Udo Jürgens kniet 1978 in der Münchner Olympiahalle vor seinen Fans, die ihn berühren wollen. © Manfred Bockelmann
Was für ein Werk! Mehr als 1000 Lieder hat Udo Jürgens geschrieben und gesungen. 1951 gewann der junge Bockelmann mit „Je t’aime“ einen Komponistenwettbewerb des Österreichischen Rundfunks. Verstummt ist Udo 63 Jahre später, mit „Zehn nach Elf“. Es war 2014 das letzte Stück auf seinem letzten Album. Unser Autor Jörg Heinrich stellt die (vielleicht) besten Lieder von Udo Jürgens vor – eine komplett subjektive „Top 15“-Hitliste.
1.Immer wieder geht die Sonne auf (1967): Erst die Geigen, dann das Klavier, dann Udos Stimme – und im Refrain reißen die Wolken auf. Mit himmlischen Chören singt Udo Jürgens von der Hoffnung: „Denn Dunkelheit für immer gibt es nicht.“ Das kraftstrotzende Arrangement und der Text von Thommy Hörbiger sorgen für drei Minuten musikalische Perfektion.
2.Illusionen (1973): Wer das Lied mit dem hinreißenden Refrain hört, hat die tragisch früh verstorbene Taiga-Prinzessin Alexandra im Ohr. Sie hatte damit 1968 einen Riesenhit. Geschrieben hat ihn Udo Jürgens – eigentlich für Frank Sinatra. Später landet er als „If I never sing another Song“ bei Sammy Davis Jr. und Shirley Bassey. 1973 nimmt Udo seine Komposition selbst auf, und sorgt für die beste Version des Klassikers.
3.Ich weiß, was ich will (1979): Udo goes Disco. Der geniale Marianne-Rosenberg-Produzent Joachim Heider verpasst dem Superstar ein musikalisches Gewand im Stil von Gloria Gaynor. „Ich will, dass endlich etwas Neues beginnt“, fordert Udo mit 45. Besonders tanzflächentauglich ist der Ohrwurm in der achtminütigen „Long Version“. Die Maxi gibt es heute nicht unter 50 Euro.
4.Lieb Vaterland (1971): Udo rechnet mit dem Nachkriegsdeutschland ab. Es klingt zu Motiven der „Wacht am Rhein“ beinahe nach 2024: „Wo Schulen fehlen, Lehrer und noch mehr. Konzerne dürfen maßlos sich entfalten. Im Dunkeln stehen die Schwachen und die Alten. Für Krankenhäuser fehlen dir Millionen.“ 1971 gibt es eine ARD-Sondersendung zu dem Skandallied, heute erscheint es visionär.
5.Griechischer Wein (1974): Womöglich der größte Schlager, der je gesungen wurde. Doch zuvor quält sich Udo zwei Jahre damit herum. Dass seine Melodie aus dem Rhodos-Urlaub ein „Knaller“ ist, weiß er gleich. Doch niemandem fällt ein passender Text ein. Nach Fehlversuchen wie „Sonja, wach auf“ drängt Produzent Ralph Siegel auf eine Veröffentlichung. Dann hat Autor Michael Kunze die brillante Idee mit der Gastarbeiter-Hymne aus dem Ruhrgebiet.
6. Was ich dir sagen will (1967): Eine Ode an Udos ewigen musikalischen Begleiter. „Was ich dir sagen will, sagt mein Klavier“, singt er mit einem brillanten Text, den Blacky Fuchsberger für ihn schreibt. Selbst Elton John gibt zu, dass er auf diesen Song neidisch ist, mit dem Udo auch in Japan („Wakare no asa“) berühmt wird.
7.Wort (1979): Österreichs Giganten unter sich. Udo spielt die prunkvolle Mini-Oper über die Macht der Sprache mit den Berliner Philharmonikern unter Herbert von Karajan ein. Der Maestro muss zunächst prüfen, ob die Komposition seinen Ansprüchen genügt. Sie genügt. Laut Udo der musikalische Höhepunkt seines Schaffens.
8.Wer hat meine Zeit gefunden? (1971): Udo swingt lässig und hadert bereits mit 37 mit dem Älterwerden: „Schon als Kind hab’ ich so viel von meiner kleinen Zeit vertan. Niemals hätte ich geglaubt, dass man sie wirklich brauchen kann.“ Das Klavier tickt wie eine Uhr. Der Sänger findet das Stück so klasse, dass er es fast 40 Jahre später neu aufnimmt (ebenso wie Annett Louisan).
9.Aber bitte mit Sahne (1976): Mitte der 70er verpackt niemand Kritik an der Konsumgesellschaft so unterhaltsam wie Udo Jürgens. Nur der Bayerische Rundfunk ist nicht amüsiert über Mathilde, Ottilie, Marie und Liliane. Er spielt den Hit wegen der Zeile „Dass der Herrgott den Weg in den Himmel ihr bahne“ nicht. Gotteslästerung! Vielleicht stört sich die CSU auch daran, dass Udo das Lied auf einem Blüthner-Flügel aus Leipzig komponiert hat – seine Gage aus der DDR.
10.Der gekaufte Drachen (1981): Großes Vater-Sohn-Drama. Der eiskalte Fabrikanten-Vater kauft seinem Sohn einen Drachen, statt ihn gemeinsam zu basteln. „Ich will mit Dir einen Drachen bau’n. Denn ein gekaufter Drache fliegt nicht mal halb so weit“, wünscht sich der Sohn traurig. Gänsehaut garantiert!
11.Siebzehn Jahr‘, blondes Haar (1965): Baggert Udo, der Sehr-Schwere-Nöter, mit 31 eine Minderjährige an? Wer genau hinhört, versteht, dass es um eine längst vergangene Schwärmerei geht. Auf Italienisch muss die Hübsche trotzdem erwachsen werden. Hier stürmt das jugendfreie „Diciotto anni, capelli biondi“ („Achtzehn Jahr’, blondes Haar“) die Hitparaden.
12.Sag ihr, ich lass sie grüßen (1965): Ein Jahr, bevor Udo mit „Merci Chérie“ den Grand Prix gewinnt, belegt er Platz vier – mit dem viel schöneren Chanson. Statt der Verflossenen seinen Schmerz persönlich mitzuteilen, spannt er einen Freund ein. Cleverer Text, getragen von Udos perlendem Klavierspiel. In einer Zeit, in der Schlager nett und fröhlich sein sollen, zeigt er seine Ambitionen als Chansonnier.
13.Ein ehrenwertes Haus (1974): Heuchelei und Doppelmoral – das könnte schwere Kost werden. Doch Udo verpackt seine Abrechnung in ein schmissiges Boogie-Woogie-Stück – und demaskiert muffige, rassistische Spießbürger damit um so eindrucksvoller. Abzüge gibt’s, weil der Hit doch arg vom Country-Hit „Harper Valley P.T.A.“ inspiriert ist.
14.Jetzt oder nie (2005): Zumindest, was seine musikalischen Partner betrifft, war Udo Jürgens eine treue Seele. Produzent Peter Wagner und Texter Wolfgang Hofer (der mit dem „Trödler Abraham“) bleiben jahrzehntelang an seiner Seite, bis ans Ende 2014. Lässige Schlager wie dieser gelingen Udo auch mit 71 noch. Und ein bisschen anzüglich darf’s nach wie vor sein. „Drum lass uns die Sonne fangen, dem Glück in die Bluse langen“, singt er.
15.Sag mir wie (1966): Udo auf den Spuren von Soul und Motown. „Sag mir, wie wird aus Tränen Sonnenschein?“, fragt er in Gedanken an seine einstige Holde. Dazu blasen Trompeten, das Schlagzeug scheppert. Das Video aus der ZDF-„Drehscheibe“ zeigt den gar nicht mehr so jungen Udo mit 32 in Bestform.
JÖRG HEINRICH