Teller Nummer zwei: Dieser Influencer aus dem Emirat Dubai, TikTok-Name „fastylfood_omad“, gibt sich als Coach speziell für die OMAD-Diät aus. Seine Videos sind auf Französisch, aber man kann sie problemlos auch in München anschauen. Er hat 160 000 Follower. © TikTok
Teller Nummer eins: Silvia, TikTok-Name luvvsylv, gibt auf der Social-Media-Plattform Ernährungs- und Gesundheitstipps. Sie hat 214 000 Follower. Der Screenshot stammt aus einem Video zum Thema „One Meal a Day“, das 281 000-mal geklickt wurde. Silvia zeigt, was sie dann so alles verdrückt. © TikTok
München – Das Heer an Influencern auf Social Media wirbt für Schminke, Süßigkeiten, manch einer auch für einen bestimmten Lifestyle. Insbesondere Jugendliche lassen sich laut Studien leicht durch diese Botschaften beeinflussen. Gerade für Schönheitsideale sind junge Konsumentinnen und Konsumenten demnach anfällig. Nicht wenige männliche YouTuber, Instagrammer oder TikToker zeigen sich oberkörperfrei, mit trainiertem Sixpack. Auch extrem trainierte Frauen machen Sport und Ernährung zu ihren Themen. Sie sprechen in Videos über Ernährung und Training und werben wie nebenbei für Nahrungsergänzungsmittel.
OMAD, Binge Eating und Muskelsucht
Wann, wie oft und was essen, um besonders effektiv trainieren zu können? Das sind Fragen, über die im Netz stundenlang gesprochen wird. Ein auffälliger Ansatz nennt sich „One Meal a Day“, kurz OMAD – eine extreme Form des Intervallfastens, bei dem nur einmal am Tag gegessen wird. Influencer machen kurze Selbsttests oder berichten über ihre Erfahrungen nach mehreren Jahren. Ihre Videos verzeichnen tausende, manchmal sogar hunderttausende Aufrufe.
Doch Fachleute schlagen Alarm: Im schlechtesten Fall können diese Konzepte krank machen. „Wir haben mehrmals wöchentlich Anfragen von Eltern, deren Kinder eine Essstörung oder einen Sportzwang entwickelt haben“, sagt die Vorsitzende des Bonner Zentrums für Essstörungen, Annette Bonse. Mindestens für die Hälfte habe Social Media den Ausschlag gegeben: Die Jugendlichen stoßen online auf Work-Outs und auf Ernährungsthemen. Dann schlägt ihnen der Algorithmus immer wieder entsprechende Inhalte vor. Das kann die Entwicklung von verschiedenen psychischen Störungen beschleunigen.
Neben den Essstörungen Magersucht, Bulimie oder „Binge Eating“, also exzessives Essen, sind Jugendliche immer häufiger von sogenannter Orthorexie betroffen – die extreme Beschäftigung mit vermeintlich gesunder Ernährung. Die Betroffenen meiden immer mehr als ungesund geltende Lebensmittel – und bauen sogar Ängste vor diesen auf. Auch die „Bigorexie“ hat laut Bonse zugenommen. Bei dieser Muskelsucht muss der Körper immer muskulöser und definierter werden. Das Thema, bei der das Selbstbild einer Störung unterliegt, habe gerade bei Jungen sehr stark zugenommen, spiele aber auch bei Mädchen eine große Rolle.
Das Schönheitsideal eines muskulösen, definierten Körpers verleitet mitunter dazu, die Ernährungsweisen bestimmter Influencer zu übernehmen. Allerdings bedeute für jeden Menschen gute Ernährung individuell etwas anderes, erklärt Bonse. Jedem tue unterschiedliches Essen gut, da jeder Mensch die verschiedenen Nährstoffe beispielsweise unterschiedlich gut verdauen könne. „Bei propagierten Ernährungsweisen ist die Gefahr sehr groß, dass diese gegen die Bedürfnisse des eigenen Körpers gehen“, sagt die Expertin. Unabhängig davon, ob dies nun OMAD, Intervallfasten oder eine Ernährung ohne Kohlehydrate sei. Wer sich zu etwas zwinge, kehre entweder schnell wieder zum normalen Essverhalten zurück – oder entwickle ein gestörtes Verhältnis zum Essen.
Nur einmal am Tag zu essen: „Auf längere Sicht gesehen entspricht das nicht unserer Humanphysiologie“, sagt Stoffwechselexpertin Susanne Klaus vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam. Menschen würden auf natürliche Weise mehrmals am Tag essen. Für die meisten dürfte es schwierig sein, den gesamten Tagesbedarf auf einmal zu verschlingen – sodass nicht genug Energie für den ganzen Tag aufgenommen werden könne. „Das Risiko besteht außerdem darin, dass man nicht ausgewogen genug isst, also ein Mangel entsteht, zum Beispiel an Mikronährstoffen“, erläutert Klaus. Dazu gehören Kalium, Aminosäuren oder Vitamine.
Nur einmal essen schränkt auch das Sozialleben ein
Entgegen dem Ziel, Muskeln aufzubauen, sieht Klaus sogar die Gefahr eines Muskelabbaus. Die hauptsächlich aus Eiweiß bestehenden Muskeln könnten ohne mehrfache tägliche Nahrungszufuhr aufgezehrt werden. Das gelte für alle, doch insbesondere Ältere bräuchten mehr Protein, um den Abbau aufzuhalten. „Der Körper braucht Eiweiß aus der Nahrung, als eine Art anaboles Signal, um Muskeln aufzubauen“, erläutert Klaus. Für diesen Anschub seien bestimmte essenzielle Aminosäuren, also Bestandteile von Eiweiß, zuständig. Diese können zwar auch als Nahrungsergänzungsmittel, zum Beispiel aufgelöst in Wasser, zugeführt werden. Daran denkt aber vermutlich nicht jeder.
Eine Mahlzeit am Tag – das schränkt außerdem das Sozialleben ein. „Essen ist ja in der Regel etwas Soziales“, sagt Klaus. „Wenn ich arbeite, gehe ich mittags vielleicht mit den Kollegen in die Kantine“, ergänzt die Wissenschaftlerin. Essen diene schließlich nicht nur dem Überleben. Mit „One Meal a Day“ falle gemeinsame Zeit mit anderen weg.
In allen Kulturen habe Essen viel mit Sozialverhalten zu tun, mit Interaktion und Kommunikation, sagt die Stoffwechselexpertin vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung. Dazu gehöre, Essen zu teilen oder zusammen mit den Kindern wenigstens eine gemeinsame Mahlzeit am Tag als Gelegenheit zum Austausch zu nutzen. „Bei Weltraumnahrung und Vitamintabletten geht der hedonische Aspekt des Essens verloren“, bedauert Susanne Klaus. Dazu gehörten der Genuss, das Soziale – und auch die Kulturtechnik, das Essen zuzubereiten.