„Auf einmal ist es ganz still geworden“

von Redaktion

Ronaldo Barbosa war dem Angreifer ganz nah – Viele Anwohner beobachteten den Täter vom Fenster aus

Ronaldo Barbosa war im NS-Dokumzentrum. © nah

Der Blick auf den Polizeieinsatz am Karolinenplatz. Einige Münchner verfolgten alles vom Fenster aus. © dpa

München – Für Ronaldo Barbosa und seinen Kollegen war es ein ganz normaler Morgen. Die beiden Mitarbeiter eines Getränkehändlers haben auf ihrer Tour durch die Stadt gerade Station im NS-Dokuzentrum gemacht. „Wir sind immer wieder hier“, erzählt der 45-Jährige. Doch an diesem Donnerstag sollte alles anders werden. Während er eine Kiste trägt, sieht Barbosa plötzlich den Angreifer. „Er ist vom Zentrum in Richtung Konsulat gelaufen.“ Kurz zuvor fallen zwei Schüsse. Dem Getränke-Auslieferer gefriert das Blut in den Adern: „Natürlich habe ich Angst bekommen.“ Trotzdem reagiert er schnell. Barbosa läuft nach draußen und winkt eine Polizeistreife, die gerade ankommt, zu sich. Dann erklärt er, wo der Angreifer hingelaufen ist. Als Nächstes schnappt sich der 45-Jährige seinen Kollegen und läuft im Zentrum in den fünften Stock. Die Menschen dort stellen sich in die Mitte des Raums, möglichst weit weg von den Fenstern. „So waren wir sicher.“

Nicht weit entfernt arbeitet Tina Pickert (39) beim Bayerischen Bauernverband am Karolinenplatz. Die CSU-Politikerin hörte die Schüsse – vermutete im ersten Moment aber etwas ganz anderes: „Ich dachte erst, es ist ein Gerüst umgefallen. Da kam mein Kollege auch schon rein und sagte mir, es werde draußen geschossen. Es war ein beklemmendes Gefühl, im Gebäude zu sein.“ Die Politikerin spürte Erleichterung, weil die Polizei gleich vor Ort war. „Polizisten riefen uns zu, wir sollen von den Fenstern wegbleiben. Unser Haus wurde abgeriegelt, wir durften auch nicht raus.“ Bis 12 Uhr hörten die Kollegen die Hubschrauber über sich kreisen.

Ganz ähnlich war es in der Hochschule für Musik an der Arcisstraße. Auch auf der anderen Seite des NS-Dokumentationszentrums sind die Schüsse laut zu hören. Ein Mitarbeiter, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, vermutet Baustellen-Geräusche. Dann kommt aber eine Mail bei ihm an. „Alle sollten die Fenster schließen und von ihnen weg bleiben.“ Im Anschluss kommen die Kollegen im Konzertsaal zusammen und warten ab. Die Stimmung: Angespannt, aber ruhig. Später bringt ein Bus der Feuerwehr die Mitarbeiter zur zentralen Zeugensammelstelle. Die hat die Polizei bei der Landesbank an der Brienner Straße eingerichtet.

Auch ein 21-Jähriger hat die Schüsse aus nächster Nähe mitbekommen. Er möchte ebenfalls anonym bleiben. Sein Büro ist direkt am Karolinenplatz, erzählt er. Als er morgens um kurz vor 9 Uhr auf dem Weg dorthin war, hörte er auf der Straße die ersten Schüsse. „Zuerst dachte ich noch, es ist vielleicht ein Feuerwerk. Aber ich habe schnell gemerkt, dass es ernst ist.“ Er eilte ins Gebäude, im Büro standen schon Kollegen am Fenster. Sie sahen von oben den Täter mit einem Gewehr auf der Straße. „Die Polizei hat ihn aufgefordert, sich auf den Boden zu legen. Das hat er aber nicht getan“, erzählt der junge Mann. Fast verwirrt sei der Mann weiter auf der Straße herumgelaufen, irgendwann konnten sie ihn vom Fenster oben nicht mehr sehen. Es fielen noch mehr Schüsse. „Und auf einmal ist es ganz still geworden.“

Die Stimmung blieb aber angespannt, erzählt er weiter. „Es kamen immer mehr Polizisten. Sie haben nach oben gerufen, dass wir die Fenster schließen sollen. Da ist uns erst bewusst geworden, dass es möglicherweise noch mehr Schützen gibt.“ An konzentriertes Arbeiten war nicht mehr zu denken, sagt der 21-Jährige. Auch als er sein Büro am Nachmittag verließ, war immer noch Polizei in den Straßen unterwegs. „Es wird auch sicher in den nächsten Tagen noch ein seltsames Gefühl sein, in die Arbeit zu gehen.“
NAH/TG/KWO

Artikel 9 von 11