Ein trauriger Abend für die Grünen: Parteichefin Ricarda Lang kann ihre Enttäuschung nicht verbergen. © Hendrik Schmidt/dpa
Wahlsieger: Michael Kretschmer (CDU) wird den Freistaat auch in den kommenden fünf Jahren regieren. © Robert Michael/dpa
München/Dresden – Es soll ein Mutmacher sein, aber besonders imposant wirkt er nicht. Auf der Wahlparty der sächsischen CDU werden am späten Nachmittag Gummienten verteilt, in Schwarz gehalten und mit einer schlichten Botschaft: „Nicht quieken – machen.“ Das soll eine Anspielung sein sowohl auf die Konkurrenz, die außer Parolen wenig zu bieten habe, als auch auf den Tatendrang des eigenen Spitzenkandidaten Michael Kretschmer. Nicht jeder scheint von dieser Logik überzeugt. Hinter vorgehaltener Hand wird eine ganz andere Symbolik bemüht: „Nicht, dass wir baden gehen.“
Als um 18 Uhr dann die ersten Zahlen die Runde machen, ist die Freude gedämpft. Die CDU geht zwar auch diesmal als stärkste Partei aus der Wahl hervor. Aber der Vorsprung auf die AfD ist gering und die Aussicht auf die kommenden Koalitionsverhandlungen nicht sehr rosig. Die Gespräche, das steht da schon fest, werden kompliziert werden.
Ministerpräsident Kretschmer ruft dennoch in den Saal, man habe „allen Grund zum Feiern“. Zu befürchten stand ja, dass die AfD sich vor die Christdemokraten schieben würde, und danach sieht es in diesem Moment nicht aus. Kretschmer spricht von einem Vertrauensbeweis für seine Partei und von einem klaren Votum gegen die Ampel.
Ginge es nach persönlicher Beliebtheit, hätte Kretschmer jetzt große Freiheiten. Aber die realen Zahlen lassen der CDU wenig Auswahl, wenn es um potenzielle Partner geht. Zunächst scheint es gestern, als könne Kretschmer wieder eine Kenia-Koalition mit SPD und Grünen schmieden wie in den vergangenen fünf Jahren – die er aber eigentlich gar nicht mehr will, wie er immer wieder deutlich gemacht hat. Keine andere Partei verstehe den Osten so wenig, Grün sollte den Freistaat „nie wieder“ regieren. Viel Spielraum lässt das nicht.
Im Laufe des Abends wird es für Kenia auch mathematisch immer enger. Das sächsische Wahlgesetz hat die Besonderheit, dass bereits zwei (bundesweit: drei) Direktmandate ausreichen, um als Fraktion in den Landtag einzuziehen. Obwohl die Linke bei vier Prozent dümpelt, hat sie in Leipzig zwei Kandidaten mit besten Aussichten. Kenia hat in diesem Fall keine Mehrheit mehr.
Bliebe ein Trio mit SPD und BSW, zu dessen Namensgeberin Sahra Wagenknecht Kretschmer neulich bemerkt hat hat, sie habe ein „seltenes Talent, Dinge zu zerstören“. Das mag auch dem Wahlkampfmodus geschuldet gewesen sein, ist aber ein Indiz dafür, welch tiefe Gräben zu überwinden sind. Sich zu verbiegen, sei zwar „überhaupt nicht meine Charaktereigenschaft“, sagt Kretschmer. Aber ein bisschen flexibler klingt er, angesprochen auf das Wagenknecht-Bündnis, an diesem Abend schon: „Die schlechteste aller Varianten wäre, überhaupt keine Regierung zu haben.“
Sabine Zimmermann, die Spitzenkandidatin des BSW, sieht durchaus Spielraum für Annäherungen. Der Wahlkampf in Sachsen mag – gerade bei ihrem Bündnis – geprägt gewesen sein von bundespolitischen, zum Teil außenpolitischen Themen, vor allem Migration und Ukraine-Krieg. Doch wenn es um die Bedürfnisse Sachsens gehe, sei man „gar nicht so weit entfernt“, argumentiert sie, konkret etwa bei der Bildungspolitik. Sie bringt außerdem eine Lockerung der Schuldenbremse“ ins Gespräch, weil das Land Investitionen benötige.
Zimmermann wirkt zufrieden, aber nicht euphorisch. Nach dem steilen Anstieg der Werte in den vergangenen Monaten sind zwölf Prozent ein kompaktes Ergebnis. Lobend weist sie darauf hin, dass man zweistellig abschneide, „wir haben das Ergebnis der Europawahl gehalten“. Aber es gab in diesem Sommer auch schon Erhebungen, die sie noch in anderen Sphären sahen.
Jörg Urban, Spitzenkandidat der AfD, hat seiner Partei im Wahlkampf ein Ergebnis von 40 Prozent zugetraut und die Option, Sachsen ohne Partner regieren zu können. Davon kann keine Rede mehr sein, auch wenn man der CDU sehr nahe kommt. Auf fünf von neun Themenfeldern hatten die Sachsen der AfD die höchste Kompetenz beigemessen, erwartbar bei Asyl und Kriminalitätsbekämpfung, überraschend bei sozialer Gerechtigkeit. Von Regierungsfähigkeit ist die AfD dennoch weit entfernt, nicht zuletzt, weil niemand mit ihr koalieren will.
Für die Ampel sind die Zahlen so unerfreulich wie erwartet. Dabei kommt die SPD noch glimpflich davon. Das Ergebnis bewegt sich in der Größenordnung von 2019 (7,7) und der Vorhersagen. Mulmiger wird es da schon den Grünen, die der Fünf-Prozent-Hürde gefährlich nahe rücken. Der Koalitionspartner CDU habe „zwei Jahre Wahlkampf gegen die eigenen Leute gemacht“, klagt Parteichef Omid Nouripour. Am schlimmsten trifft es die FDP. Sie wird nur noch unter „Sonstige“ aufgeführt.
MARC BEYER