Höcke: „Wir sind Volkspartei Nummer 1“

von Redaktion

„Ich hab Gänsehaut“, sagt BSW-Spitzenkandidatin Katja Wolf (re.) – neben ihr Parteichefin Sahra Wagenknecht.

Sieht den Regierungsauftrag bei sich: CDU-Chef Mario Voigt will mit SPD und BSW Gespräche führen.

Will regieren – aber hat keine Partner: AfD-Rechtsaußen Björn Höcke am Wahlabend im Thüringer Landtag. © Jacob Schröter/dpa

München/Erfurt – Symbolträchtiger hätte er es kaum inszenieren können. Als Björn Höcke am frühen Nachmittag in der Gemeinde Bornhagen im Landkreis Eichsfeld seine Stimme abgibt, fährt er mit einem Lada beim Wahllokal vor. Der russische Geländewagen dürfte bei vielen Wählern im Osten ein Gefühl der Nostalgie wecken; zu DDR-Zeiten galt er als Luxus-Auto, etwas, worauf man stolz sein konnte.

Der AfD-Landeschef lässt an diesem Wahlsonntag nur ausgewählte Bilder an die Öffentlichkeit: Ein paar Stunden später feiert die AfD im Erfurter „Hopfenberg“ heimlich ihren Sieg – alle Pressevertreter sind ausgeladen.

Eine halbe Stunde nach Bekanntgabe der ersten Zahlen stolziert Höcke mit breiter Brust vor die Kameras des ARD-Studios. Als der Moderator seine Partei als gesichert rechtsextrem bezeichnet, fällt ihm Höcke ins Wort: „Hören Sie auf, mich zu stigmatisieren“, sagt er. „Wir sind die Volkspartei Nummer 1 in Thüringen.“ Dann lächelt er. „Ich bin stolz auf meinen Landesverband.“ Den Regierungsauftrag sieht er klar bei sich. Die AfD werde jetzt entscheiden, wem sie Gespräche anbieten will. Dass keine der anderen Parteien mit ihr koalieren will? Egal. „Dämliches Brandmauergerede“ sei das.

Währenddessen feiert die CDU als Zweitplatzierte ihren eigenen Wahlsieg. „Die CDU ist zurück als stärkste Kraft der politischen Mitte“, schönredet Thüringens CDU-Chef Mario Voigt. „Ich begreife das als Auftrag an mich persönlich.“ Der 47-Jährige hat tatsächlich gute Chancen, neuer Ministerpräsident zu werden und damit Bodo Ramelow von den Linken abzulösen.

„Rot-Rot-Grün ist abgewählt. Schön, dass ihr alle mitgemacht habt“, ruft Voigt seinen Anhängern auf der Wahlparty zu. Die Menge jubelt und klatscht. Grund dazu gibt es: Die Thüringer CDU hat ihr Ergebnis von 2019 (21,7 Prozent) klar verbessert. Trotzdem hat man sich mehr erhofft.

Den Erfolg der AfD schiebt Voigt auf die Ampel. „Die schlechte Politik in Berlin führt zu dem Frust in der Wählerschaft.“ Noch am Wahlabend kündigt er an, auf die SPD und deren Spitzenkandidaten Georg Maier zugehen zu wollen. Er wolle nun Gespräche führen, damit es in Thüringen eine „vernünftige Regierung gibt unter der Führung der CDU“. Auch auf das BSW wolle er zugehen.

Dort kommt man nach Veröffentlichung der ersten Zahlen aus dem Klatschen nicht mehr raus. Zweistellig. Locker. „Ich hab Gänsehaut, ich geb‘s zu“, ruft BSW-Spitzenkandidatin Katja Wolf ihren Parteifreunden zu. Die 48-jährige Ex-Linke strahlt über beide Ohren. Ein „ganz besonderer Moment“ sei das. „Eine Partei, die sich vor fünf Monaten in Thüringen gegründet hat, zieht in den Landtag ein“, sagt sie. Historisch sei das.

Wolf kündigt an, „mit allen demokratischen Fraktionen“ reden zu wollen. Dabei ist noch unklar, wie viel Mitspracherecht sie wirklich hat. Parteichefin Sahra Wagenknecht hat mehrmals angekündigt, bei den Koalitionsverhandlungen mit am Tisch sitzen zu wollen. Am Wahlabend kündigt Wagenknecht an, sie wolle „mit der CDU eine gute Regierung zustande bringen“. Zuletzt wurde auch immer wieder darüber spekuliert, wie eng das BSW wohl mit der AfD zusammenarbeiten könnte. Wagenknecht beteuert: „Wir haben immer gesagt, mit Herrn Höcke können wir nicht zusammenarbeiten. Höcke vertritt ein völkisches Weltbild.“ Wobei sich Wagenknechts Verständnis von „Zusammenarbeiten“ allein auf das Regieren beschränkt. Einzelnen AfD-Anträgen im Parlament zuzustimmen, sieht sie nicht als Problem.

Das BSW lässt sogar die Linke von Regierungschef Bodo Ramelow weit hinter sich: Die hat sich von 31 Prozent im Jahr 2019 mehr als halbiert. Ramelow spricht dennoch von einem „Festtag der Demokratie“. Aber: „Wir haben die höchste Wahlbeteiligung, die es in Thüringen jemals gab“, sagt der in Umfragen beliebteste Politiker Thüringens – und versucht damit, etwas Positives aus der Wahl zu ziehen. „Dieser Wahlkampf war geprägt von Angst“, sagt er. „Fast kein reales Thema aus Thüringen hat eine Rolle gespielt.“ Sowohl die AfD als auch das BSW haben ihren Wahlkampf auf den Ukraine-Krieg zugespitzt: Beide Parteien sprechen sich gegen Waffenlieferungen an Kiew und für Gespräche mit Wladimir Putin aus. Sahra Wagenknecht hat einen Waffen-Stopp sogar zur Bedingung für Koalitionsgespräche gemacht – obwohl die Entscheidungen darüber Berlin obliegen.

Ramelow werde nun seine „persönlichen Konsequenzen“ ziehen – und Voigt dabei unterstützen, eine Regierung zu bilden. Womöglich geht es ja nicht mal ohne die Linken. In den Hochrechnungen fehlt einem Bündnis aus CDU, SPD und BSW genau ein Sitz für eine Mehrheit. Sonst bleibt niemand mehr übrig: Die CDU schließt eine Zusammenarbeit mit AfD und Linke per Unvereinbarkeitsbeschluss aus. Noch am Wahlabend bekräftigt Generalsekretär Carsten Linnemann sein Nein gegenüber beiden Parteien.

Desaströs ist das Ergebnis vor allem für die Ampel. Die SPD schafft es gerade so in den Landtag – es ihr schlechtestes Ergebnis bei einer Landtagswahl seit Gründung der Bundesrepublik. Die Grünen fliegen aus der Regierung in die außerparlamentarische Opposition. Die FDP dümpelt irgendwo bei der 1-Prozent-Marke. Und die AfD ist doppelt so stark wie alle drei zusammen.

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