Der späte Siegeszug eines Gescheiterten

von Redaktion

Friedrich Merz‘ Rückkehr in die Politik war von Rückschlägen geprägt – Als Kandidat muss er sich neu erfinden

Ein trügerisches Bild: Einträchtig teilen Friedrich Merz und Angela Merkel im Februar 2000 ihre Bonbons – insgesamt war und ist die Beziehung schwierig. © dpa

München – Friedrich Merz dürften diese Zeilen auch 17 Jahre später noch gut gefallen. „Mit dem Abgang von Merz endet in der CDU deutlich sichtbar die Ära der Erneuerer“, kommentierte unsere Zeitung im Februar 2007. Zuvor hatte der Sauerländer angekündigt, nicht mehr für den Bundestag zu kandidieren. Das Bedauern in der Union darüber hielt sich in Grenzen. Von einem „Abschied ohne Tränen“ schrieb „Die Zeit“. Es war der Abgang eines Gescheiterten. Inhaltlich gescheitert mit seiner Reformagenda – Merz, von 2000 bis 2002 Chef der Bundestagsfraktion, wollte die CDU mit dem legendären Leipziger Parteitag 2003 zur Partei der Wirtschaftspolitik machen (stattdessen kam Gerhard Schröders Agenda). Vor allem aber war Merz persönlich gescheitert. An Angela Merkel, gegen deren Machtwillen er kein Mittel fand. Sie wurde Kanzlerin. Er flüchtete aus dem Bundestag.

Man muss diese alte Geschichte noch einmal kurz erzählen, um zu verstehen, welch weiter Weg gestern Mittag für Friedrich Merz endet. Eine Politikerkarriere, die so generalstabsmäßig begann – CDU-Eintritt als Schüler, Stipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung, frühe Wahl ins EU-Parlament –, schien beendet. Merz arbeitete fortan als Wirtschaftsanwalt, beriet Unternehmen, saß in Aufsichtsräten, allen voran beim Vermögensverwalter Blackrock. So wurde er reich. Die Freizeit verbrachte er gerne an seinem Zweitwohnsitz in Gmund am Tegernsee. Damals wie heute hält er sich hier gerne fit, mit Mountainbiken und Wandern.

Doch die Politik ließ ihn nie los, er wartete nur auf das Ende von Merkels Amtszeit. Eine lange Amtszeit. So lange, dass Deutschland ihn fast vergessen hatte. Die CSU nicht. Im November 2015, der Flüchtlingsstreit mit der Schwesterpartei erreichte ihren Höhepunkt, nannte CSU-Chef Horst Seehofer in kleinen Runden erstmals Merz als möglichen Kandidaten, um Merkel abzulösen. Ausgerechnet Horst Seehofer, der Jahre vorher im Streit um die Sozialreformen der große Widersacher von Merz war.

Doch Merz musste noch länger warten. Seine Rückkehr in die Politik verlief steinig, in der CDU sehnten ihn die Funktionäre nicht unbedingt herbei. Mehrfach scheiterte er beim Versuch, Parteichef zu werden. 2018 unterlag er Annegret Kramp-Karrenbauer, 2020 dann Armin Laschet. Beide waren schon Geschichte, als Merz 2021 ein drittes Mal antrat, diesmal mit einer Mitgliederbefragung (62,1 Prozent) im Rücken.

Nun ist er der starke Mann: Parteichef, Fraktionschef, Kanzlerkandidat. Es wird nicht einfach werden, auch weil ihn große Teile der Hauptstadtpresse extrem kritisch begleiten dürften. Er selbst rechnet damit, dass die Phase bis zur Wahl die härteste Zeit seines Lebens wird. Von heute auf morgen immenser Druck, immer unter Beobachtung. Man erinnert sich an das Lachen von Armin Laschet während der Flut. Eine falsche Geste, ein falscher Satz – und plötzlich ist jeder Höhenflug vorbei. Merz sagt, er habe sich vorbereitet, lange Gespräche mit der Familie. Wisse, dass jetzt alles wieder hochkomme. Blackrock. Und natürlich der Privatjet, mit dem er zu Christian Lindners Hochzeit auf Sylt einflog. Er muss sich um gelassenere Auftritte bemühen. Nicht mehr aus der Haut fahren. Und vor allem: Kein falsches Wort mehr. Kein „Sozialtourismus“, keine „kleinen Paschas“. Kante zeigen, ohne zu kantig zu werden.

Ein Jahr hat er nun Zeit, sich auf seine neue Rolle vorzubereiten. Bundeskanzler. Für einen, der noch nie Regierungsverantwortung hatte, ist das ein sehr großer Sprung. Kohl, Schröder, Scholz – alle standen sie Landesregierungen vor. Merkel hatte immerhin als junge Ministerin am Kabinettstisch gesessen. Merz dagegen war in den letzten Jahren ausschließlich Oppositionspolitiker. Einer, der den Finger in die Wunde legt. Der mit harter Rhetorik auf Missstände hinweist. Im Wahlkampf muss er klarmachen, wie er Deutschland reformieren will. Und aus dem Leipziger Parteitag 2003 sollte er gelernt haben, dass die Menschen mitnehmen muss.

Ein Problem dabei: Er hat in all den Jahren kein wirklich enges Umfeld aufgebaut. Dem Konrad-Adenauer-Haus war er lange fremd. Nur ein echter Vertrauter, sein hoch loyaler Pressesprecher, begleitet ihn. Politisch stehen ihm vor allem General Carsten Linnemann (47) und Fraktionsgeschäftsführer Thorsten Frei nahe. Beide könnten in seiner Regierung wichtige Rollen spielen.

Nur: Mit wem regieren? Die FDP kämpft ums Überleben. Sahra Wagenknecht und ihr BSW könnten Merz im Osten noch viel Ärger bereiten. Im Bund scheint ein Bündnis angesichts der außenpolitischen Agenda ausgeschlossen. Oder vielleicht doch mit den Grünen? Anders als Markus Söder hat sich Merz diese Option immer offengehalten. Die CDU ist da vielfältiger als die CSU. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther erklärte erst gestern wieder, wie gut er mit der Ökopartei regiere. Merz hat heimlich intensiv Kontakte gesucht. Vor allem Parteichef Omid Nouripour soll ihn regelmäßig in seinem Bundestags-Büro besucht haben.

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