Jubel in Syrien: Syrische Rebellen feiern den Tod von Hisbollah-Anführer Hassan Nasrallah im Libanon. © dpa
Soldaten der libanesischen Armee sichern in Beirut nach der Bekanntgabe des Todes von Nasrallah einen Platz. © dpa
Suchen Schutz auf der Straße: Familien aus dem von Süden Beiruts, den Israels Armee angreift. © Marwan Naamani/dpa
Hier fielen die Bomben, die Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah töteten. © Marwan Naamani/dpa
Der Tod des Hisbollah-Chefs Hassan Nasrallah treibt in Pakistans Hauptstadt Lahore Muslime auf die Straße. © K.m. Chaudary/dpa
Beirut/München – Um Hassan Nasrallah zu töten, brauchte es dutzende Bomben, jede einzelne fast eine Tonne schwer. Israelische F-15-Jets warfen sie ab, zielgenau, eine nach der anderen. Sie knackten den meterdicken Stahlbeton, fraßen sich durch bis zu jenem Ort, an dem der Hisbollah-Chef mit seinen Kommandeuren die militärische Lage besprach. Bis zu 50 Meter tief soll der Bunker unter der Stadt Beirut gelegen haben, so berichtet es der „Spiegel“. Nasrallah wusste sicher, dass Israel es auf ihn abgesehen hatte, sagte eine anonyme Quelle dem Magazin. „Aber dort unten fühlten sich alle sicher.“
Es war eine Fehleinschätzung, noch eine. Zuletzt waren Israel immer wieder Schläge gegen die Hisbollah gelungen. Wichtige Militärkommandeure wurden ausgeschaltet, in einer orchestrierten Aktion manipulierte der israelische Geheimdienst tausende Pager von Hisbollah-Kämpfern und ließ sie explodieren. Am Freitag hat es den Kopf jener Iran-hörigen Miliz getroffen, die seit einem Jahr unablässig Raketen auf den Norden Israels abfeuert. Die bange Frage ist: Was folgt? Eine Bodenoffensive? Ein großer, regionaler Krieg?
Davor warnt fast Mantra-artig US-Präsident Joe Biden. Gefragt, ob ein umfassender Krieg im Nahen Osten noch verhindert werden könne, sagte er: „Das muss er. Er muss wirklich vermieden werden“ – und kündigte an, mit Israels Ministerpräsident Netanjahu reden zu wollen. Doch ob der noch auf seine Verbündeten hört, ist fraglich. Gerade nahm Israels Militär zusätzlich Ziele im 1800 Kilometer entfernten Jemen ins Visier, um die dortige Huthi-Miliz zu schwächen. Auch sie ist Teil der gegen Israel gerichteten, iranischen „Achse des Widerstands“.
Die Sorgen jedenfalls wachsen. „Die Stimmung in Beirut ist äußerst angespannt“, sagt Michael Bauer, der das Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung in der libanesischen Hauptstadt leitet. Viele Menschen seien verzweifelt, es herrsche „ein Gefühl großer Machtlosigkeit“. Bauer selbst ist inzwischen von Jordanien aus tätig, hat aber täglich Kontakt zu seinen lokalen Partnern und Mitarbeitern. Im Land, sagt er, stünden viele der Hisbollah kritisch bis ablehnend gegenüber. Schon als die Miliz nach dem Hamas-Massaker am 7. Oktober 2023 begann, Israel von Norden aus zu beschießen, gab es Stimmen, die warnten, die Hisbollah werde den Libanon in einen neuen Krieg hineinreißen.
Laut Experten ist der längst Realität, die Folge-Schritte seien absehbar. „Die nächste Konsequenz ist, dass Israel mit Bodentruppen eingreifen wird“, sagte der Direktor des Deutschen Orient-Instituts, Andreas Reinicke, im ZDF. Israels Armeechef Herzi Halevi hatte diese Möglichkeit mehrfach angedeutet, zuletzt am Wochenende. Die „Washington Post“ berichtete gestern, eine solche Offensive stehe kurz bevor, die US-Regierung sei auch schon darüber informiert worden. Demnach soll die Operation kleiner ausfallen als der Krieg im Jahr 2006. Zuvor hatte das „Wall Street Journal“ geschrieben, Spezialeinheiten der Armee seien bereits im Libanon.
Allerdings warnte die Zeitung Israel auch davor, in eine Falle zu tappen. Die Hisbollah verfüge nach wie vor über unzählige Waffen und erfahrene Kämpfer und könne Israels Truppen am Boden erhebliche Verluste zufügen. Auch Michael Bauer mahnt, die Miliz nach dem Tod ihres Anführers, der nach mehr als drei Jahrzehnten an der Spitze eine teils bewunderte, teils gefürchtete Symbolfigur war, vorschnell abzuschreiben. Eines sei aber klar: „Die Hisbollah ist militärisch erheblich geschwächt. Auch wenn sie weiterhin Raketen Richtung Israel abfeuert, steht sie gerade massiv unter Schock.“ Gemessen daran, dass die Miliz lange als besonders komplexer Angstgegner Israels erschien, vielfach stärker als die Hamas, gelang es Jerusalem extrem schnell, die Miliz zu „entzaubern“. „Es ist jetzt sehr deutlich geworden, wie die wirkliche Machtverteilung ist.“
Iran will keine Soldaten schicken
Indirekt ist das auch ein schmerzhafter Schlag für den Iran. Die Hisbollah sei weniger ein Verbündeter als vielmehr ein Werkzeug der Mullahs, „um konstant Druck auf Israel auszuüben“, sagt Bauer. Die Machthaber in Teheran müssten jetzt im Grunde reagieren, um die libanesische Miliz zu verteidigen – der befürchtete große Krieg rückte dann noch näher. Bisher halten sie jedoch die Füße still, Außenamtssprecher Nasser Kanani lehnte Unterstützung gestern sogar offen ab. „Es ist nicht nötig, zusätzliche oder freiwillige Kräfte der Islamischen Republik Iran zu schicken“, sagte er mit Blick auf den Libanon. Die dortigen Kämpfer hätten „die Fähigkeit und Stärke, sich selbst gegen die Aggression zu verteidigen“.
Ob das stimmt oder ob es eher eine Ausflucht ist, um nicht den Kopf für die verwundete Hisbollah hinhalten zu müssen, lässt sich schwer sagen. Auf Lust nach Vergeltung klingt es jedenfalls nicht. Ersatzweise spuckte Vize-Hisbollah-Chef Naim Kassim in einer TV-Rede schon wieder große Töne. „Wir wissen, dass der Kampf lang dauern könnte, und wir sind auf alle Möglichkeiten vorbereitet“, sagte er. „Wenn Israel sich dafür entscheidet, eine Bodenoffensive zu starten, wir sind bereit.“
Vorerst sendet Israel weiter Signale, die gehört werden. Am Montag griff die Armee wieder Ziele im Libanon aus der Luft an, tötete dabei weitere Islamisten-Anführer: einen von der Hamas, drei von der Volksfront zur Befreiung Palästinas. In einer Videobotschaft wandte sich Israels Premier Benjamin Netanjahu zudem direkt an das iranische Volk. Es gebe keinen Ort, an den Israel nicht gehen würde, „um unser Volk und unser Land zu beschützen“, sagte er.
MIT DPA