Punkt, aus, Feierabend: Michael Roth (SPD) verlässt am Ende der Legislaturperiode die Spitzenpolitik. © IMAGO
Berlin – Auch Michael Roth zog vor zwei Jahren die Reißleine. Wegen eines Burnouts verließ der SPD-Bundestagsabgeordnete vorübergehend die Politik. Gehen Spitzenpolitiker zu sehr an ihre Grenzen? Das Tempo sei heute fast unmenschlich, sagt Roth im Gespräch mit unserer Zeitung. Und die Sozialen Medien immer unerbittlicher.
Kevin Kühnert nimmt sich eine Auszeit. Sie haben das 2022 auch gemacht. Wann haben Sie gemerkt, dass es so nicht mehr geht?
Das war ein langer, schmerzhafter Prozess. Ich neige zu einem protestantisch geprägten Arbeitsethos und es fiel mir schwer, Terminanfragen abzusagen, mal zur Ruhe zu kommen. Man macht einfach weiter im Hamsterrad. Irgendwann war der Punkt erreicht, wo es zu viel wurde. Manchmal reicht da der buchstäbliche Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.
Was war Ihr Tropfen?
Die Zeit zwischen den Jahren war bei mir damals ein sehr schwieriger Moment. In dieser Woche, in der man im wahrsten Sinne des Wortes zur Besinnung kommen kann, habe ich dann gespürt: So geht es nicht mehr weiter. Ich musste den Schalter umlegen und mir Hilfe suchen.
Sie haben eine Therapie gemacht?
Ja, und das ist ganz wichtig: Viele denken, es reicht, ein offenes Gespräch mit Freunden oder der Familie zu führen. Aber damit überfordern sie ihr Umfeld. Ich weiß, dass es gerade für Partner sehr schwer zu akzeptieren ist, erst einmal nicht Teil der Lösung zu sein. Aber man muss den Mut aufbringen, aus dem vertrauten Umfeld herauszutreten und sich professionelle Hilfe zu holen.
Wie ging es Ihnen danach?
Eine solche Erschöpfung, wie ich sie hatte, zu überwinden, ist ein langer Prozess. Man kann nicht sagen, ich bin jetzt gesund. Oder noch viel schlimmer: ich bin jetzt der Alte. Man will ja nicht der Alte sein, sondern will jemand sein, der dazugelernt hat. Ich kann heute mit Belastungen und Extremsituationen besser umgehen als früher. Das heißt: Man drückt nicht auf einen Knopf und kommt gesund wieder, sondern man lernt fürs Leben.
Birgt der Politikbetrieb besondere Burnout-Risiken?
Es gibt eine Reihe von Hochleistungsberufen. Zum Beispiel im Pflegebereich oder Lehrkräfte in einer Brennpunkt-Schule. In der Politik wird erwartet, dass man omnipräsent ist und zu jedem Thema etwas zu sagen hat. Man muss sich als Politiker in den Sturm stellen. Denn Politik beruht in einer Demokratie auf Streit. Der wird allerdings auch immer persönlicher geführt.
Inwiefern?
Die eigene Glaubwürdigkeit wird infrage gestellt. Persönliche Diskreditierungen nehmen zu. Die Sozialen Medien tragen in erheblichem Maße dazu bei. Man ist permanent auf Sendung. Wir machen als Politiker heutzutage mehr Fehler, vor allem, weil wir viel mehr sagen und verbreiten. Die Reaktionen sind oft nicht sachlich, sondern persönlich, sehr hart. Es gibt eine völlige Enthemmung. Vor allem X wird seit der Übernahme durch Elon Musk immer toxischer. Man kommt kaum hinterher, jede Beleidigung, jede Bedrohung in den Sozialen Medien zur Anzeige zu bringen, weil es so viel geworden ist. Das hinterlässt Spuren. Und leider gibt es in unserem Land und in der Politik keine Kultur des Verzeihens und der Nachsicht.
Früher war das anders?
Das Tempo ist heute ein völlig anderes. Damals konnte ein Bundeskanzler Willy Brandt einfach mal abtauchen. Und Bundeskanzler Kohl hat jeden Sommer einen Monat am Wolfgangsee verbracht. Heute müssen sich Politiker der ersten Reihe rechtfertigen, wenn sie mal eine Woche Auszeit nehmen. Seit Kohls Zeiten haben wir vor allem Menschen an der Spitze, denen man in der Regel kaum anmerkt, dass sie an ihre Belastungsgrenzen gehen. Das ist bei Olaf Scholz ähnlich wie bei Angela Merkel.
Als Angela Merkel Zitteranfälle hatte, war das womöglich ein Anzeichen?
Ich habe sie natürlich auch mal müde und erschöpft erlebt, manchmal ist sie im Sitzen einen Moment eingeschlafen. Aber es geht ja hier um das öffentliche Bild. Das sagt man jetzt auch über Kevin Kühnert: Der sah ja gar nicht krank aus, der war doch letzte Woche noch bei Markus Lanz in der Talkshow, da hat man gar nichts gemerkt. Wir sind trainiert, dass man uns unsere Schwächen nicht anmerkt. Ich habe immer gesagt: Ich bin ein Zirkuspferd in der Manege und wenn ich einen Auftritt habe, dann performe ich auch.
Müssten Politiker mehr Schwäche zeigen dürfen?
Ja. Man sollte nicht den Eindruck erwecken, Politiker hätten Superkräfte. Wir sind ganz normale Menschen. Nachdem ich meine mentalen Probleme öffentlich gemacht habe, sprachen mich viele Menschen an: Gut, dass es endlich mal jemand sagt.
Sie wollen zur nächsten Bundestagswahl nicht mehr antreten. Warum?
Ich habe 27 Jahre Berufspolitik gemacht. In meiner Fraktion ist niemand länger dabei als ich. Ich spüre inzwischen eine gewisse Entfremdung vom Politikbetrieb. Die harten Auseinandersetzungen der vergangenen Jahre – wir haben ja schließlich um Krieg und Frieden gestritten – sind nicht einfach nur in den Kleidern hängen geblieben. Ich habe immer gesagt: Ich will nicht als Berufspolitiker in Rente gehen, ich will kein zweiter Schäuble sein. Ich will noch mal etwas Neues wagen. Ich werde weiter arbeiten. Darauf freue ich mich. Eine Sache, die ich jetzt angehe: Ich will ein Buch schreiben. Ich bleibe immer ein politischer Mensch, aber das Kapitel Politik ist für mich beendet. Punkt, aus, Feierabend.