„Zugsekretärin Frl. Kraus“: Doris Kraus an ihrem Arbeitsplatz bei der Bundesbahn. © privat
Ein besonderer Moment: Doris Kraus und ihre Kollegin Edith Klatt im Zug der Queen im Jahr 1965. © privat
Ein Foto für die Ewigkeit: Zugsekretärin Doris Kraus fotografiert die Queen, als sie ihr Abteil verlässt. © privat
Doris Kraus hatte ihr Büro in einem modernen Fernzug. Dieses Bild entstand 1965, als Queen Elizabeth II. mit dem Zug durch Deutschland reiste. © Foto: privat
Dachau – Annegret Braun hat viel Zeit im Deutschen Tagebucharchiv verbracht. Die Kulturwissenschaftlerin aus Sulzemoos im Landkreis Dachau hat ein Buch darüber geschrieben, wie der Beruf der Sekretärin den Frauen in den 1950ern eine neue Welt eröffnete. Aus alten Tagebüchern hat sie erfahren, wie der Alltag der Sekretärinnen aussah, wovon sie träumten, woran sie scheiterten. Eine Frau hat es Braun besonders angetan: die Zugsekretärin Doris.
Frau Braun, wenn Sie in den 50ern gelebt hätten – glauben Sie, Sie wären eine gute Sekretärin gewesen?
Ich glaube schon. Ich weiß nicht, ob ich große Karriereambitionen gehabt hätte. Aber in einem Büro zu arbeiten, hätte mir damals genau wie vielen anderen Frauen bestimmt gefallen.
Woher kam denn Ihr großes Interesse am Sekretärinnen-Beruf?
Ich habe für ein anderes Buchprojekt im Deutschen Tagebucharchiv recherchiert. Dort hat mir die Leiterin ein Buch empfohlen über die Zugsekretärin Doris Kraus. Ich hatte noch nie von Zugsekretärinnen gehört. Die Bundesbahn hat sich das in den 50ern als Service für Reisende einfallen lassen. In den modernen Zügen gab es ein Schreibabteil, wo Geschäftsreisende der Zugsekretärin während der Fahrt Briefe diktieren oder Telefonverbindungen herstellen lassen konnten. Doris Kraus lebt leider nicht mehr, aber ihre Schwester hat mir viele Fotos von damals zur Verfügung gestellt. Mein Interesse war geweckt und ich habe noch mehr Tagebücher von Sekretärinnen gelesen. Natürlich gibt es auch viele Bücher. So bin ich zum Beispiel auf das Thema Sekretärinnen im Nationalsozialismus gestoßen. Unheimlich spannend!
Sie beschreiben Doris Kraus als selbstbewusste Frau, die zum Frühstück im Duden las, um noch mehr Fremdwörter zu lernen. Waren damals alle Sekretärinnen selbstbewusst und ehrgeizig?
Bei vielen ist ein großer Ehrgeiz zu spüren. Es gab aber sicher auch Sekretärinnen, die Dienst nach Vorschrift machten und vom Mann ihres Lebens träumten. Nur die wenigsten haben nach der Heirat noch weitergearbeitet. Und mit Kindern ging das schon gar nicht mehr – es gab schließlich keine Betreuung. Einige haben aber in dem Beruf auch Karriere gemacht.
Was musste eine Sekretärin damals können?
Sie musste gut Schreibmaschine und Stenografie können – das waren die Grundvoraussetzungen. Sprachgefühl und Fingerfertigkeit wurden ebenfalls erwartet, aber das hatten die meisten. Außerdem waren ein freundliches Wesen, Fleiß und adrettes Äußeres sehr wichtig. Zu den Sekretärinnen-Kursen gehörte auch eine Schminkanleitung, Schminkkurse.
Das klingt noch nicht wirklich nach Emanzipation. War der Schritt in diesen Beruf ein Siegeszug für die Frauen?
Nein, das war kein Siegeszug. Ursprünglich waren Männer Sekretäre. Die mussten allerdings nicht Kaffee kochen oder Ähnliches. Und sie wollten auch nicht Schreibmaschine schreiben, die Maschinen rochen nach Farbe und waren laut – das war den feinen Sekretären zu sehr Arbeiter-Niveau. Deshalb hat man die ersten Frauen angestellt – und sie haben diese Chance ergriffen.
Es ging den Frauen damals also um finanzielle Unabhängigkeit?
Ja, und darum, überhaupt den Schritt in die Berufswelt zu schaffen. Es gab zwar bereits Frauenberufe wie Krankenschwester und Erzieherin. Aber die meisten Frauen aus der Mittelschicht haben damals keine Ausbildung gemacht, sondern sind irgendwo in den Dienst gegangen, bis sie geheiratet haben. Die Arbeit als Sekretärin war die Chance, einen Beruf zu erlernen – und dann auch noch einen, bei dem die Arbeit nicht schweißtreibend war. Sekretärinnen haben in schönem Ambiente gearbeitet.
Mussten sie für die Arbeit eine Ausbildung machen?
Einige haben eine Handelsschule besucht und lernten dort Schreibmaschine schreiben, Steno und kaufmännische Grundlagen im Rechnen. Ein paar Frauen haben nur die Abendschule besucht. Doris Kraus zum Beispiel. Aber sie hat oft gemerkt, dass es ohne Ausbildung schwer ist. Zum Beispiel, wenn es um Gehaltserhöhungen ging. Sie war zwar kurzzeitig Chefsekretärin auf Probe – als jüngste Chefsekretärin in ihrer Firma, aber als sie ein paar Fehler machte, bekam sie diesen Posten nicht.Ich glaube aber, so ehrgeizig wie sie waren nur wenige.
Welches Ansehen hatten Sekretärinnen damals?
Die meisten Chefs haben ihre Sekretärinnen sehr geschätzt. Vor allem die Chefsekretärinnen. Auch, weil sie den menschlichen Zuspruch als wohltuend empfunden haben – eine Tasse Kaffee, ein nettes Wort. Sekretärinnen hatten auch Macht, sie haben nicht jeden zum Chef durchgelassen. Eine Sekretärin hat sogar berichtet, dass ihr Chef sie mit in den Familienurlaub genommen hat, weil ihm dort die besten Ideen kamen. Vormittags hat er ihr diktiert, aber nachmittags hatte sie Freizeit.
Gab es auch Zudringlichkeiten oder Belästigungen?
Ja, das kam immer wieder vor. Häufig waren es Umarmungen oder Küsse, die die Sekretärinnen abwehren mussten. Und meist war bei den Männern dann auch ein Schuldbewusstsein da. Doris Kraus schreibt in ihrem Tagebuch, dass sie im Zug auf den Platz neben sich immer eine Tasche legte, damit sich niemand so dicht an sie setzen konnte. In den 60ern gab es mehr sexuelle Übergriffe. Sekretärinnen haben damals viele anzügliche Witze gehört.
Stirbt der Beruf aus?
Er hat sich gewandelt. Sekretärinnen heißen heute Assistentinnen der Geschäftsleitung oder Büromanagerinnen. Das trifft auch viel mehr, was sie heute leisten. Sie machen anspruchsvolle Arbeit, müssen die Sozialen Netzwerke beherrschen, technisch sehr bewandert sein, die Terminplanung machen, gut mit Kunden umgehen können. Diktate sind weitgehend verschwunden.
Für Ihre Recherche sind Sie tief in die Lebenswelt der 50er-Jahre eingetaucht. Wie hat das Ihren Blick auf die Gegenwart verändert?
Ich hatte zwar bereits viel Vorwissen. Aber es ist schon sehr einseitig, wenn häufig behauptet wird, Frauen hätten damals nur Heim und Herd im Blick gehabt. Es gab viele Frauen, die schon damals Karriere gemacht haben. Sehr betroffen gemacht hat mich, wie wenig man sich in den 50er-Jahren mit dem Nationalsozialismus auseinandergesetzt hat und wie viele Anhänger es damals noch gab.
Zum Buch
„Die Sekretärin: Frauenkarriere und Lebensträume in den 1950er Jahren“ ist im Verlag Frankfurter Allgemeine Buch erschienen. 272 Seiten, 24 Euro.