Die Geflügelproduktion hat sich seit dem Jahr 2000 verdoppelt, die Schlachtungen bei Schwein und Rind gehen zurück. © dpa
Der Fleischkonsum ist rückläufig. Vor allem Schweinefleisch hat erhebliche Umsatzeinbußen, aber auch Rindfleisch. Dafür konsumieren die Verbraucher mehr Geflügel. © dpa-infografik
Vor allem rotes Fleisch, zum Beispiel von Rindern, sollen wir weniger essen, sagt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung. © Foto: Picture Alliance
Isen – Irmgard Posch ist Milchbäuerin. Die Poschs bewirtschaften den Bauernhof in Isen schon in der neunten Generation. Sie haben einen Betrieb mit 40 Milchkühen und 20 Hektar Wiesen und Weiden. „Das Grünland kann man nur über die Tiere verwerten, die das Gras und Heu fressen“, sagt die 47-Jährige. „Es ist eine Utopie zu glauben, dass man alles in Ackerland umwandeln kann, für den Anbau von Gemüse und Feldfrüchten.“ Irmgard Posch, die erst Ende Juli von den Landfrauen zur neuen Bezirksbäuerin für Oberbayern gewählt worden ist, sieht sogar die bäuerliche Landwirtschaft in Deutschland in Gefahr. „Ich bin kein Fan davon, wenn man den Menschen vorschreibt, was sie essen sollen“, sagt sie.
Grund für ihren Ärger ist die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE), genauer gesagt deren neuer Kurs. Die DGE empfiehlt neuerdings, nicht mehr als 300 Gramm Fleisch pro Woche zu essen. „Eine gesunde und umweltschonende Ernährung ist zu mehr als drei Viertel pflanzlich und knapp ein Viertel tierisch“, teilte die DGE auf Nachfrage mit.
Bisher galten 600 Gramm Fleisch als Empfehlung
Die DGE empfiehlt eine ausgewogene Ernährung mit Lebensmitteln aus beiden Gruppen und eine abwechslungsreiche Kost. „Im Rahmen einer Ernährung mit Milch und Milchprodukten sowie Käse und Eiern reicht eine Portion Fleisch, circa 120 Gramm, und eine Portion Wurst, circa 30 Gramm, pro Woche aus, um mit allen Nährstoffen versorgt zu sein.“ Als Obergrenze für Fleisch und Wurst nennt die DGE jetzt nicht mehr als 300 Gramm pro Woche.
Bisher empfahl die DGE für Fleischesser 300 bis 600 Gramm Fleisch pro Woche. Fleisch enthalte zwar Eisen sowie Selen und Zink, doch „zu viel Fleisch von Rind, Schwein, Lamm und Ziege und insbesondere Wurst erhöhen das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Dickdarmkrebs“, so der Verein mit Sitz in Bonn. Zudem belaste die Herstellung von Fleisch und Wurstwaren die Umwelt deutlich stärker als die pflanzlicher Lebensmittel.
Erstmals wurden von der DGE jetzt auch schädliche Umwelt- und Klimaeffekte in die Empfehlung eingearbeitet wie Treibhausgasemissionen und Landnutzung. „Gesundheits- und Umweltziele werden in einem Korridor von 119 bis 300 Gramm Fleisch je Woche erreicht“, erläuert die DGE.
Vor diesem Hintergrund sei es wichtig und richtig, den Fleischkonsum in Deutschland zu reduzieren, sagt Gesa Busch von der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf. „Die 300 Gramm pro Woche liegen jedoch, zumindest für die meisten Menschen, weit unter den tatsächlich verzehrten Mengen. Das Ernährungsverhalten müsste sich also in dieser Hinsicht radikal ändern.“ Die Empfehlung zeige aber, dass die Deutschen weit von einem nachhaltigen Fleischkonsum entfernt seien. Busch forscht zu den Themen Ernährung und Gesundheit.
Die Deutschen essen seit Jahren immer weniger Fleisch
Milchbäuerin Irmgard Posch sieht hingegen dunkle Wolken für die Landwirtschaft am Himmel, wenn immer weniger Fleisch in Deutschland gegessen wird. „Der Speiseplan in vielen Schulen und Werkskantinen beruht auf den Empfehlungen der DGE. Den Fleischrückgang wird man dann auch in der Landwirtschaft spüren.“
Tatsächlich essen die Deutschen immer weniger Fleisch: 2023 wurden laut der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung 51,6 Kilogramm pro Person verzehrt. 2011 waren es noch 63,8. Das war der „Peak Meat“, sagt Gesa Busch. „Seitdem sinkt der Fleischverzehr in Deutschland.“ Der Peak Meat (englisch peak – „Gipfel“ und meat – „Fleisch“) bezeichnet in der Ökonomie den Zeitpunkt, an dem die Erzeugung und der Konsum von Fleischprodukten ihr Maximum erreichen und danach unumkehrbar sinken.
Dabei gibt es laut Busch aber deutliche Unterschiede. „Insbesondere das Schweinefleisch verliert, während Geflügel konstant bleibt und Rindfleisch nur leicht rückläufig ist. Beim Schweinefleisch ist der Rückgang schon recht deutlich, mit circa 26 Prozent in zehn Jahren.“ Das liege auch am schlechten Image von Schweinefleisch. „Es gilt bei vielen Menschen als ungesund, eher günstig und auch die Haltungsbedingungen stehen oft in der öffentlichen Kritik“, sagt die Wissenschaftlerin.
Gründe, um auf Fleisch zu verzichten, gibt es viele: wachsendes Gesundheitsbewusstsein, wandelnde Mensch-Tier-Beziehungen, Umweltschutz. „Insbesondere für jüngere Menschen sind dies wichtige Argumente für einen reduzierten und bewussteren Fleischkonsum“, sagt Busch. Die derzeitigen Haltungsbedingungen würden von vielen Menschen als wenig tiergerecht empfunden. Zudem würden Ersatzprodukte immer vielfältiger und schmackhafter.
Landwirte warnen vor Rückgang von Investitionen
Doch während der Fleischkonsum hierzulande sinkt, steigt er in vielen anderen Ländern der Welt. Landwirtin Irmgard Posch denkt, dass die deutschen Bauern deshalb mehr Fleischprodukte ins Ausland exportieren werden. „Wenn aber die Tierhaltung in Deutschland gegen die Wand gefahren wird, wird man später Fleisch aus Drittstaaten importieren. Denn Fleisch wird bei uns trotzdem gegessen. Nur eine Kontrolle über die Tierhaltung haben wir dann nicht mehr.“ Keine Regionalität, keine Kreislaufwirtschaft, befürchtet Posch. „Davon entfernen wir uns immer mehr. Dabei fließen ja die Klimaaspekte in die DGE-Empfehlungen mit ein“, sagt die Landwirtin.
Schon jetzt, sagt Irmgard Posch, seien Landwirte vorsichtig mit Investitionen, etwa bei der Anschaffung eines neuen Stalls. „Die Investitionen werden auf 20 bis 30 Jahre abgeschrieben. Wenn in fünf Jahren der Fleischverzehr noch stärker zurückgeht, werden die Landwirte mit Investitionen zurückhaltender sein.“ Oder ganz mit der Landwirtschaft aufhören. „Und wo kommt dann unser Fleisch her?“
Expertin Gesa Busch von der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf fordert daher, Produktion und Konsum zusammen zu denken. Es brauche Konzepte, die Landwirte dabei unterstützen, die Tierhaltung in Deutschland umzubauen. „Platt gesagt: Die Tierhaltung muss weniger und dafür besser werden“, sagt Busch. Der Markt allein werde diesen Umbau aber nicht schaffen – dafür brauche es auch politische Umsetzungen.
Und in Zukunft? Da wird der Fleischkonsum weiter zurückgehen, prognostiziert Gesa Busch. Der Druck durch die Klimakrise werde steigen – und damit auch der Druck auf die Fleischproduktion und den Konsum. „Auch der Wandel der Mensch-Tier-Beziehung wird sich eher fortsetzen – und wenn dann die Ersatzprodukte weiter besser werden, spricht viel dafür, dass der Konsum weiter sinken wird.“