Vor dem Generalkonsulat in Grünwald weht noch die alte afghanische Flagge – auch wenn die Taliban das Sagen haben. © Hangen
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann mit Generalkonsul Sifat Rahimee. Das Foto datiert vom 9. November 2020, also noch vor dem Abzug der US-Truppen aus Afghanistan. Das bayerische Innenministerium wollte sich trotz Anfrage nicht zum Konsulat in Grünwald äußern. © Generalkonsulat München
Grünwald – Das weiße Haus mit dem Ziegeldach könnte auf den ersten Blick auch die Residenz eines berühmten Sportlers sein. Oder die eines reichen Erben. Hier, am luxuriösen Isarhochufer in Grünwald, fällt eine Villa wie diese kaum auf. Wäre da nicht die afghanische Flagge im Vorgarten. Und der seltsam hohe Verkehr, der hier plötzlich herrscht: Denn seit einigen Wochen kommen Afghanen aus allen möglichen Ländern Europas in den südlichen Vorort Münchens, zum Generalkonsulat in Grünwald – von dem inzwischen längst nicht mehr klar ist, ob es nicht von Taliban-Terroristen in Kabul kontrolliert wird.
Seit der Machtübernahme der Taliban vor drei Jahren sind die diplomatischen Beziehungen zu Afghanistan abgebrochen. Eigentlich. Denn bis heute erkennt die Bundesregierung die Terrororganisation in Kabul nicht als Regierung an. Und auch die afghanischen Vertretungen in Deutschland arbeiten nicht mehr mit Kabul zusammen, seit ihre alte Regierung im August 2021 entmachtet wurde. Eigentlich. Das Generalkonsulat in Grünwald bildet da die Ausnahme.
Taliban-Sprecher: Diplomaten führen unsere Befehle aus
Lange Zeit haben es die Taliban stillschweigend hingenommen, wenn die afghanische Botschaft in Berlin oder das Generalkonsulat in Bonn Afghanen in Deutschland Pässe oder Heiratsurkunden ausgestellt haben. Doch seit einigen Wochen ist damit Schluss. Anfang Juli haben die Taliban öffentlich mitgeteilt, nur noch fünf diplomatische Vertretungen in ganz Europa zu akzeptieren: die Botschaften in Spanien, Bulgarien, Tschechien, den Niederlanden – und eben das Konsulat in Grünwald.
„Diese diplomatischen Vertretungen halten sich an die Weisungen Afghanistans und vertreten das Land in den Gastländern“, sagte der Sprecher der Taliban, Zabihullah Mujahid, kürzlich in einem Interview mit der Deutschen Welle. „Sie sind rechenschaftspflichtig und führen unsere Befehle aus.“
Befehle der Taliban, die in Grünwald ausgeführt werden – in der 11 000-Einwohner-Gemeinde hat das am Mittwoch große Verwunderung ausgelöst. Bei der Bürgerversammlung war allerdings weniger der Einfluss der Terroristen Thema, sondern die chaotischen Zustände vor dem Generalkonsulat. Bewohner berichten, dass sie seit einiger Zeit auf der Nördlichen Münchner Straße regelmäßig vogelwilde Wendemanöver beobachten: Afghanen nicht nur aus ganz Deutschland, sondern auch aus Österreich, der Schweiz, Belgien und Frankreich würden hier anreisen und die ganze Straße zuparken. Auch die Polizei in Grünwald hat deshalb bereits das Gespräch mit dem Generalkonsul gesucht.
Sifat Rahimee ist seit bald fünf Jahren als Generalkonsul für Afghanen aus Bayern und Baden-Württemberg zuständig – und seit Neuestem auch für alle 400 000 Afghanen in Deutschland. Der Draht zu den Taliban ist so gut, dass die Terroristen am liebsten gleich alle Geschäfte in Europa über München abwickeln würden. Der Deutschen Welle liegt ein Schreiben des Auswärtigen Amts an die Taliban vor: Demnach akzeptiert die Bundesregierung, dass konsularische Geschäfte aus ganz Deutschland nur noch über München laufen – allerdings erteilte das Auswärtige Amt dem Wunsch der Taliban eine Absage, dies auch für andere europäische Länder zu übernehmen.
In Berlin kuriseren Zweifel an der Integrität Rahimees
Offen bleibt die Frage, warum die Taliban europaweit ausgerechnet nach Grünwald die besten Beziehungen pflegen. „Ich würde zwar nicht gleich behaupten, dass das Generalkonsulat unter direkter Herrschaft der Taliban steht“, sagt Thomas Ruttig, Mitbegründer der Denkfabrik Afghanistan Analysts Network. „Aber die Arbeit in München scheint bei den Taliban besonders gut anzukommen.“ Die Beziehungen nach Berlin seien zudem besonders schwierig, weil der afghanische Botschafter in Berlin ein Minister der alten Regierung war, erklärt der Afghanistan-Experte. Aber: „Der Generalkonsul in München ist, wie die Taliban, Paschtune. Vielleicht können sie deshalb so gut miteinander.“
In Berlin, so hört man es von Insidern, gibt es große Zweifel an der Integrität Rahimees. Der Mann, der bereits vor der Machtübernahme der Taliban sein Amt innehatte, habe wohl 2021 die Seiten gewechselt, heißt es. Eigentlich hätten Bonn, Berlin und München miteinander vereinbart, nicht mit den Taliban zu kooperieren – und ihnen vor allem keinen Zugriff auf Daten von Exil-Afghanen oder Servern zu gewähren. Allerdings habe sich Rahimee nicht an die Abmachung gehalten, erzählt man sich.
Der Generalkonsul selbst will nicht mit der Presse sprechen. Immer wieder berichten Journalisten davon, wie aussichtslos es sei, Rahimee für Interviews zu erreichen. Auf Anfrage unserer Zeitung betont sein Büro allerdings, dass die „Koordinierung mit Kabul strikt auf das notwendige Minimum beschränkt ist, um konsularische Dienstleistungen zu erleichtern“. Man stelle also Pässe und Dokumente aus – aber bei politischer Zusammenarbeit sei Schluss.
Patoni Teichmann glaubt das nicht. Die afghanische Menschenrechtsaktivistin ist nach der Machtübernahme der Taliban aus Kabul nach Deutschland geflohen. Nun fürchtet sie, dass Exil-Afghanen in Deutschland wieder bei den Terroristen vorstellig werden müssen – und zwar in Grünwald. „Das hat massive Auswirkungen auf die Sicherheit der afghanischen Diaspora“, sagt sie. „Jeder, der seinen Pass verlängern oder heiraten will, muss sich nun an eine Vertretung wenden, die unter Einfluss der Taliban steht.“
Gemeinsam mit anderen afghanischen Frauenrechtlerinnen hat Teichmann bereits einen Brief an Außenministerin Annalena Baerbock und Innenministerin Nancy Faeser geschrieben. „Wir sind zutiefst besorgt“, heißt es darin. Auch wenn die Aufrechterhaltung diplomatischer Kanäle als „notwendiges Übel“ angesehen werden könnte – es sei „moralisch unhaltbar, wenn dies eine Zusammenarbeit mit einem Regime beinhaltet, das die Menschenrechte, insbesondere die Rechte der Frauen, auf eklatante Weise missachtet“.
Das Auswärtige Amt bemüht sich um Beruhigung. „Es gibt keine Taliban-Vertretungen in Deutschland, das gilt auch für das afghanische Generalkonsulat in München/Grünwald“, sagte ein Sprecher unserer Zeitung. „Alle Diplomaten an den afghanischen Vertretungen in Deutschland wurden noch vor Machtübernahme der Taliban akkreditiert.“ Es handle sich also nicht um „von den Taliban entsandte Diplomaten“.
Der Terrorismus-Experte Yan St-Pierre sieht hier eine diplomatische Grauzone. „Auch wenn die Bundesregierung die Taliban nicht als Regierung anerkennen will, muss sie sich Kommunikationskanäle mit Afghanistan offenhalten“, erklärt er. Es sei eine Sache, „technische oder legale Tätigkeiten wie die Ausstellung von Reisedokumenten zu tolerieren“ – schwieriger sei hingegen die Frage, ob auch mit Taliban verhandelt werde, um zum Beispiel Abschiebungen nach Afghanistan zu erleichtern.
Welche Rolle spielte Grünwald bei Abschiebungen?
Denn auch dieser Vorwurf steht im Raum: Am 31. August hat die Bundesregierung erstmals wieder Menschen nach Afghanistan abgeschoben. Unklar ist, ob der Abschiebedeal mit den Taliban nur über Vermittlerländer wie Katar abgewickelt wurde oder ob auch Rahimee dabei eine Rolle gespielt hat. Und ob die Bundesregierung es deshalb so sang- und klanglos akzeptiert hat, alle Geschäfte nur noch über München laufen zu lassen. Diese Frage ließ das Außenministerium unbeantwortet. Klar ist aber: Wer abschieben will, braucht Dokumente, die in Afghanistan gültig sind. Und die gibt es in Grünwald.
Dort kümmert man sich gar nicht groß um Taliban-Einflüsse in der Nachbarschaft. „Uns fällt zwar auf, dass Afghanen aus allen möglichen Orten hierhin kommen – aber das stört die Menschen in Grünwald nicht sehr“, sagt Ingrid Reinhart, die für die Grünen im Gemeinderat sitzt. Die Afghanen müssten ja schließlich an ihre Dokumente kommen. Bei der Bürgerversammlung habe man sich eher Sorgen gemacht, wie das kleine Generalkonsulat nun mit dem ganzen Mehraufwand zurechtkommen soll. „Die müssen ja völlig überfordert sein“, sagt Reinhart.