Der Ampel-Aufstand wird wieder vertagt

von Redaktion

Ruhe bewahren, bittet der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil. © Odd Andersen/AFP

Wie lange hält das? Robert Habeck, Christian Lindner und Olaf Scholz, die Köpfe der Koalition. © Carsten Koall/dpa

Streicheleinheiten für die 0,83-Prozent-Partei: So sieht unser Karikaturist Heiko Sakurai die Koalition.

Berlin/München – Es ist der Moment, in dem das kleine Brandenburg zur Weltpolitik wird. Olaf Scholz steht auf einem Bürgersteig mitten in New York und verkündet, dass er recht zufrieden ist. „Ich bin sehr froh über das Wahlergebnis. Es lohnt sich zu kämpfen“, sagt Olaf Scholz über den Verkehrslärm hinweg. „Das ist für uns alle ein Auftrag und Zeichen. Es ist wichtig, geschlossen zu bleiben und fokussiert.“ Das nehme er sich auch mit Blick auf die Bundestagswahl vor, „nämlich zu kämpfen, entschlossen und geschlossen zu handeln“.

Die Kanzlersätze, vorher wie üblich genau bis aufs Komma überlegt, sind eine Botschaft an Deutschland, vor allem aber an die eigene Partei: Behaltet die Nerven. Und das aus gutem Grund. Im fernen New York hat Scholz sich trotz sechs Stunden Zeitverschiebung minütlich auf dem Laufenden halten lassen, wie das in Brandenburg ausgeht. In der Debatte beim UN-„Zukunftsgipfel“ sah man den Kanzler sehr, sehr viele SMS lesen. Einmal steckte ihm sein Regierungssprecher sogar, wie auf der Schulbank, heimlich einen gefalteten Zettel zu. Es geht halt auch um sehr viel für ihn – wahrscheinlich den Fortbestand der Regierung. Der klare und überraschende Sieg der SPD im Osten lässt die Sozialdemokraten aufatmen.

Wieder mal stand am Sonntag und Montag die Ampel auf der Kippe. Und wieder mal hält sie, wenn auch wackelig. Beides hat mit der FDP zu tun. Der kleinste Koalitionspartner, in Brandenburg mit kaum mehr messbaren 0,8 Prozent hergewatscht, wird zunehmend nervös. In der Partei wird die Strömung derer, die ein Ampel-Ende fordern, immer breiter. Zu tief wird die Partei durch die schlechte Performance der Bundesregierung nach unten gezogen. Freilich, Parteivize Wolfgang Kubicki ist immer unter den Kritikern. Er sagt schon am Sonntag sinngemäß, der Ampel gebe er höchstens noch bis Weihnachten. Doch auch Bayerns FDP-Chef Martin Hagen wiederholt seine vor zwei Wochen in unserer Zeitung geäußerte Ampel-Skepsis. Am Morgen nach der Wahl hat das gleich noch mehr Gewicht.

Für einige Stunden sieht es in Berlin so aus, als steuere die FDP auf den Notausgang zu. Von einer Krisen-Konferenz der Vertrauten von Christian Lindner am Sonntagabend ist die Rede, was der Parteichef allerdings dementiert. Währenddessen fangen die anderen Top-Koalitionäre öffentlich an, beruhigend auf die FDP einzureden. Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil tritt vor die Kameras und sagt, er hoffe, „dass niemand in dieser Koalition auf die Idee kommt, vor Verantwortung wegzurennen“. Man sei doch gewählt und müsse „einen Job erledigen“. Grünen-Chef Omid Nouripour erzählt etwas davon, dass eine Koalition auch ohne „Feng-Shui-Moment“ auskommen könne. Feng Shui ist eine chinesische Harmonielehre. Erkennbar haben sich bei SPD und Grünen vorerst jene durchgesetzt, die weiter regieren wollen; es ist in beiden Parteien die Mehrheit. In der SPD geht zwar die Debatte weiter, ob Scholz der richtige Kanzlerkandidat ist, ein schnelles Ampel-Ende ist aber nicht Gegenstand der Beratung.

Mittags im FDP-Präsidium herrscht eine ernste Stimmung. Rund 50 Leute sitzen bedröppelt im Hans-Dietrich-Genscher-Haus. Ein Landesverband nach dem anderen musste in den vergangenen Monaten Rückschläge einstecken. Echte Befürworter der Ampel finden sich keine mehr. Man unterscheidet sich im Level der Frustration. Hagen und Kubicki werben deutlich für ein Ende mit Schrecken. Doch die meisten wollen weitermachen. Tenor: Man könne nur die Reißleine ziehen, wenn inhaltliche Gründe dafür stünden – und nicht wie jetzt in einer Panikreaktion, weil es der Partei schlecht gehe. Aber auch das wissen alle im Raum: Der Partei geht es sehr schlecht.

Was hält die FDP in der Ampel? Ist es, wie Kritiker unken, der Ruhegehaltsanspruch der Minister, der erst nach vier Jahren einsetzt? Lindner würde das gewiss zurückweisen, er argumentiert dialektisch. Verkürzt gesagt: Dass es mutig sei, eine Koalition zu verlassen, aber eben auch Mut erfordere, in diesem Bündnis zu bleiben.

Der Parteichef versucht es also noch einmal mit Inhalten und stellt öffentlich etwas, was man als Ultimatum verstehen könnte. Nicht Kubicki-mäßig schrill, aber trotzdem verständlich in drei Punkten: Die Ampel müsse jetzt liefern bei einer Kontrolle der Zuwanderung, in der Wirtschaftspolitik und beim Haushalt. „An diesen Fragen wird die Koalition gemessen.“ Herbst sagt er zudem, „Herbst der Entscheidungen“. Er nennt eine Frist bis 21. Dezember, da nämlich beginnt der Winter.

Doch es zeichnet sich ab, dass der Herbst der Entscheidungen mal wieder ein Herbst der Streits in der Ampel werden könnte. Denn zumindest in Sachen Migration sind die Grünen keineswegs überzeugt. „Die populistische Anti-Asylrhetorik der letzten Wochen auch durch Parteien aus der Ampel und der CDU/CSU stärkt nur eine Partei: Die AfD“, verkündet Erik Marquardt, Leiter der grünen Europagruppe. „Ich hoffe, dass das jetzt endlich mal ankommt.“ Auch der linke Flügel der SPD-Bundestagsfraktion attackiert die Liberalen. Ihr Sprecher Tim Klüssendorf verlangt, dass die SPD wieder selbstbewusster auftreten müsse. Man solle „stärker Führung übernehmen“ und die „eigenen Inhalte“ umsetzen.

Womöglich muss sich Scholz solche Sätze auch heute anhören, wenn er um 15 Uhr zur Fraktionssitzung seiner SPD ins Parlament kommt. Es ist grotesk: Hätte Dietmar Woidke verloren, hätte dieser Termin sehr ungemütlich werden können für den Kanzler. Doch er gewann – auch weil er Scholz aus dem Wahlkampf raushielt. Der Kanzler mag nicht viele Fragen beantworten auf seinem New Yorker Bürgersteig, und auch sonst ja nicht. Er geht auf Lindner oder gar Kubicki nicht ein, wiederholt aber mehrfach, dass es ums Kämpfen geht. Sein Mantra: Auch vor der letzten Wahl lag er aussichtslos hinten. Und entgegen aller Prognosen gewann er. Ob sich das wiederholt?

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