„Wir erleben eine Explosion antisemitischer Straftaten“

von Redaktion

Beleidigungen, Drohanrufe, Schmierereien: 42 Prozent der jüdischen Gemeinden wurden 2024 Opfer von Gewalt

Berlin – Was Josef Schuster am Jahrestag des Hamas-Überfalls auf Israel erzählt, erinnert an die dunkelsten Zeiten der deutschen Geschichte. Der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland berichtet davon, dass sich Juden kaum noch mit Kippa auf die Straße trauen. Dass Synagogen normalerweise offene Gotteshäuser wie Kirchen seien, das heute aber kaum noch vorstellbar sei. „Wir erleben eine Explosion antisemitischer Straftaten bis hin zu vereitelten Anschlägen“, sagt der 70-Jährige. Hinter den Jüdinnen und Juden liege ein Jahr, „an dem antisemitische Vorfälle an der Tagesordnung waren“.

Jüdische Gemeinden haben Zukunftsangst

Es sind bedrückende Zahlen, die der Zentralrat der Juden vorstellt. 98 der 105 jüdischen Gemeinden in Deutschland wurden nach ihrem Befinden befragt. 42 Prozent der Gemeinden waren demnach in diesem Jahr von antisemitischen Vorfällen betroffen, darunter Beleidigungen, Drohungen, Schmierereien. 70 Prozent der Führungspersönlichkeiten sagen, ihr Leben als Jude habe sich im vergangenen Jahr stark verändert. Sie berichten von Sorgen um die Zukunft, Unsicherheitsgefühlen, gesteigertem Misstrauen und einem Rückzug ins Private. 82 Prozent der Befragten geben an, dass es unsicherer geworden sei, in Deutschland als Jüdin oder Jude zu leben und das offen zu zeigen.

„Die erschütternde Nachricht ist: Es gibt kaum einen Anlass, um an eine Verbesserung zu denken“, sagt Schuster. „Im Gegenteil: An diesem Jahrestag wird verstärkt zu antiisraelischen Protesten aufgerufen. Proteste, die vermeintlich propalästinensisch sein sollen, aber meist in Israelhass und Antisemitismus münden.“ Wer an solch einem Tag nicht in der Lage sei, „wenigstens ein Stück Empathie für die Jüdinnen und Juden, für die Menschen Israels, zu empfinden“ – die werden es nie tun, sagt Schuster. „Und die haben in meinen Augen ein gewaltiges Problem.“

Die Jüdischen Gemeinden seien am Limit: personell, emotional und organisatorisch. „Die Sicherheitskräfte in den Gemeinden sind nach einem Jahr der permanenten Beanspruchung überlastet und kommen mental an ihre Grenzen“, berichtet der Präsident des Zentralrats der Juden. Synagogen könnten fremde Gesichter heutzutage nicht mehr ohne umfassende Sicherheitsüberprüfungen hereinlassen. Für die Gemeinden könne das nie zur Normalität werden, sagt Schuster. „Sicherheitszäune bieten Schutz, sind aber keine dauerhafte Lösung.“

Auch in den Unis könnten sich jüdische Studenten nicht mehr sorgenfrei bewegen. Viele würden aus Angst nicht mehr zu Vorlesungen gehen. Schuster fordert schon lange eine Resolution des Bundestages für den Schutz jüdischen Lebens. Doch noch immer haben sich die Ampel-Fraktionen und die Union nicht auf gemeinsame Punkte einigen können. „Das finde ich beschämend“, sagt Schuster.
KATHRIN BRAUN

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