John und Jenny Jürgens. © dpa
Wien – Die künstlerischen Ambitionen von Udo Jürgens reichten weit über die leichte Unterhaltung hinaus. Der Sänger ließ politische Ereignisse und auch angesagte Musikströmungen in seine Hits einfließen, wie seine Kinder John und Jenny Jürgens erzählen. „Was er nicht wollte, ist altbacken und von gestern sein“, sagte John (60) der Deutschen Presse-Agentur. „Der Papa hat uns auch progressivere Musik gezeigt – Rockbands und die krassesten Sachen“, erinnert sich der Sohn in dem gemeinsamen Interview. „Wir waren alle sehr funky“, ergänzte seine drei Jahre jüngere Schwester Jenny.
Udo Jürgens wurde als Jürgen Udo Bockelmann in Klagenfurt geboren. Am 21. Dezember 2014 starb er in seiner Schweizer Wahlheimat. Er hinterließ ein riesiges musikalisches Erbe mit mehr als 1000 komponierten Songs und mehr als 100 Millionen verkauften Tonträgern. Seine erste Single mit dem Titel „Es waren weiße Chrysanthemen“ (1956) stand noch ganz im Zeichen des Schlager-Genres. Etwa zehn Jahre später setzte sich Jürgens mit dem Hit „Siebzehn Jahr‘, blondes Haar“ und dann beim Eurovision Song Contest mit dem Siegerlied „Merci Chérie“ als eigenständiger Song-Komponist durch.
„Er wollte sich immer weiter und immer intensiver von diesem Image des Schlagersängers abheben“, sagt Jenny. Es habe ihn „immer leicht gewurmt“, wenn er so bezeichnet wurde. „Der Papa hatte eine Art, in der Leichtigkeit seiner Songs immer irgendwo auch den Finger zart in eine Wunde zu legen – sehr oft auch mit einem Augenzwinkern“, sagt Jenny.
Privat fand John seinen Vater bodenständig. „Er war immer cool, aber nicht im überheblichen Sinn“, sagte der 60-Jährige der Funke Mediengruppe. Sein Vater habe sich weder vor Taxifahrern noch vor Superstars aufgeplustert. „Natürlich hat man manchmal als Kind oder Teenager kritischer auf den Vater geschaut“, sagte Jenny. Heute verstehe sie ihn besser. „Man hinterlässt nicht so einen Berg an Kreativität, wenn man der Windelwechselpapa ist“, fügte die 57-Jährige hinzu. Für ihn sei Jürgens „mehr der Papa als der große Star gewesen“, sagte Sohn John.
Zum 90. Geburtstag ist die Best-of-Sammlung „Udo 90“ erschienen, mit dem erstmals veröffentlichten Jürgens-Song „Als ich fortging“. „Es ist eine wunderschöne Ballade“, sagt John über das Lied, das auf YouTube schon fast 400 000 mal geklickt wurde. Der Song war als Demoband in einem Archiv verstaubt. Mittels Künstlicher Intelligenz wurde nun Jürgens‘ Stimme aus der alten Aufnahme herausgefiltert und mit neuer Instrumentalbegleitung eingespielt.
Auch auf der Bühne lebt der Entertainer weiter. Im November beginnt die Tournee „Da Capo Udo Jürgens“. In den Shows sind Konzert-Aufnahmen auf einer LED-Wand zu sehen und zu hören, während eine Band die Songs live begleitet. Als digitalen Avatar möchte John seinen Vater nicht sehen, auch wenn die Kultband Abba das erfolgreich gemacht hat. „Das finde ich gruselig“, sagt John.
ALBERT OTTI