Die Aufräum-Expertin Franziska Barth-Christner mistet mit ihren Kunden oft den Kleiderschrank aus. © Max Wochinger
Kisten und Boxen können schnell Ordnung im Eigenheim schaffen – und auch das Putzen erleichtern. © Susumu Yoshioka/Getty
München – Dreimal in der Woche dringt Franziska Barth-Christner in den privatesten Bereich des Menschen ein: in die eigene Wohnung. Gemeinsam mit ihren Kundinnen durchforstet sie Kleiderschränke, räumt Abstellkammern aus oder bringt Kinderzimmer auf Vordermann. Barth-Christner (37) räumt professionell Wohnungen und Häuser auf. Sie ist zertifizierter Ordnungscoach. „Zu mir kommen Frauen, die beruflich alles geben, denen aber ihr Zuhause entglitten ist”, sagt sie.
Ordnung halten? Das kann doch jeder. Diesen Satz hört die Putzbrunnerin immer wieder. Doch zu ihr kommen Menschen, die alleine nicht mehr aus ihrem Chaos herauskommen. „Meistens kommen Frauen zu mir. Sie räumen ihre Sachen von A nach B und haben keine Lust mehr auf das Chaos zu Hause“, sagt sie. Ihre Kundinnen hätten keine Zeit oder keine Motivation zum Aufräumen. Oft stecken auch mentale Blockaden dahinter, sagt die Ordnungsexpertin.
„Viele haben eine emotionale Bindung zu den Dingen aufgebaut und ein schlechtes Gewissen, wenn sie sie wegwerfen. Schließlich waren sie mal teuer, oder man hat sie von einer besonderen Person bekommen.“ Das Aussortieren fällt den Betroffenen schwer. Hier kommt Barth-Christner ins Spiel, der Personal Trainer fürs Zuhause.
Aufräum-Profis nehmen bis zu 100 Euro pro Stunde
Das Geschäft mit der Aufräumberatung boomt. Allein in München gibt es mehr als zehn Coaches – und auch auf Instagram und Youtube tummeln sich unzählige Beraterinnen mit hunderttausenden Fans. Sie versprechen dauerhafte Ordnung und ein besseres Lebensgefühl. Das lassen sie sich teuer bezahlen: Das gemeinsame Aufräumen vor Ort kostet bis zu 100 Euro pro Stunde. Einige verdienen auch am Verkauf von Produkten wie Saugrobotern oder Aufbewahrungsboxen.
„Das Thema Ordnungscoaching ist relativ jung“, erzählt Barth-Christner. Noch vor wenigen Jahren habe es nur zwei, drei Coaches in München gegeben. Doch nun sei für viele Menschen Ordnung und Sauberkeit zum Trendthema geworden. „Das ist wichtig, denn schnell kann jemand aus der Spur gekommen sein. Dann ist es gut, wenn der Ordnungscoach die Person an die Hand nimmt und hilft.“
Der Ordnungsprofi erklärt sich die Entwicklung mit dem „Terror der Möglichkeiten“, wie sie sagt. „Wir können uns zu jeder Zeit alles kaufen. Vor allem in München geht es vielen Menschen finanziell sehr gut.“ Zudem habe es früher für den Kleiderschrank nur Winter- und Sommerkollektionen gegeben. Heute bringt die Bekleidungsindustrie immer schneller neue Kollektionen an den Start und das oft zu niedrigen Preisen. „Es geht jetzt zack – und der Kleiderschrank ist voll“, sagt die Aufräumberaterin.
Sie selbst arbeitete früher in einer Werbeagentur. Dann bekam sie Kinder, und die Sachen im Haus häuften sich an. Spielsachen, Geschirr, Decken. „Ich habe gefühlt die Dinge nur von A nach B geräumt und bin nie fertig mit der Arbeit geworden. Ich war deswegen total unentspannt.“ Sie machte Yoga und Meditation – doch helfen konnte ihr das nicht.
Dann las sie einen Ratgeber und sortierte ihre Sachen aus. „Wir hatten viel zu viel Zeug und viele Chaos-Ecken. Ich habe gemerkt, wenn ich mich reduziere, habe ich weniger Verpflichtungen und weniger Hausarbeit.“ Dieses Gefühl wollte sie auch anderen Menschen beibringen. Sie ließ sich zum Ordnungscoach zertifizieren, und vor rund drei Jahren machte sie sich selbstständig.
Barth-Christner hat Kundinnen, die sie schon seit einigen Jahren berät; manche Menschen bräuchten nur einen Stupser. Meist ist sie vier Stunden pro Tag bei einer Kundin. Nach einem Vorgespräch besucht sie die Wohnungen und macht sich zunächst einen Eindruck davon. „Wichtig ist zu klären, was die Erwartungen und Ziele sind. Und welche Gegenstände in der Wohnung bleiben sollen“, sagt sie.
Manchmal räumt sie mit ihren Auftraggeberinnen die Kleiderschränke aus – und zwar komplett. „Da sehen sie erst, was da alles drinsteckt. Bei vielen fängt es dann an zu arbeiten: Brauche ich das T-Shirt überhaupt?“ Die Bedürfnisse erkennen und das Konsumverhalten hinterfragen – damit lasse sich schon im Vorfeld Unordentlichkeit vermeiden, sagt Barth-Christner. „Wer im Äußeren Ordnung schafft, sorgt auch im Inneren für Ordnung“, meint die Aufräumexpertin. Vielen Menschen sei nicht bewusst, dass man sich auf Shoppingtouren kein Glück kauft, sondern Verpflichtungen und Unzufriedenheit.
Wenn etwas nicht mehr gebraucht wird, kommt es oft in Schubladen, den Flur oder in die Abstellkammer. Klassische Krisenherde. Barth-Christner räumt sie mit ihren Kunden häufig komplett aus, stellt alle Gegenstände auf den Boden und fängt mit dem Sortieren an: Küchengeräte zu Küchengeräten, Einmachgläser zu Plastikbechern. Und dann wird weggeschmissen. „Für viele ist das psychisch anstrengend, endgültige Entscheidungen zu treffen“, sagt sie. „Man sollte aber auch nicht zu streng mit sich sein.“
Wer Dinge spendet, kann oft leichter loslassen
Der Ordnungsprofi hat immer Müllbeutel im Gepäck. Die Hälfte aller Dinge in einem Haus oder einer Wohnung könne man wegwerfen. Damit es den Menschen leichter fällt, sich von bestimmten Dingen zu trennen, greift sie zu zwei Tricks: Erinnerungskisten und Spendenboxen. „Die sind ganz wichtig, damit fällt es den Leuten viel einfacher, loszulassen.“
Bei aller Ordnung und Sauberkeit sei es wichtig, es mit dem Aufräumen nicht zu übertreiben, sagt sie. „Wenn die Ordnung das Leben bestimmt und man sich tausend Gedanken darüber macht, wo der Schmuck hinkommt, kann das zum Problem werden.“ Dann könne der Ordnungsfimmel zur Zwangsstörung werden. „Für mich ist Ordnung aber ein tolles Werkzeug.“