Rempler auf den letzten Metern: NRW-Regent Hendrik Wüst, CDU-Chef Friedrich Merz und CSU-Chef Markus Söder reden mit- und übereinander. © Kappeler/dpa
Berlin/München – Um 12:14 Uhr geben sie sich kurz und kräftig die Hand und murmeln sich etwas zu. „Alles Gute“, raunt Markus Söder. „Frohes Schaffen“, brummt Friedrich Merz. Das war‘s, sie eilen von der Bühne. Der Moment, auf den Deutschland nun seit ein paar Monaten wartet, läuft unspektakulär ab, fast banal. Der CDU-Chef greift sich die Kanzlerkandidatur, der CSU-Chef unterstützt ihn. Alles genau nach Plan also. Oder doch nicht?
Dieser kleine Auftritt vor dem Händedruck in Berlin wird noch viel diskutiert werden. Eigentlich hat sich Söder starke Worte zurechtgelegt für seine kurze Ansprache, zu der er und Merz kurzfristig am Dienstagvormittag eingeladen haben. Kein Gelaber, keine Umschweife, vor allem kein beleidigtes Mimimi. „Friedrich Merz macht‘s“, hebt Söder an. „Ich bin damit fein.“ Er betont sehr die Augenhöhe, die Eignung beider und die neue Nähe. „Wir sind wieder zusammen in der zentralen Frage, die uns seit 2015 gespalten hat: in der Migration. Erstmals wieder komplett zusammen.“ Man wolle „Deutschland wieder in Ordnung bringen“ und den „Ampel-Schaden reparieren“. Ja sogar: „Wir rocken das gemeinsam.“
Dann aber lässt Söder doch noch ein paar Hinweise fallen, die nachhallen im schmucken Innenhof. Der CSU-Chef betont, dass nichts an ihm vorbei geschehen wird ab 2025 in der Bundespolitik. „Der Koalitionsausschuss ist da, wo politische Macht stattfindet“, erwähnt Söder. Will sagen: Nicht in Merz‘ Kanzleramt, sollte er die Wahl überhaupt gewinnen, nicht an Merz‘ Kabinettstisch, nicht in Merz‘ Unionsfraktion fallen Beschlüsse – sondern in jenem informellen Gremium der Koalitionspartner, das in keiner Verfassung steht, in der Praxis aber wichtig ist.
Kanzler von Söders Gnaden also? So wie auch der Ort der Verkündung interpretiert werden könnte, die bayerische Landesvertretung in Berlin? Merz bemüht sich sofort, den Eindruck zu zerstreuen. Harmonie ja, aber er setzt andere Akzente als der CSU-Chef, spricht davon, dass er die Migrationsprobleme lieber schneller gelöst sähe und nicht als Hauptthema in den Wahlkampf mitnähme. „Wir sind sehr unterschiedlich“, sagt er über den „lieben Markus“, „genau das macht den Reiz aus“. Und er erinnert, auch in den letzten zweieinhalb Jahren auf Ebene der Parteichefs sei „die Zusammenarbeit nicht immer einfach gewesen“.
Das klingt immerhin authentisch, nicht Krawall, nicht Kuschelei. Es sind halt auch zwei Alphatiere. Sie brauchten Wochen und mehrere Gespräche für eine Verständigung. Wobei „verständigen“, wie Söder klarmacht, bedeutet: Merz hat das Zugriffsrecht und nutzt es. Was die beiden dann in den zwei Stunden im finalen Gespräch direkt vor dem Auftritt besprachen, erst unter vier Augen, dann sekundiert von den Parteistrategen Carsten Linnemann und Alexander Dobrindt, kann ohnehin nur erahnt werden. Söder dürfte Bedingungen gestellt haben: einflussreiche Posten für die CSU (nicht für ihn), vielleicht wurde auch das Thema Bundespräsident angetippt; beide schweigen. Es gibt einen Zettel mit Notizen, sicher in der Innentasche eines Unterhändlers verstaut.
Dass da doch noch ein Maß an Disharmonie über dem Auftritt wabert, kommt vor allem vom Vortag. Aus Düsseldorf, wo sich plötzlich am Montagabend Hendrik Wüst zu Wort gemeldet hatte. Unabgesprochen, jedenfalls mit München, rief der NRW-Regent seinen Landsmann Merz zum Kandidaten aus und sich selbst in gewundenen Worten zum möglichen Nachfolger („niemals nie nie sagen“). Die CSU wurde davon kalt erwischt, reagierte pampig. Eigentlich war seit mehreren Tagen vereinbart, dass CDU wie CSU bis Dienstag komplett dicht halten.
Wüst glückte damit der Eindruck, er wäre selbst ernsthaft im Rennen gewesen und sei nun der Königsmacher. Söders „Verzicht“ auf die Kanzlerkandidatur sieht dann nicht mehr so selbstbestimmt aus wie geplant. Sondern wirkt wie ein schnelles Eingeständnis der Realität, während im Minutentakt Merz-Solidaritätsadressen aus Nord und West einlaufen. Hinzu kommen Spottgesänge aus der zweiten Reihe der CDU. Die schleswig-holsteinische Ministerin Karin Prien lästert am Dienstag öffentlich über Söders wochenlange Versuche, sich noch im Spiel zu halten: „Da wollte ja jemand gerufen werden, aber es hat keiner gerufen.“
Das ärgert die CSU ernstlich, und Söder ist keiner, der sowas achselzuckend weglächelt. Richtung Wüst kontert er sofort, Ministerpräsidenten gebe es ja viele, Parteivorsitzende in der Union aber nur zwei. Und seine Leute verlangen von Merz, Querschüsse in der CDU abzustellen. Zumal Merz bei näherem Hinsehen selbst einen Rempler abbekam. Wüst betonte nämlich, er stehe gerade bei Jüngeren gut da; einer der wunden Umfrage-Punkte des 67-jährigen CDU-Chefs.
Einig sind sich Merz und Söder, dass sie nun nicht als Getriebene dastehen wollen. Mehrere Beteiligte, auch aus dem kleinsten Zirkel, beteuern: Nein, der Doppel-Auftritt in Berlin war keine schnelle Flucht nach vorn wegen Wüsts Vorpreschen, sondern seit über einer Woche geplant. Unter strengster Geheimhaltung. Es heißt, Dobrindt habe in einer Finte die bayerische Landesvertretung für diesen Tag von allen Besuchern und Zufallsgästen räumen lassen. Er habe eine fiktive Großveranstaltung von Bundestagsabgeordneten angemeldet – damit Söder und Merz ungestört reden können.
Liegt da jetzt wegen Wüst schon ein Schatten über dem Wahlkampf? Merz dürfte das vermeiden wollen. Er weiß: Ohne ein starkes CSU-Ergebnis aus Bayern und ohne ehrliche Unterstützung wird er es rechnerisch wohl nicht zum Kanzler schaffen. Was es hieße, in München einen Feind sitzen zu haben, durfte Armin Laschet 2021 erfahren. Mit spitzen Bemerkungen („nicht im Schlafwagen ins Kanzleramt“) ließ Söder den CDU-Mann damals als müden, tapsigen Kandidaten dastehen.
Wiederholungsgefahr? Vorerst nicht. „Die kommen klar“, sagt einer aus der CSU-Spitze über Söder/Merz, „die sind schon im Reinen“. Beide respektierten und achten sich, menschlich wie inhaltlich. Söder selbst betont immer wieder, er akzeptiere diese Personalie auch persönlich. „Und ohne Zähneknirschen.“