INTERVIEW

Auf der Spur der Könige

von Redaktion

Prinz Luitpold über die berühmteste Familie Bayerns – und Lücken im Stammbaum

Kann man jetzt als Plakat kaufen: Der Stammbaum der Wittelsbacher ist weitverzweigt – aber nicht jeder aus der Familie hängt dran.

Der Märchenkönig: Ludwig II. © Bayer. Schlösserverwaltung

Prinz und Brauerei-Chef: Luitpold von Bayern. © imago stock

Blick durch die Lupe: Ludwig II. findet sich am Ende eines Astes. Zwei Schilder darüber: Luitpold von Bayern. © Fotos: Marcus Schlaf

München – Er ist ein Muss nicht nur für eingefleischte Fans des Kini: Von Otto I. (geboren 1117) bis Konstantin (geboren 2023) reicht der Stammbaum der Wittelsbacher, der jetzt – wunderschön gezeichnet – als Plakat im Volk Verlag herausgekommen ist. Im Interview mit unserer Zeitung erklärt Prinz Luitpold von Bayern, vielen besser bekannt als Chef der Brauerei Kaltenberg, die Besonderheiten des blaublütigen Stammbaums – und warum so wenig Frauen verzeichnet sind.

Wenn Sie auf Ihren Stammbaum blicken, erfüllt Sie das auch mit Stolz?

Etwas Stolz, gewiss. Es geht ja doch sehr weit zurück, es ist spannend, weil auch eine europäische Dimension erkennbar ist. Aber ich muss gleich sagen: Der Stammbaum ist nur ein Ausschnitt unserer Familie.

Ach ja. Wieso das?

Als 1980 das 800-jährige Jubiläum unserer Familie gefeiert wurde, da wurde versuchsweise ein dreidimensionaler Stammbaum mit wirklich allen Familienmitgliedern seit Otto I. (1117–1183) gezeichnet. Der Baum hätte in etwa einen Umfang von acht mal fünf Metern gehabt – mit drei Metern Höhe. Da verlieren Sie komplett den Überblick.

Wer wird denn dann in den Stammbaum aufgenommen – und wer nicht?

Im Wesentlichen die Regierenden. Wichtig ist, dass sich die Familie immer wieder geteilt hat, schon im 13. Jahrhundert in die Altbayerische Linie und die Pfälzer Linie, danach immer wieder. Manche Seitenarme, andere zeitweise sehr mächtige Linien, verkümmerten. Sehen Sie hier (zeigt auf die Linie Bayern-München). Nach der Reformation zum Beispiel wurde, um Köln katholisch zu halten, über vier Generationen der zweite Sohn der Wittelsbacher Regenten Kirchenfürst von Köln. Das hält keine Genetik aus, Kurfürst Maximilian III. Joseph hatte keine männlichen Nachkommen, die Pfälzer Linie starb mit seinem Tode 1777 aus.

Wer wurde weggelassen?

Wir haben uns auf die regierenden Linien konzentriert und natürlich auch viele Frauen weggelassen, die in andere Häuser einheirateten. Quer durch ganz Europa. Das würde jeden Stammbaum sprengen. Und es gab ja auch Wittelsbacherinnen, die in andere Familien heirateten und in Ihrer neuen Rolle zu Gegnerinnen von Bayern wurden.

Tauchen überhaupt Frauen in dem Stammbaum auf?

Schon. Die jetzt noch lebenden Wittelsbacherinnen sind alle erwähnt. Und auch von früher einige, die besondere Bedeutung hatten. Zum Beispiel Elisabeth (Isabeau de Bavière), 1371–1435 Königin von Frankreich, oder Maria (1561-1589), die Königin von Schweden. Oder Jakobäa von Holland (1401-1436), das ist die Linie Straubing-Holland. In Den Haag finden Sie noch heute das Wittelsbacher Wappen im Regierungsgebäude.

Was ist der Grund, warum Wittelsbacherinnen in anderen Ländern regierten, in Bayern aber nie?

Die Erbfolge im dynastischen Sinne ist männlich – eine Tradition, die sich über Jahrhunderte bewährt hat, die Töchter hatten oft als Königinnen in ihrer neuen Familie bedeutende Rollen. Es hat in der heutigen Zeit keinen großen Belang.

Sie sehen keinen Bedarf, es zu ändern?

Absolut nicht.

Sie sind als Oberhaupt der Familie nach dem Tegernseer Max Emanuel vorgesehen. Was bedeutet Oberhaupt?

Es ist im Wesentliche reine Repräsentation. Es ist Tradition, dass wir uns in Kultur und Wissenschaft engagieren. Ich interessierte mich schon für Kunst, aber an Herzog Franz reicht mein Wissen sicher nicht heran. Ich bin eher jemand, der aus der Wirtschaft kommt.

Wie viele Mitglieder zählt das Haus Wittelsbach denn heute?

Ich habe nicht gezählt, aber es werden etwa 40 bis 50 Personen sein.

Das ist überschaubar. Können Sie zu jedem Wittelsbacher auf dem Stammbaum etwas erzählen?

Probieren wir‘s?

Stephan, 1385 bis 1459.

Sein Vater war Rupprecht, gewählter deutscher König, davon hatten wir nicht viele. Stephan war der dritte Sohn, er gehörte zur Linie Simmern-Zweibrücken, von dieser Linie stammen heute alle ab.

Die meisten kennen die bayerischen Könige. Welche Herrscher sind aus Ihrer Sicht besonders wichtig?

Wichtig ist relativ. Einer der Bedeutendsten war sicher König Max I. (der erste bayerische König, lebte 1756 bis 1825), der oft unterschätzt wird. Max I. war einer der Letzten aus der Linie der Herzöge von Zweibrücken. Ihm gelang ein diplomatisches Kunststück allerhöchster Güte in einer Zeit, da die Österreicher uns schlucken wollten und Napoleon nach Bayern kam. Dabei das Land zusammenzuhalten und immer auf der richtigen Seite zu sein, war gewiss nicht einfach. Max war exzellent in der Auswahl seiner Ministerialen.

Sie meinen Montgelas.

Ja, und andere. Er hatte im richtigen Moment die richtigen Leute an der richtigen Stelle.

Manche werfen ihm vor, Max habe die Königskrone von Napoleons Gnaden erhalten.

Das wird gerne behauptet. Aber zum einen gab es keinen deutschen König mehr, weil sich die Kurfürsten nicht mehr darauf einigen konnten und somit das deutsche Wahlkönigtum endete. Und zum zweiten war Kurfürst Max in seiner Jugend französischer Offizier in Straßburg und hatte dort die französische Revolution hautnah miterlebt – er musste fliehen. Da war der Emporkömmling Napoleon sicher nicht sein Wunschpartner. Aber Napoleon sicherte zu, die österreichischen Besatzer aus Bayern zu vertreiben. Und das Versprechen hat er gehalten. Als Napoleon 1805 nach München einmarschierte, ist er als Befreier gefeiert worden.

Die Säkularisation hat die Kirche den Wittelsbachern nie verziehen.

Sie erfolgte mit päpstlicher Genehmigung, das wird oft vergessen. Das Resultat ist die Kirchensteuer, damit ist die Kirche nicht schlecht gefahren. Damals war ein Drittel der Fläche Bayerns in kirchlichem Besitz, es gab Klöster mit tausenden Hektar Land und nur noch einem Mönch. Deshalb war die Säkularisation unverzichtbar. Ich gebe aber gerne zu: Was gründlich unterschätzt wurde, waren die wirtschaftlichen Folgen der Kirchenenteignung. Für so viel Besitz und Land gab es keinen Markt, da sind wahnsinnige Sachen passiert und ganze Bibliotheken zu Schleuderpreisen veräußert oder ganz vernichtet worden.

Ludwig II. ist nicht Ihr Favorit?

Er ist eine hochinteressante Person. Gescheit, aber exaltiert. Und leider sehr krank. Was viele nicht wissen: Er war in seiner Jugend ein hervorragender Sportler. Er war ein brillanter Reiter, er ist mit dem Pferd über die Nymphenburger Schlossmauern gesprungen. Er war auch ein guter Schwimmer, ist durch den Starnberger See geschwommen. Dann hatte er aber in seiner Jugend einen schweren Leistenbruch. Dann nahm er an Gewicht stetig zu, wurde trotz seiner Größe sehr korpulent. Bei seinem Tod wog er 140 Kilogramm. Und er hatte unmenschliche Zahnschmerzen, hatte bei seinem Tod noch sechs Zähne. Er betäubte sich mit starken Spirituosen und Opiaten.

Ihre persönliche Theorie zu den Todesumständen?

Es gibt zwei Theorien, die möglich sind: Er war schwer suizidgefährdet, das ist unumstritten. Und dann wird er eingesperrt in Schloss Berg, vergitterte Fenster, keine Schlösser, Umstände, die er von seinem Bruder Otto nur zu gut kannte. Er wusste: Wenn ich da mal reinkomme, komme ich nicht mehr raus. Eine der größten Idiotien von Professor Gudden war, mit ihm einen Spaziergang zu unternehmen. Ludwig hat Gudden eingeseift. Er hatte mittags schon eine Flasche Arak zu sich genommen.

Was weiß man über die Zeit danach?

Man hat seinen Mantel gefunden, mit den Ärmeln nach außen. Also hat ihn jemand festgehalten. Also ist er ins Wasser getürmt. Ob das der Versuch einer Flucht oder eines Selbstmords war, wird man nicht mehr klären können. Dass es ein Handgemenge zwischen ihm und Gudden gab, ist auch klar. Dabei ist auch der Doktor gestorben. Wenn Sie im Starnberger See Anfang Juni ins Wasser gehen, bei zehn bis 15 Grad, in höchster Erregung, bei diesem schlechten körperlichen Zustand, ist auch die Möglichkeit eines Herzstillstands gegeben. Die Selbstmord-Wahrscheinlichkeit ist um einiges größer als alles andere. Alle anderen Theorien sind Blödsinn.

Auch die Mordtheorie?

Ich glaube, das ist völliger Unsinn.

Der Stammbaum

der Wittelsbacher. Von den Vorfahren Kaiser Ludwigs des Bayern bis zur Familie heute. Volk Verlag, 47 cm x 95 cm, 19,90 Euro.

Artikel 2 von 3