Der Ausgang des Spiels in Grünwald war auch am Freitag noch auf der Homepage von N1Bet abrufbar. Hier ein Screenshot.
Das war`s: Nikolai Dlugi, Geschäftsführer des TSV Grünwald, erteilt dem Datenscout (hinten) einen Platzverweis.
Auf seinem Smartphone zeigt uns der Datenscout eine Anweisung seines Auftraggebers „Stats Perform“.
Der Sammler fühlt sich ertappt: Während er Daten für illegale Sportwetten eintippt, bemerkt er unseren Reporter und blickt rüber. © Fotos: Mayank Sharma
München – Auf den ersten Blick ist es nur ein gewöhnliches Amateurfußballspiel. Graue Wolken bedecken den Himmel. Es ist kühl, als der Mannschaftsbus des FV Illertissen am Dienstagabend beim Gastgeber TSV Grünwald eintrifft. Zwischen dem Isarhochufer und dem Sportplatz stehen Villen, teure Autos und alte Bäume. In einer halben Stunde ist Anpfiff. Es geht um die nächste Runde im Totopokal des Bayerischen Fußballverbands (BFV). Wer den Totopokal gewinnt, bekommt einen der begehrten Startplätze im DFB-Pokal.
Was in Grünwald aber niemand weiß: Während sich die Spieler noch warmlaufen und einschießen, werden auf der niederländischen Karibikinsel Curaçao schon Online-Wetten auf das Amateurspiel abgeschlossen – eine Praxis, die nach deutschem Recht illegal ist. Um Spielmanipulation zu verhindern, erlaubt das Gesetz Sportwetten nur bis zur dritten Liga. Vor Kurzem deckte eine Recherche des Bayerischen Rundfunks (BR) auf, wie internationale Wettbüros mit dem deutschen Amateurfußball trotzdem Profit machen.
Auf Curaçao werden illegale Sportwetten abgeschlossen
Schon einige Stunden, bevor der Schiedsrichter das Spiel in Grünwald anpfeift, taucht auf der Webseite des karibischen Online-Wettbüros „N1Bet“ ein Angebot auf: Hier können Kunden auf der ganzen Welt Live-Wetten auf die Partie am Isarhochufer abschließen. Um das zu ermöglichen, schicken die Anbieter Datensammler, sogenannte „Scouts“, zu Amateurspielen in ganz Deutschland.
Wir fahren nach Grünwald, machen uns am Spielfeldrand des TSV auf die Suche. Und tatsächlich: Zwischen den Zuschauern sitzt ein Mann auf einer Bank. Er trägt Jeans, Sportschuhe, weiße Kopfhörer, ist vielleicht 40 Jahre alt. Das Spiel läuft erst seit wenigen Minuten. Noch ist kein Tor gefallen, aber auf N1Bet gehen die Quoten bereits rauf und runter. Der Scout ist völlig in das Spiel vertieft und tippt im Abstand von wenigen Sekunden auf bunte Schaltflächen auf seinem Smartphone. Manchmal blickt er sich kurz um und tippt dann unauffällig weiter. Beim TSV Grünwald ahnt niemand, was hier gerade vor sich geht.
Weltweit können Wettkunden das Amateurspiel live verfolgen und noch bis zum Abpfiff Live-Wetten platzieren (s. u.). Obwohl am Spielfeldrand nirgendwo eine Kamera steht, wird der Spielverlauf binnen Sekunden auf N1Bet angezeigt. Eine kleine Grafik in der Form eines Fußballfeldes zeigt, welches Team gerade in Ballbesitz ist und auf welcher Hälfte das Spiel gerade stattfindet. Kurz nachdem die Illertisser mit einem Umschaltspiel kontern, erscheint bei N1Bet die Anzeige „gefährlicher Angriff”. Ein Pfeil weist in Richtung der Grünwalder Verteidigung. Neben Toren zeigt die Grafik auch Fouls, Einwürfe und Freistöße fast in Echtzeit an.
Wir sprechen den Datensammler an. Auf die Frage, was er dort tue und für wen er arbeite, entgegnet er nur: „Soll ich aufhören?” Er wirkt überrumpelt. Hektisch blick er zwischen dem Spiel und dem laufenden Aufnahmegerät hin und her. Nach wiederholter Nachfrage zieht der Scout ein zweites Handy aus der Tasche und zeigt eine E-Mail vor. Die Nachricht stammt von seinem Auftraggeber, dem britischen Technologieunternehmen „Stats Perform”. In der Nachricht sind Anweisungen zu lesen, wie sich der Scout beim Verfolgen von Spielen zu verhalten hat: Er darf auf Nachfragen keine genauen Auskünfte über seine Aktivitäten geben. Stattdessen verweist der Datenscout auf die Kommunikationsabteilung von Stats Perform.
Das Unternehmen hat seinen Firmensitz in London und ist ein Global Player bei der statistischen Analyse von Sportereignissen. Seine Daten und Analysesysteme verkauft das Unternehmen weltweit an Medien, Sportligen, Vereine und Sportwettbüros. Auch der FC Bayern München gehört zu den Kunden. Stats Perform verkauft dem Verein automatisierte Sportstatistiken, die bei Live-Übertragungen vor einem Millionenpublikum eingeblendet werden.
Allein in Deutschland hat Stats Perform derzeit 16 aktive Stellenanzeigen für Datensammler, eine in jedem Bundesland. Den Ausschreibungen ist zu entnehmen, dass die Datensammler freiberuflich beauftragt und pro Spiel bezahlt werden. Das Unternehmen brüstet sich damit, weltweit die reichhaltigsten Sportdaten zu sammeln und mit Künstlicher Intelligenz zu analysieren. „Sei dabei und gestalte mit uns die Zukunft des Sports!”, heißt es in der Stellenanzeige.
Davon will Nikolai Dlugi am Dienstagabend aber nichts wissen. Er ist Geschäftsführer des TSV Grünwald. Zusammen mit Patrick Garbe steht er an der Einlasskontrolle. Garbe ist beim Bayerischen Fußballverband (BFV) für die Bayernliga Süd zuständig. Wir konfrontieren die beiden Sportfunktionäre damit, dass parallel zum Spiel Sportwetten stattfinden. Sie reagieren überrascht. Dlugi macht sich sofort auf die Suche nach dem Datenscout. Dieser hat sich inzwischen an den Rand der Tribüne verzogen. Halb verborgen steht er hinter einem Unterstand und bedient die bunten Schaltflächen auf seinem Smartphone. Dlugi geht mit zügigen Schritten auf den Scout zu und fordert ihn dazu auf, das Datensammeln sofort zu beenden. Den Sportplatz muss er verlassen. Man toleriere beim TSV Grünwald keine Sportwetten, das habe im Amateurfußball nichts zu suchen, sagt Dlugi zum Scout. Als der Mann den Platz verlässt, reißt der Datenstrom ab, die Wetten auf N1Bet kommen zum Erliegen.
„Wir möchten, dass die Verbände den Umgang mit Datensammlern und Sportwetten umfassend klären”, stellt Dlugi nach dem Spiel klar. Es brauche einen rechtlichen Rahmen. Der Geschäftsführer berichtet, sein Verein habe erst im März den neuen Muster-Spielervertrag des DFB übernommen. Darin ist eine Klausel enthalten, die die Spieler dazu verpflichtet, nicht auf Partien zu wetten, bei denen sie selbst mitspielen. Beim Umgang mit Datensammlern dürften die Vereine nicht alleingelassen werden. „Wir hoffen, dass der Fußballverband diese Thematik schnell aufgreift und eine rechtssichere Lösung findet”, so Dlugi.
Auch Patrick Garbe kann es kaum glauben, als er von der Wette auf N1Bet erfährt. Von der BR-Recherche und den illegalen Sportwetten habe er zwar gehört, aber dass sogar der Totopokal davon betroffen ist, das habe er nicht gewusst. „Im Amateurfußball soll es um Spaß und Spannung gehen. Es ist ein Unding, dass auf Amateurspiele gewettet werden kann, aber offenkundig gibt es da eine Nachfrage”, sagt Garbe. Auch er befürchtet, dass sich Sportwetten negativ auf den Amateurfußball auswirken könnten.
Wetten gefährden die Fairness im Sport
Amateurspieler bekommen in aller Regel wenig Geld. Ein Vertreter des TSV Grünwald sagt am Rande des Spiels, die Fußballer erhielten eine Aufwandsentschädigung in der Höhe eines Minijob-Gehalts – nicht unüblich in höheren Amateurligen. Wenn auf Spiele hohe Beträge gewettet werden, dann steigt das Risiko für Manipulation. Spieler könnten bestochen werden, damit sie Einfluss auf den Spielverlauf nehmen. Der BR berichtete über einen Fall beim Bremer Verein BSC Hastedt. Hier hatte ein Spieler im Jahr 2019 nachweislich 10 000 Euro auf die Niederlage der eigenen Mannschaft gewettet – die dann auch eintrat. Die Staatsanwaltschaft habe die Ermittlungen inzwischen eingestellt. Spielmanipulation sei schwer zu beweisen, heißt es in der BR-Reportage.
„Wenn das auch bei uns passieren sollte, dann wäre das für den Amateurfußball sehr schädlich. Wer auf solche Spiele wettet, muss wissen, dass er etwas Unerlaubtes tut”, sagt Patrick Garbe. Der BFV stehe für Fairness. Spielmanipulation von Amateurfußballspielen stehe den Werten des Verbands diametral entgegen. „Bis dato ist uns aber kein Fall bekannt”, sagt Garbe. Um Spielmanipulation zu verhindern, betreibe der BFV in Kooperation mit dem DFB in den bayerischen Regionalligen ein Monitoring.
Zur Überwachung von Sportwetten arbeitet der DFB mit dem Unternehmen Sportradar zusammen. Dieses geriet nach den Enthüllungen des BR allerdings in die Kritik: Auch Sportradar schickt Datenscouts zu deutschen Amateurspielen und ermöglicht weltweit illegale Sportwetten.
Am Ende verlieren die Grünwalder mit null zu vier gegen die Gäste aus Illertissen. Auch wenn die Wetten für dieses Spiel geplatzt sind, lief das Geschäft nur wenige Kilometer entfernt ungehindert weiter. Auch das Spiel des FC Deisenhofen gegen den SV Wacker Burghausen wurde auf N1Bet live übertragen. Bis zum Redaktionsschluss bot das Portal auch für Freitagabend Wetten für sämtliche Partien der bayerischen Regionalliga an.