Wenn die Liebe zum Beruf wird

von Redaktion

Jenny Thomas ist professionelle Hochzeitsrednerin.

Gute Wünsche können die Gäste in ein Holzherz mit den Namen des Brautpaars werfen.

Mit den Initialen dekoriert sind die Stühle, auf denen das Brautpaar während der freien Zeremonie Platz nehmen wird.

Es ist soweit: Jenny Thomas hält auf der Dachterrasse des Hilton ihre Rede vor dem Brautpaar und den geladenen Gästen. Nicole und Mantas (ganz vorne) wollen optisch lieber anonym bleiben. © Fotos: Marcus Schlaf

München – Jenny Thomas hat mit allem gerechnet, aber nicht damit, dass die Blumenvasen umstürzen, das Herz aus Holz umkippt, der Wind überhaupt alles wegbläst, was nicht mit Steinen beschwert ist. Die Hochzeitsrednerin macht sich auf der Dachterrasse des Hilton Park Hotels in München auf die Suche. Sie hat Glück, dass ein Bereich neben dem Aufgang tatsächlich mit Steinen ausgelegt ist. Aber: „Zu klein, zu klein, zu klein“, seufzt Jenny Thomas und wirft die Steine wieder hin. Jetzt muss die Dekorationsbeauftragte des Hotels unterstützen. „Ich suche die mal schnell“, ruft Thomas und stürmt los.

In einer Stunde soll die freie Trauung von Nicole und Mantas beginnen. Etwa eine Viertelstunde vorher werden die Gäste erwartet. Noch ist also Zeit, das Problem mit dem Wind irgendwie in den Griff zu bekommen. Das klappt dann auch dank größerer Vasen, die sich als standfester erweisen, und einiger Steine, die die Hotelmitarbeiterin irgendwo aufgetrieben hat.

Die Hochzeitsrednerin atmet durch. „Ein Glück, dass ich heute zwei Stunden vor der Trauung schon hier war“, sagt sie und macht sich daran, ihre Lautsprecher-Anlage aufzubauen. Gestresst wirkt sie nicht. Dafür habe sie schon zu viel erlebt, erzählt sie und lacht. Mal wurden nicht genügend Stühle für die Hochzeitsgäste aufgebaut, mal war der Blumenschmuck falsch platziert, mal fiel der Strom aus. „Das alles gehört zwar nicht zu meinem Aufgabenbereich“, sagt Jenny Thomas, „aber natürlich kümmere ich mich dann trotzdem darum.“ Sie wolle schließlich, dass die Paare bei ihrer freien Trauung einen wunderbaren Tag erleben, an den sie ihr Leben lang gerne zurückdenken.

Immer weniger Paare heiraten kirchlich

Nicole und Mantas, 39 und 40 Jahre alt, sind das heutige Hochzeitspaar, das gleich die Dachterrasse betreten wird. Die beiden haben bereits standesamtlich geheiratet. Eine freie Trauung ist ebenso wie eine kirchliche Hochzeit rechtlich nicht bindend. Eine Hochzeit in der Kirche sei für sie nicht infrage gekommen, erzählen sie. „Wir gehören beide keiner Kirche an.“ Gleichzeitig aber, führt Nicole aus, sei es ihnen ein großes Anliegen, ihre Hochzeit in einem persönlichen Rahmen zu feiern – persönlicher und individueller, als dies beim Münchner Kreisverwaltungsreferat möglich gewesen sei. „Das ist einfach die Bürokratie, die haben wir abgehakt.“ Die freie Trauung auf der Dachterrasse ist ihre eigentliche Hochzeit. „Dieser Tag soll etwas Besonderes sein“, sagt Mantas, „nicht nur für uns, sondern auch für unsere Familien und Freunde.“

Mit ihrer Entscheidung für eine freie Trauung sind die Office-Managerin und der System-Administrator keineswegs allein. Es gibt keine offiziellen Statistiken darüber, wie viele freie Trauungen in Deutschland stattfinden. Aber es gibt Umfragen wie die des Hochzeitsplaners WeddyPlace, aus denen sich eine Tendenz ablesen lässt. Demnach haben im vergangenen Jahr 36,3 Prozent der Paare ihrem Gang zum Standesamt auch eine freie Trauung folgen lassen. 34,2 Prozent haben nur standesamtlich und 29,5 Prozent kirchlich geheiratet. Es ist wohl der Bedeutungsverlust der Kirchen, der die Hochzeitslandschaft in Deutschland in den vergangenen Jahren stark verändert hat. Fanden im Jahr 2000 in der katholischen Kirche in Deutschland noch knapp 65 000 Hochzeiten statt, waren es nach den Zahlen der Deutschen Bischofskonferenz im Jahr 2023 nur mehr 27 500 Hochzeiten. Ähnlich ist das Bild in der evangelischen Kirche, hier hat sich die Zahl der kirchlichen Trauungen halbiert.

Im Berufsstand der Hochzeitsredner sorgt diese Entwicklung für einen regelrechten Boom. „Die Nachfrage ist sehr hoch“, sagt Jenny Thomas, die allein in diesem Jahr bereits 15 Hochzeiten gefeiert hat. Und noch ist die Saison nicht rum. Bis Oktober ist sie an den Wochenenden fast ununterbrochen im Einsatz. Erst dann wird es etwas ruhiger.

Die Münchnerin selbst ist seit 2019 als Traurednerin tätig. Sie hat entsprechende Fortbildungen besucht und dann ihren alten Job im Büro, den sie als nicht mehr sinnstiftend empfand, an den Nagel gehängt. „Ich wollte lieber mit Menschen arbeiten als mit Zahlen und Tabellen.“

Hochzeitsrede kostet 1000 bis 1300 Euro

Seitdem hat sie freie Trauungen in Parks, in Schlössern und sogar in Schwimmbädern gehalten. Sie war auf Burgen und auf Schiffen, nicht nur in Bayern und Deutschland, sondern auch in Italien und Polen. „Es macht mir Freude, immer wieder neue Menschen kennenzulernen und deren Geschichte zu erfahren“, sagt Jenny Thomas. Eine Zeit lang war sie hauptberuflich Traurednerin, bis die Corona-Pandemie aufzog und sie doch wieder ins Büro zurückkehren musste. „Aber das werde ich“, sagt sie voll Überzeugung, „bald wieder ändern.“

Es ist statistisch nicht erfasst, wie viele Hochzeitsredner es in Bayern oder Deutschland gibt. Einen Einblick in die Branche der Trauredner aber gewährt eine Umfrage der Plattform Traucheck. Danach sind Frauen in diesem Bereich mit rund 80 Prozent klar in der Überzahl. Zwei Drittel üben ihre Tätigkeit im Nebenberuf aus. Auch was die Kosten angeht, gibt die Umfrage Auskunft: Danach liegt das durchschnittliche Honorar für eine Hochzeits-Zeremonie zwischen 1000 und 1300 Euro. Jenny Thomas nickt. „Das ist bei mir auch so“, sagt sie.

Nicole und Mantas hat sie zur Vorbereitung der Zeremonie zu einem ausführlichen Gespräch getroffen. Es gibt auch Fragebögen, die die Brautleute und auch die Trauzeugen ausfüllen müssen. Das ist die Grundlage für die Rede, die Jenny Thomas dann schreiben und bei der Zeremonie halten wird. Besprochen werden aber auch die Rituale, die in die Zeremonie eingebunden werde sollen. Nicole und Mantas haben sich dafür entschieden, symbolisch einen Ginkgo-Baum zu pflanzen. „Der Ginkgo-Baum steht für Liebe, Langlebigkeit, Stärke und Hoffnung“, sagt Nicole. Außerdem haben die beiden ein Holzherz mit einer Plexiglasscheibe anfertigen lassen. Die Gäste sollen, so die Idee, während der Zeremonie ihre guten Wünsche auf kleine Herzen schreiben und in das große Holzherz hineinwerfen.

Die Zeremonie dauert etwa 45 Minuten

Eben dieses Holzherz wackelt jetzt bedrohlich im Wind, trotz der zusätzlichen Beschwerung durch Steine. Aber daran kann Jenny Thomas jetzt auch nichts mehr ändern. Die Gäste haben bereits Platz genommen, dann erklingt die Musik und Nicole und Mantas schreiten durch die Stuhlreihen und nehmen vor Jenny Thomas Platz.

An die 45 Minuten dauert die Zeremonie und es klappt alles wie am Schnürchen. Die Blumenvasen kippen nicht um, das Holzherz hält ebenfalls und die Rede von Jenny Thomas sorgt beim Brautpaar und seinen Gästen für große Rührung und gehörig Heiterkeit. „Es war genauso, wie wir uns das vorgestellt haben“, sagen Nicole und Mantas. Sie werden jetzt mit ihren Gästen feiern gehen. Die Hochzeitsrednerin dagegen packt schon ihre Sachen zusammen. „Ich habe noch einen Termin mit einem neuen Paar“, sagt sie. Aber vorher werde sie mit Nicole und Mantas noch auf die Liebe und die Ehe anstoßen. „So viel Zeit muss sein.“

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