Der Lehrer: Kim doziert auch vor Schülern.
Der Kümmerer: Kim Jong-un im Juli bei der Inspektion überfluteter Gebiete in Sinuiju in der Provinz Nord-Pyongan. © KCNA/dpa
Der Diktator als Feldherr: Kim Jong-un inszeniert sich in Nordkorea gerne als Mann des Militärs, vor allem auch, um im Ausland Eindruck zu machen. © KCNA/Afp (2)
Seoul – Der Landesvater kümmert sich: Dieses Bild wollte Nordkoreas Diktator Kim Jong-un vermitteln, als er sich Ende Juli in einem kleinen Schlauchboot durch die Hochwassergebiete im Nordwesten des abgeschotteten Landes fahren ließ. Ausländische Hilfe, tönte das Regime, brauche Nordkorea nicht, man schaffe das auch alleine. Trotz so viel Regen wie seit Jahrzehnten nicht mehr und Tausenden betroffenen Haushalten: Kim Jong-un hat alles im Griff.
Wer genau hinsah, dem fiel auf den Bildern von Kim im Schlauchboot ein überraschendes Detail auf: Auf einigen der Fotos, die Nordkoreas staatliche Nachrichtenagentur KCNA veröffentlichte, sieht man Kim alleine auf der einen Seite des Schlauchbootes sitzen, ihm gegenüber drei Männer, die zusammen offenbar so viel wiegen wie Kim alleine. Denn Schlagseite hat das Boot nicht.
Kim Jong-un kämpft seit Jahren mit Übergewicht und seiner Gesundheit
Kim Jong-un bringt nach Schätzungen des südkoreanischen Geheimdienstes NIS 140 Kilogramm auf die Wage, er soll rund 1,70 Meter groß sein. Das entspräche einem Body-Mass-Index (BMI) von 48,4 und damit laut der Gewichtsklassifikation der Deutschen Adipositas Gesellschaft einer Adipositas Grad drei, also extremem Übergewicht.
Kim scheint bewusst zu sein, dass er viel zu viel wiegt. Vor drei Jahren machte Nordkoreas Diktator offenbar eine Diät, zumindest sah er auf Fotos deutlich schlanker aus als zuvor. Mittlerweile hat er aber wieder zugelegt – und bekommt anscheinend die Nebenwirkungen der vielen Kilos zu spüren. So leidet Kim laut Südkoreas Geheimdienst NIS unter Bluthochdruck und Diabetes und soll versucht haben, Medizin gegen beide Leiden im Ausland zu besorgen. Das zumindest berichteten zwei südkoranische Parlamentsabgeordnete nach einer Unterrichtung durch den Geheimdienst vor ein paar Wochen. Schon länger bekannt ist, dass der nordkoreanische Diktator Kette raucht und sehr viel Alkohol trinkt.
Mit Kims Gewicht und seinen gesundheitlichen Problemen nehmen auch die Gerüchte wieder zu, der Diktator baue trotz seiner erst 40 Jahre schon jetzt einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin auf. Südkoreas Geheimdienst erklärte unlängst, dass Kim wohl seine Tochter Ju-ae zur Thronfolgerin erkoren habe. Als Belege dienen unter anderem die vielen Fotos aus den letzten Monaten, die Kim an der Seite von Ju-ae zeigen.
Mehr als die Hälfte der öffentlichen Termine, die Vater und Tochter seit Ju-aes erstem Auftreten im November 2022 absolvierten, haben laut NIS militärischen Charakter. So sah man Ju-ae etwa anlässlich von (durch internationale Sanktionen verbotenen) Raketenstarts. Noch ein Indiz: Im März wurde das etwa zwölf Jahre alte Mädchen erstmals als „Hyangdo“ bezeichnet, ein Titel, der in Nordkorea für hochrangige Führungspersönlichkeiten oder deren Nachfolger benutzt wird.
„Dass Kim Jong-un regelmäßig von seiner Tochter begleitet wird, ist ein Anzeichen dafür, dass er eine Erbfolge plant“, glaubt Ko Young-hwan, der Präsident von Südkoreas Nationalem Institut für Vereinigungserziehung. „Wir sollten also in Betracht ziehen, dass seine Tochter ihm nachfolgt“, sagt Ko im Gespräch mit unserer Zeitung bei einem Treffen in Seoul. Viel ist allerdings nicht bekannt über Ju-ae – nicht einmal, ob sie wirklich so heißt. Unklar ist auch, ob Kim Jong-un wirklich eine Frau als seine Nachfolgerin ausgewählt hat. Denn bislang wurde das stark patriarchal geprägte Nordkorea nur von Männern beherrscht – vor Kim Jong-un von dessen Vater Kim Jong-il, der wiederum auf seinen Vater, den Staatsgründer Kim Il-sung, gefolgt war.
Ko, der einst Diplomat im Dienst des Kim-Regimes war und 1991 in den Süden floh, hält dennoch auch Kim Jong-uns Schwester für eine mögliche Nachfolgekandidatin. „Kim Yo-jong spielt eine gewisse Rolle. So gibt sie immer wieder Stellungnahmen ab, die auf den Süden oder andere Länder abzielen“, sagt er. Zuletzt etwa drohte Kim Yo-jong dem Süden mit „verheerenden Konsequenzen“, sollten südkoreanische Aktivisten weiter Ballons mit Flugblättern in den Norden schicken. Bereits seit Wochen schickt das Kim-Regime als Vergeltung seinerseits Ballons in den Süden, an denen allerdings kein Propagandamaterial befestigt ist, sondern Säcke voller Müll.
„Würde Kim morgen sterben, dann würde wohl seine Schwester übernehmen“, vermutet Bruce Klingner, ehemaliger CIA-Analyst und heute Korea-Experte an der US-Denkfabrik Heritage Foundation. „Entweder in ihrem eigenen Namen oder als eine Regentin für die Tochter. Und während die Tochter aufwächst, vielleicht hat sie dann einen kleinen Unfall“, sagte Klingler unlängst in einem Podcast der Denkfabrik CSIS. „Nachfolge in Nordkorea ist ein blutiger Sport. Es ist wie bei ‚Game of Thrones‘.“ In der US-Fantasyserie kämpfen rivalisierende Königshäuser um die Vorherrschaft auf einem fiktiven Kontinent. Dabei kommen viele der möglichen Kandidaten brutal ums Leben.
Klingner bringt allerdings noch einen dritten möglichen Kandidaten ins Spiel: einen Sohn von Kim Jong-un. „Ich frage mich, ob es vielleicht der ältere Sohn ist – falls er denn existiert –, der im Hintergrund gehalten wird, bis er in einem Alter ist, in dem er alle begeistert mit seiner Genialität und seiner Stärke.“ Ob Kim Jong-un tatsächlich einen Sohn (oder gar zwei) hat, ist nicht bekannt, entsprechende Gerüchte wurden von ausländischen Geheimdiensten weder bestätigt noch dementiert. Bislang ist nur seine Tochter Ju-ae öffentlich aufgetreten.
„Würde Kim morgen sterben, dann würde wohl seine Schwester übernehmen“
Kwak Gil-sup, Professor an der Kookmin University in Seoul und Berater der südkoreanischen Regierung, vertritt ebenfalls die Theorie, dass ein wohl 2010 geborener Sohn von Kim Jong-un auf ihn folgen könnte. Und sollte es diesen doch nicht geben, dann stünde mit einem 2017 geborenen weiteren Sohn ein zusätzlicher Kandidat zur Verfügung, schreibt Kwak in einem Beitrag für die Nordkorea-Seite Daily NK. Als Argument gegen Ju-ae bringt er unter anderem vor, dass in Korea Familiennamen vom Vater auf die Kinder übergehen. Ein Kind von Kim Ju-ae trüge eines Tages also den Namen ihres Vaters – womit nach vier Generationen kein Kim mehr an der Spitze Nordkoreas stünde.
Für Ko Young-hwan, den ehemaligen nordkoreanischen Diplomaten, macht es aber ohnehin keinen großen Unterschied, ob das Land eines Tages nun von einem Kind Kim Jong-uns oder von seiner Schwester regiert wird. „So lange Nordkoreas Erb-Diktatur besteht, werden die Bürger des Landes immer Opfer dieser Diktatur bleiben“, sagt er.