach zusammenkommt und es scheitert, sagt: Okay, es geht nicht mit dir, aber auch nicht ohne dich. Und man dann eine Beziehungsweise findet, die nicht dieses klassische feste Zusammensein ist.
Welche Modelle gibt es denn da?
Zum Beispiel, dass man nicht zusammen wohnt und trotzdem ein Paar ist. „Living apart together“, nennt man das. Ich bin selbst wieder ein zweites Mal verheiratet und lebe noch nicht mit meiner Frau zusammen. Bei uns hat das vor allem logistische Gründe, auch wegen der Kinder. Es hat aber auch seine Vorteile. Es gibt den Satz: Wie kann man jemanden begehren, den man schon hat? Für manche Paare ist das tägliche Zusammensein etwas sehr Schönes, für andere nutzt es sich ab und man kann den Partner gar nicht mehr wertschätzen. Man spürt die Liebe nicht mehr, wenn der andere einem vor der Nase steht.
Etwas mehr Raum für den Einzelnen ist also wichtig?
Absolut. Mit mehr Abstand spürt man wieder die Anziehungskraft. Auch eigene Wege sind wichtig. Ich bin nicht für die freie Liebe, also offene Beziehungen. Das ist meist mit Verletzungen verbunden. Aber man kann dem Partner Freiräume geben – zum Beispiel ihn mal alleine oder mit anderen in Urlaub fahren lassen.
Ist das beim zweiten Zusammenkommen leichter?
Manche Paare sind am Anfang sehr symbiotisch und es gibt Verlustängste. Bei einer zweiten Beziehung mit demselben Partner kann man dem anderen entspannter begegnen.
Spielt beim zweiten Mal die Liebe gar nicht mehr die große Rolle? Wird man nüchterner?
Das ist sehr unterschiedlich. Manchmal kommt beim zweiten Mal die Liebe sogar mehr zur Geltung, weil das Festhalten in den Hintergrund tritt. Das Großziehen der Kinder, diese ganze Rush-Hour des Lebens, liegt manchmal schon hinter einem und man kann dem anderen emotional neu und auch mehr begegnen. Es gibt Jugendlieben, die sich 20 Jahre später wiedertreffen und feststellen: Jetzt können wir entspannt zusammen sein.
Welche Probleme zerstören Beziehungen?
Wir haben ja alle gerne diese Hollywood-Dramaturgie im Kopf. Da müssen die Luftballone im Bauch explodieren. Die Hochverliebtheitsphase ist das Gütesiegel mit Stempel, dass es wirklich Liebe ist. Das ist so nicht richtig. Man kann das Hochgebirge der Verliebtheit haben, dann geht es bergab aufs Hochplateau und manche stürzen von dort komplett ab. Aber man kann das Hochplateau auch langsam, auf ganz ruhigen Wegen, von unten erklimmen – und spürt dann plötzlich: Wir lieben uns wirklich, obwohl wir nie diese Hochverliebtheit hatten. Das ist zwar nicht Hollywood, aber das ist auch Liebe.
Was ist denn Liebe?
Sie kann sich bei verschiedenen Partnern unterschiedlich ausdrücken. Mit dem einen hat man eine obsessive Beziehung, mit dem anderen eine ganz ruhige, entspannte. Es wird immer näher, wärmer, vertrauter und irgendwann merkt man, dass es eine tragende Liebe ist.
Woran scheitern viele Paare am Ende?
Die meisten scheitern nicht am Alltag, sondern an den Wünschen und Träumen, wie es sein sollte. Gerade bei Patientinnen höre ich häufig: Der könnte doch, der sollte doch, warum tut er nicht. Das Bessere ist der Feind des Guten. Man sieht das Gute nicht mehr und das führt dazu, dass es kracht.
Welche Rolle spielt das Fremdgehen?
Man muss akzeptieren, dass der Mensch nicht zu hundert Prozent monogam ist. Sich in jemand anderen zu verschauen: – nach zehn, zwanzig, dreißig Jahren Beziehung können solche Gefühle kommen. Fremdgehen muss nicht das Todesurteil für die eigene Beziehung sein. Die Frage ist immer: Wie lebt man es aus und kann man danach wieder Vertrauen aufbauen? Es gehen übrigens nicht nur Männer fremd, sondern auch Frauen.
Welche Rolle spielt Sexualität in der Beziehung?
Eine große. Aber es geht nicht immer nur um Sex, sondern um Zärtlichkeit. Das ist sehr wichtig, steht in der Liste aber oft ganz weit unten. Körperliche Gemeinsamkeit, sich Zeit für sich nehmen, auch wenn die Wohnung mal unaufgeräumt ist. So wie man ein kleines Kind beruhigt, kann man sich auch selber beruhigen. Viele Paare nutzen das aber nicht. Und dann lebt man sich auseinander.
Wann ist es höchste Zeit, Paartherapie in Anspruch zu nehmen?
Meist merkt man das atmosphärisch. Man entfernt sich, der andere reagiert nicht mehr auf einen. Man sagt ein harmloses Wort und der Partner bekommt das gleich in den falschen Hals, fühlt sich verletzt. Die Kommunikation stimmt nicht mehr, man kommt einfach nicht mehr zusammen. Viele Paare kommen leider zu spät. Da sind dann zu viele Verletzungen passiert.
Manchmal ist es also auch besser, sich zu trennen.
Zusammenbleiben und leiden bis ans Ende der Tage, das macht keinen Sinn. Dann ist es besser, man trennt sich und jeder findet jemand Neuen, mit dem er sich besser versteht. Aber wenn Liebe da ist, sollte man darum kämpfen.