Sie kommt von der West-, er von der Ostküste: Wie stark beeinflusst das Harris‘ und Bidens Außenpolitik? © pa
Washington – Joe Biden war zehn Jahre alt, als er mit seinen Eltern von Pennsylvania in den US-Bundesstaat Delaware zog. In einem Vorort namens Mayfield machte sein Vater als Gebrauchtwarenhändler Karriere, als Teenager war Biden ein schlechter Schüler. Umso besser spielte er aber im Football. Den Ort an der Ostküste des Landes, nicht weit von Philadelphia, hat er nie loslassen können. Heute hat er mit seiner Frau Jill ein hübsches Strandhaus in Delaware, in einem 1100-Seelen-Ort, mit dem Atlantik direkt vor der Haustür – und Europa dahinter.
Vielleicht ist es diese Vorgeschichte, die Biden zu einem leidenschaftlichen Transatlantiker gemacht hat. Biden, Jahrgang 1942, war gerade zwei Jahre alt, als die Alliierten in der Normandie landeten, um Europa vor Nazi-Deutschland zu retten. Als junger Senator reiste er 1979, mitten im Kalten Krieg, nach Moskau und traf dort den russischen Außenminister. Er hat miterlebt, wie die westliche Welt immer näher zusammengerückt ist – und er war aktiv daran beteiligt. Die Unterstützung für die Ukraine dürfte allein deshalb für ihn selbstverständlich gewesen sein.
Nun ist Biden der vielleicht letzte wahre Transatlantiker in seinem Amt. Hierzulande fürchten viele einen Präsidenten Trump, der Europa fallen lässt. Doch auch unter einer Präsidentin Harris wird nicht erwartet, dass sie mit derselben Leidenschaft wie Biden die Beziehungen nach Europa pflegt. „Ich glaube nicht, dass ihr das so wichtig ist wie für Biden“, sagt Kelly Grieco, Außenpolitik-Expertin am Stimson Center in Washington. Der ThinkTank berät die US-Regierung in Konflikt- und Friedensfragen. Im Pentagon liege der Fokus vor allem auf dem Indopazifik, sagt Grieco. Man blicke derzeit eher nach Peking als nach Brüssel. „Sie wollen wissen, was China dort plant – insbesondere in Bezug auf Taiwan.“
Harris ist ein Kind der Westküste. Augewachsen ist sie in Oakland, Kalifornien – mit Blick auf den Pazifik. Auf der Münchner Siko hat sie zwar Anfang des Jahres klargemacht, dass sie fest zur Nato stehe. Aber gleichzeitig hat sie betont, dass die US-Außenpolitik nicht auf den „Tugenden der Nächstenliebe“ basiere. „Wir verfolgen unseren Ansatz, weil er in unserem strategischen Interesse liegt.“
Laut den Experten im Stimson Center erwarte Washington von Europa – vor allem von Berlin–, sich um die eigene Sicherheit zu kümmern. Das werde sich weder unter Trump noch unter Harris ändern. Die Regionen könne man ohnehin nicht trennen: Seit Russland und China gemeinsame Sache machen, seien die Risiken in Europa und im Indopazifik miteinander verflochten. „Derzeit gibt es in Washington zwei Ansichten: Entweder wir steuern auf einen neuen Kalten Krieg zu“, sagt Grieco. Oder es stelle sich heraus, dass Moskau und Peking nicht so eng zusammenstehen, wie es scheint. Denn auch in Russland habe Xi territoriale Ansprüche. Das werde oft vergessen.
KATHRIN BRAUN