Zittern um den nächsten Eckball

von Redaktion

Live-Wetten bieten einen besonderen Nervenkitzel, steigern aber auch die Suchtgefahr. Künstliche Intelligenz legt Quoten fest

München – Während die Fußballspieler in den Amateurligen Tore schießen, Angriffe und Konter starten, rattern die Wettquoten bei den Wettanbietern rauf und runter. Auf Spiele im Amateurfußball Geld zu verwetten, ist in Deutschland zwar verboten, aber die Behörden haben letztlich keinen Zugriff. Das Online-Wettbüro „N1Bet“ zum Beispiel sitzt auf der niederländischen Karibikinsel Curaçao und bietet – neben vielen anderen Anbietern – illegale Live-Wetten an.

Im Unterschied zu sogenannten Pre-Game-Wetten müssen Live-Wetten nicht vor dem Spielbeginn zu festgelegten Wettquoten abgeschlossen werden. Bei Live-Wetten steigen die Teilnehmer mitten in das Spielgeschehen ein: Bis zum Abpfiff können sie ihre Wetten platzieren. Dabei ändern sich die Quoten in Abhängigkeit vom Spielverlauf permanent. Ein Milliardengeschäft, wie eine Recherche des Bayerischen Rundfunks (BR) erst kürzlich aufdeckte.

Bei Live-Wetten kann nicht nur auf den Endstand des Spiels, sondern auch auf einzelne Ereignisse gewettet werden. Wer wird das nächste Tor schießen? Wie wird der Spielstand in der 30. Spielminute sein? Wie viele Ecken und Freistöße wird es in den nächsten zehn Minuten geben? Auch Kombinationen verschiedener Wetten sind möglich.

Um Live-Wetten technisch umzusetzen, müssen die Anbieter den gesamten Spielverlauf in Echtzeit übertragen und digital abbilden. Heißt: Jeder Spielzug muss akribisch dokumentiert werden. Für die Erfassung niederklassiger Spiele beauftragen die Anbieter Datensammler. Bei höherklassigen Spielen werden die Spieldaten inzwischen automatisiert erfasst.

Für die Live-Berechnung der Wettquoten nehmen die Anbieter in Echtzeit komplexe Datenanalysen vor. Neben dem Spielverlauf werden das Volumen der abgegebenen Wetten und Dynamiken auf dem Wettmarkt berücksichtigt. Bei den komplizierten Berechnungen hilft Künstliche Intelligenz – ein großer Trend in der globalen Sportindustrie. Einer der Marktführer im Geschäft mit den Sportdaten ist das britische Technologieunternehmen „Stats Perform“, das seine Datensammler auch zu Spielen in der bayerischen Regionalliga schickt.

„Live-Wetten sind die Wettangebote mit der höchsten Suchtgefahr“, sagt der Glücksspielforscher Tobias Hayer in der BR-Reportage. Wettquoten verhielten sich wie Aktienkurse an der Börse. „Innerhalb von Minuten wissen Sie, ob Sie gewonnen oder verloren haben.“ Dadurch würden die Wettspieler emotional stärker angesprochen, was schließlich den Suchtfaktor erhöhe, sagt der Forscher.

Erst 2021 wurden Online-Sportwetten in Deutschland legalisiert. Seitdem melden Suchtberatungsstellen wieder mehr Spielsüchtige. Laut Glücksspielatlas sind rund 1,3 Millionen Menschen hierzulande spielsüchtig. Weitere 3,3 Millionen zeigten Symptome oder seien gefährdet, insbesondere Männer.

„Betroffene sehen Sportwetten oft nicht als Glücksspiel an“, sagt Benedikt Tichelmann. Er ist Suchtberater bei der Caritas. Anders als klassische Wettspiele vermittelten Sportwetten den Anschein, nicht völlig dem Zufall zu unterliegen. Sportfans wähnten sich oft als Experten: „Sie glauben, Spielergebnisse mit großer Wahrscheinlichkeit vorhersagen zu können, machen aber oft Verluste.“
MAYANK SHARMA

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