„Ich wollte nie ein braver Mensch sein“

von Redaktion

35 Jahre liegen zwischen ihnen: Reinhold Messner und Ehefrau Diane. © U. Perrey/dpa

Im Ewigen Eis: Messner in der Antarktis. © Bernhart

Auf dem Gipfel: Als erste Menschen bestiegen Messner und Peter Habeler den Mount Everest ohne Flaschensauerstoff. © dpa

„Was ich getan habe, war eindeutig egoistisch und rücksichtslos“: Bergsteiger-Legende Reinhold Messner sitzt an seinem Schloss Juval auf einer Bank. Am kommenden Dienstag wird er 80 Jahre alt. © Christoph Sator/dpa

München – Er hätte selbst nicht gedacht, dass er so alt wird, doch am 17. September feiert Bergsteigerlegende Reinhold Messner seinen 80. Zum runden Geburtstag hat er sich ein Buch geschenkt, Titel: „Gegenwind. Vom Wachsen an Widerständen“, in dem er über offene Rechnungen und erbitterte Streitigkeiten schreibt. Im Interview spricht er über den Erbschaftsstreit mit seinen Kindern, Altersstarrsinn und die Liebe zu seiner 35 Jahre jüngeren Frau.

Herr Messner, Sie werden in wenigen Tagen 80 Jahre alt. Leiden Sie auf Ihre alten Tage an Größenwahn?

Ich glaube, im Gegenteil. Ein Größenwahnsinniger war ich nie. Ich bin ein Macher. Aber vielleicht sollte ich die Beurteilung lieber den Fachleuten überlassen. Doch dafür müsste ich zum Psychologen gehen. Aber warum fragen Sie, ob ich größenwahnsinnig bin?

Weil Sie Ihrem neuen Buch ein Zitat vorangestellt haben: „Ein Luftgänger ist ein Mensch, der nur auf sein Herz hört. Er gehorcht niemandem auf der Welt.“ Deshalb könne er durch die Luft gehen. Können Sie auch durch die Luft gehen?

Ich habe das Zitat gewählt, weil es gut zum Thema meines Buches passt: Gegenwind. Gegenwind beflügelt. Im Gegenwind kann man abheben und fliegen, mit Rückenwind geht das nicht. Ich will allen Menschen sagen: Lasst Euch nicht einschränken und unterbuttern. Haltet Gegnerschaft und Gegenwind stand, dann könnt Ihr über Euch selbst hinauswachsen und fliegen.

Ein Luftgänger kann auch egoistisch und rücksichtslos sein…

Was ich getan habe, war eindeutig egoistisch und rücksichtslos. Auch wenn ich die Abfallprodukte – Bücher und Vorträge – meiner Unternehmungen verkauft habe, um mein Leben zu gestalten und um meiner Familie ein gutes Auskommen zu ermöglichen, ist es natürlich an sich völlig unnütz, durch die Antarktis zu laufen oder auf den Everest zu steigen. Dadurch, dass ich bewusst in Kauf genommen habe, dabei umzukommen, wurde es auch noch absurd.

Wem gegenüber haben Sie sich rücksichtslos verhalten?

Gegenüber den Menschen, für die ich Verantwortung getragen habe. Zum Beispiel gegenüber meiner Mutter. Sie hat es nie mit Freuden gesehen, dass ich immer wieder in den Himalaja reiste. Sie wusste, dass da dauernd Leute umkommen. Ich bin trotzdem losgezogen.

Ihr Leben scheint neben dem Bergsteigen vor allem aus Streit zu bestehen. Sie stritten und streiten sich mit Ihrer Familie, Expeditionsteilnehmern und vielen anderen. Werden Sie altersstarrsinnig?

Ich streite mich ja gar nicht mehr. Ich stelle in meinem neuen Buch nur zusammen, was für einen Blödsinn viele Menschen über mich gesagt und geschrieben haben. Heute kann ich darüber teilweise lächeln. Und ich bin den vielen Kritikern, die ich hatte, dankbar. Ohne sie wäre ich nie so erfolgreich geworden.

Schuld waren also immer die anderen?

Ich rede nicht von Schuld. Ich fand zum Teil die Dummheit der Gegner, die mich herausgefordert haben, toxisch. Zum Teil war es Böswilligkeit, und alles konnte ich mir nicht gefallen lassen.

Sind Sie streitsüchtig?

Jetzt nicht mehr, aber früher habe ich mich ganz gern ab und zu gehakelt.

In Ihrem Buch findet man kaum Selbstkritisches oder Selbstironisches. Das ist ungewöhnlich für eine moderne Biografie. Ist Ihnen nichts Negatives über sich eingefallen?

Was die Selbstironie betrifft: Ich bin kein Engländer. Und zur Selbstkritik: Ich finde sehr wohl, dass auch Negatives über mich im Buch steht. Es ist nicht die Biografie eines braven Mannes. Aber ich wollte auch nie ein braver Mensch sein.

Ihr Sohn Simon sagte mal über Sie, dass Sie streng und abwesend waren.

Abwesend – ja, streng sicher nicht. Ich war viel zu gutmütig, hätte strenger sein sollen.

Haben Sie Kontakt zu Ihren vier Kindern?

Simon habe ich vor Kurzem getroffen.

Gerade streiten Sie sich mit Ihren Kindern öffentlich um Ihr finanzielles Erbe. Wie wichtig ist Ihnen Geld?

Geld war mir nie wichtig, sonst hätte ich es nicht verschenkt.

Nachdem Ihre zweite Frau sich vor fünf Jahren von Ihnen trennte, sind Sie sehr schnell mit Ihrer neuen Frau Diane zusammengekommen. Hatten Sie Angst, im Alter allein zu sein?

Ja, ich hatte Angst, im Alter allein zu sein. Ich war acht Monate lang ein klassischer Single. Ich bin damit zurechtgekommen, ja, aber es war nicht meine Wunschvorstellung vom Altern. Doch hatte ich mich fast damit abgefunden, dass mein Lebensende langsam und einsam über mich kommt. Ich hatte allerdings große Angst, dass ich in der Früh aufstehe, mir einen Kaffee mache, mich damit in die Sonne oder den Schnee setze und auf den Abend warte. Das wäre für mich die Hölle gewesen.

Ihre Frau ist 35 Jahre jünger als Sie. Hält Sie das jung?

Ja, Diane ist für mich ein Jungbrunnen. Aber für sie ist es nicht einfach, weil sie weiß, dass ich früher oder später das Zeitliche segnen werde und sie dann allein dastehen wird. Aber sie ist eine starke Frau, die in der Lage ist, das Leben auch alleine zu meistern, auch wenn es Leute gibt, die von außen versuchen, unser Leben zu stören.

Wer versucht, Ihr Leben zu stören?

Meine Familie versucht alles, um Diane auszugrenzen. Zu den Gründen dafür, werde ich mich nicht äußern.

Ist es ein einsam um Sie geworden? Wie viele Menschen stehen Ihnen nahe?

Das hat mich nie interessiert. Ich habe Diane. Und ich habe einige wenige Freunde. Mit ihnen kann ich auch mal ein Jahr lang gar nicht reden, und trotzdem bleiben sie Freunde. Für mehr Freundschaft hatte ich keine Zeit. Dass ich so wenige Freunde habe, liegt nicht nur an den Versuchen, mich auszugrenzen, sondern auch an der Art, wie ich gelebt habe.

Sind oder waren Sie krankhaft ehrgeizig?

Ich war und bin ehrgeizig. Dass ich krankhaft ehrgeizig sei, behaupten andere über mich.

1986 wollen Sie im Himalaja den Yeti gesehen haben. Glauben Sie wirklich, dass es ihn gibt?

Diese Geschichte war natürlich ein Fressen für die Medien. Sie haben es nicht verstehen wollen. Sie haben einfach nur Häme ausgeschüttet. Natürlich kann man eine Legende nicht sehen. Aber hinter der Legende vom Yeti steht eine zoologische Entsprechung, ein Ungeheuer in der Wildnis, ein riesiger Bär.

Also haben Sie einen Bären, kein Fabelwesen gesehen?

Ich sah im Abendlicht, es war fast schon Nacht, ein riesiges Ungeheuer. Es war größer als ich und ging auf zwei Beinen. Ich durchquerte einen Bach und der „Yeti“ verschwand im Wald. Leider konnte ich so schnell kein Foto machen.

Stehen Sie noch gerne in der Öffentlichkeit?

Ich habe einmal in Mailand vor 10 000 Leute gesprochen. Danach habe ich gesagt: Jetzt verstehe ich Hitler. Es war berauschend. Und Goebbels konnte das ja noch viel besser. Hitler und Goebbels haben im Rausch geredet, auch wenn sie viel Unsägliches erzählt haben.

„Unsägliches“ ist für tödliche Demagogie wohl nicht der richtige Ausdruck. Warum dieser Vergleich?

Ich weiß es nicht. Es hatte wohl damit zu tun, dass das Getragensein mir das alles zugespielt hat: Die Energie, die Kraft, die Worte, die Sätze. Es war nicht schwierig, alles wurde leichter.

In ihrem Buch schreiben Sie, durch die „Selbsterfahrung zwischen Durchkommen und Umkommen“ blicke man auch in den eigenen Abgrund. Was sind die Abgründe in Ihnen?

Wenn man mich noch mehr gereizt hätte, wäre ich im Gefängnis gelandet. Auch wenn ich genau weiß, dass meine Abgründe nicht so tief sind, dass ich jemanden töten könnte.

Sie schreiben auch: „So wie ich auf den Gipfeln der Welt auf die Flasche (mit Sauerstoff) verzichtet hatte, wäre unten der Griff nach der Flasche eine Ausflucht gewesen. Aber für wie lange? Ich folgte nicht dem Sog der Verzweiflung.“ Warum waren Sie so verzweifelt?

Das Trauma, mit 75 Jahren plötzlich alleine dazustehen – dazu fast ohne Mittel, weil ich in meiner Gutgläubigkeit und meinem Vertrauen zuvor bereits fast alles Erbe an die Familie verschenkt hatte – war nicht einfach.

Haben Sie in dieser Zeit zur Flasche gegriffen?

Ich trinke seit 30 Jahren Rotwein. Ich hatte auf einem Weingut selbst Wein produziert, aber ich war nie gefährdet, Trost im Alkohol zu suchen.

Wann haben Sie das letzte Mal geweint?

Als ich die schlimme Auseinandersetzung mit meiner Familie hatte. Aus Enttäuschung.

Haben Sie Angst vor dem Tod?

Nein. Mir war schon sehr früh klar, dass der Tod das bestimmende Element im Leben ist. Ich habe mein Leben nicht nach dem Tod ausgerichtet, aber ich konnte zum Glück die meisten meiner Visionen sehr früh umsetzen. Mir ist klar, dass ich nur noch eine kurze Halbwertszeit habe. Ich werde alt und zerbrechlich. Das ist ein schwieriger Prozess. Vor allem für mich, der ich immer alles machen konnte und jetzt vieles nicht mehr kann.

Was können Sie nicht mehr?

Extrem klettern, kann ich schon nicht mehr, seit mir vor 54 Jahren die Zehen abgefroren sind. Ich habe mir danach andere Herausforderungen gesucht. Aber was im Alter als Erstes nachlässt, ist die Geschicklichkeit. Dann folgen die Schnellkraft, die Ausdauer und die Konzentrationsfähigkeit.

Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod?

Nein, ich glaube nicht an ein Leben nach dem Tod. Aber wir leben so lange weiter, wie jemand an uns denkt.

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