Das illegale Geschäft mit Schirm und Liege

von Redaktion

Das Vermieten von Liegen und Sonnenschirmen an Italiens Stränden ist ein Milliarden-Geschäft – und oft seit Generationen in der Hand derselben Familien. Der Verleih läuft aber seit Jahren illegal. Denn die EU fordert eine faire, offene Neuausschreibung. Italiens Regierungen sehen darüber hinweg.

Massimo Muzzarelli betreibt das „Sporting Beach Ostia“. Er beklagt, man wisse nicht, wie es weitergeht.

Stefano Salvetti fordert von der Regierung, Bußgelder zu verhängen. © Fotos: Julius Müller Meiningen (3)

Der „Twiga Beach Club“ im toskanischen Forte dei Marmi. Wer sich hier ablegen will, muss ordentlich hinlegen. Daniela Santanché, Italiens Tourismusministerin, war hier Anteilseignerin.

Zugepflastert mit Leihliegen: ein Strandbad in Jesolo an der italienischen Adriaküste. © Foto: Mirco Toniolo/Picture Alliance

Portofino – Unauffällig macht sich die Gruppe auf in Richtung Meer. Bewaffnet mit Handtuch und Sonnenschirm bewegen sich die Eroberer in Badehose und Bikini auf den Strand zu. Als sei es das Normalste der Welt, platzieren sie ihre Handtücher zwischen den vom Strandbad bereitgestellten und vermieteten Liegen, stellen den eigenen Sonnenschirm inmitten der verdutzten Gäste auf. Die Badegäste reiben sich die Augen. Wer sind diese Lümmel, die hier ein jahrzehntelanges Gewohnheitsrecht mit Füßen treten?

Stefano Salvetti, 71, ist einer der Mitwirkenden der Blitzaktion. Er trägt Sonnenhut und Handtuch – und ein ganzes Paket von Fotokopien unterm Arm. Es sind Gerichtsurteile. Seine Aktivistengruppe hat sich einen der schönsten Strände Liguriens für die Protestaktion ausgesucht, die Bucht von Paraggi bei Portofino. Die Handtücher und Sonnenschirme sind zwischen den Mietliegen platziert. Da kommt auch schon der wütende Strandbadbetreiber und brüllt: „Ich mache euch fertig!“

Es ist nicht die einzige Aktion der 2019 in der Toskana gegründeten Bewegung „Mare libero“, zu Deutsch „freies Meer“. Schon den ganzen Sommer über finden italienweit solche Mini-Revolten gegen die Strandanlagenbesitzer statt. „Wir üben nur unser Recht, an den Strand zu gehen, aus“, entgegnen Salvetti und seine Mitstreiter höflich. „Eure Lizenz ist am 31. Dezember 2023 abgelaufen.“ Salvetti zückt die Urteile. Italiens höchstes Verwaltungsgericht hat es in mehreren Grundsatzurteilen seit 2021 so bestimmt: Die Lizenzen der Strandbadbetreiber sind Ende 2023 abgelaufen. Bleibt die Frage, wer hier eigentlich was widerrechtlich besetzt.

EU-Recht sieht Ausschreibung vor

Das Dilemma um Italiens Strände besteht seit knapp 20 Jahren, und es ist hausgemacht. Der Strand gehört dem Staat und der vergibt Genehmigungen für die kommerzielle Nutzung. Im Jahr 2006 bestimmte die EU-Richtlinie 2006/123/CE (Bolkestein), dass Dienstleistungen in der EU für einen besseren Wettbewerb liberalisiert werden müssen. Das gilt auch für die rund 26 000 Lizenzen, die der italienische Staat an die Strandbadbetreiber vergeben hat.

Der EU-Richtlinie zufolge hätten längst Neuausschreibungen mit fairen Kriterien für alle Wettbewerber stattfinden müssen. Aber das passierte nie. Die EU-Kommission startete deshalb 2020 ein Strafverfahren gegen Italien. Später wurden auch Gerichte aktiv. In mehreren Grundsatzurteilen entschied der Consiglio di Stato, das höchste Verwaltungsgericht Italiens, die Genehmigungen seien abgelaufen, Neuausschreibungen nicht mehr aufzuschieben.

Denn das war die Methode der Regierungen in Rom, jedweder Couleur. Obwohl die Neuausschreibung verpflichtend ist, verlängerten sie die Lizenzen einfach. 2018 war es die Regierung von Giuseppe Conte, die den Anlagenbetreibern trotz EU-Richtlinie weitere 15 Jahre Rechtssicherheit zugestand. Auch die Regierungen von Mario Draghi und Giorgia Meloni gaben Aufschub, Meloni zuletzt bis Ende 2024. Illegal, urteilte der Consiglio di Stato. Die heiße Kartoffel der Neuordnung der Branche wurde von Regierung zu Regierung weitergereicht.

Die Aktivisten von Mare Libero wollen dem Recht mit ihren Aktionen zur Durchsetzung verhelfen. „Der Staat müsste die Anlagenbetreiber mit Bußgeldern belegen“, fordert Stefano Salvetti. Er sitzt jetzt auf einer kleinen Mauer an der Piazza Paradiso in Marina di Carrara, nördliche Toskana. Salvetti will zum Interview lieber nicht in die Bar der Strandanlage gehen. „Die sind gefährlich“, behauptet er.

15 Milliarden Umsatz mit Strandliegen

Rechts abgezäunte Badeanlagen, auch links Badeanlagen, so weit das Auge reicht. Aber für Ende August nur wenige Besucher. Dazwischen, in einem 20 Meter breiten Streifen, drängeln sich die Badegäste auf der „spiaggia libera“, dem frei benutzbaren Küstenstreifen. In Ligurien (wegen der Felsküste) und in der Emilia-Romagna mit Badehochburgen wie Rimini sind rund 70 Prozent der Strände per Lizenz vergeben, in der Toskana sind es 52 Prozent. Hier, am freien Strand, haben sich junge Familien, Ausländer, Jugendliche, eher weniger Wohlhabende niedergelassen. Liegen und Schirme muss man hier selbst mitbringen, es gibt ein WC. „Der Strand ist ein öffentliches Gut, er gehört allen, aber nicht alle können sich den Besuch eines Strandbads leisten“, sagt Salvetti.

150 bis 200 Euro Tagesmiete kosten ein Sonnenschirm und zwei Liegen in der exklusiven Bucht von Paraggi bei Portofino. 40 Euro verlangt der „Paradise Beach“ hier nebenan in Marina di Carrara, Parkplatz inklusive. Wer zum Mittagessen im Restaurant bleibt, bekommt noch zehn Euro Rabatt. Die 7244 Strandbäder in Italien machen ein Milliardengeschäft, insgesamt setzt die Branche rund 15 Milliarden Euro um. Die Lizenznehmer besitzen häufig mehrere Lizenzen. Sie zahlen aber nur einen Bruchteil für die Genehmigungen, die oft von Generation zu Generation und zu Spottpreisen weitergegeben wurden. Gerade einmal 115 Millionen Euro streicht der Staat für die Genehmigungen ein.

Kritiker der Strandanlagen-Betreiber sprechen von einer mächtigen Lobby, die da am Werke sei. „In jeder Badeanlage arbeitet mindestens eine Familie, dazu die Angestellten und Stammgäste. Dieses Gemisch hat Einfluss bei Wahlen“, behauptet Stefano Patuanelli, Parlamentarier der Fünf-Sterne-Bewegung. „Die Branche übt vor allem auf lokaler Ebene viel Druck aus, es gibt da ein undurchsichtiges Geflecht von Wirtschaft und Politik“, meint Stefano Salvetti.

Deutlich zu sehen ist dieses Phänomen an Italiens berühmtestem Strandbad, dem „Twiga Beach Club“ im toskanischen Forte dei Marmi, 15 Kilometer südlich von Marina di Carrara. Auf dem Parkplatz parken hochzylindrige Autos, ein Ferrari, drei Porsche. Wer sich vom Strand nähert, wandelt an Palmen, Giraffen-Statuen und weiträumigen Zelten vorbei, in denen Masseurinnen ihr Werk tun. Drinnen gibt es ein großes Restaurant, eine Konzertbühne, einen Pool, einen Friseur und Boutiquen. Daniela Santanché, Italiens Tourismusministerin, war hier Anteilseignerin. Als sie 2022 von Meloni in ihr Kabinett berufen wurde, verkaufte sie ihren Anteil in Höhe von 1,7 Millionen Euro – an ihren Lebensgefährten.

Mitbetreiber des Twiga ist der schillernde Ex-Formel-1-Manager Flavio Briatore, der vor ein paar Jahren öffentlich zugab, die 17 619 Euro Pachtgebühr seien etwas niedrig, bei knapp zehn Millionen Euro Jahresumsatz. Geändert hat sich nichts. Santanché sitzt weiterhin am Ministertisch, der sich um die Frage der Strandbadlizenzen kümmern soll. „Kann so jemand wirklich das Interesse der Allgemeinheit vertreten?“, fragt Salvetti.

Die meisten Strandanlagenbetreiber sind derzeit so etwas wie die Buh-Männer der Nation, aber auch nur Menschen. Massimo Muzzarelli steht am Strand von Ostia bei Rom. Muzzarelli, aufgeknöpftes weißes Leinenhemd, im Wind flatterndes Haar, betreibt in zweiter Generation das Strandbad „Sporting Beach“. „Seit 15 Jahren wissen wir nicht, wie es weitergeht“, sagt der sympathische Lebemann und Vorsitzende der römischen Badeanlagenbetreiber „Federbalneari“. Das habe Auswirkungen auf Planungen und Investitionen.

Zweimal schon in diesem Sommer gingen die Strandlizenzinhaber in Streik, wenn auch nur symbolisch. Heute wollen sie erneut sechs Stunden lang keine Liegen vermieten. Mazzarellis „Federbalneari“ nimmt nicht an der Aktion teil, er will die Bemühungen der Regierung Meloni nicht noch komplizierter machen. „Viele von uns haben keine Lust mehr und wollen aufhören“, sagt er. Tische und Stühle in seinem Restaurant sind gestapelt. Seit Juni ist das Sporting geschlossen, weil die Wellen den Strand förmlich aufgefressen haben. Muzzarelli kann keine Liegen vermieten, seine Anlage liegt quasi lahm.

Muzzarelli wartet darauf, dass vor der Küste eine Barriere aus Felsen gebaut wird, um die Wellen zu brechen. Vielleicht ist sie in zwei Jahren fertig? Die Regierung arbeitet derzeit an Lösungen für die Lizenzinhaber, heißt es. Es soll auch um Entschädigungen für diejenigen gehen, die Genehmigungen abgeben. Aber man weiß auch, dass Regierungen in Italien keine lange Halbwertszeit haben. Wird Meloni, Fürsprecherin der Badeanlagenbetreiber, es schaffen? Es ist ein bisschen wie Warten auf Godot.

Ob er nicht ein wenig verzweifelt sei? „Was würde es bringen?“, sagt der Strandbadbetreiber. „Wenn ich mich aufregen würde, ginge es mir nur schlechter.“ Italienische Lebenskunst? Nicht ausgeschlossen, dass ihn auch die Einnahmen aus den vergangenen Jahrzehnten die Tücken des Lebens gelassener nehmen lassen.

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