Der Insel-Postbote vom Chiemsee

von Redaktion

Ein verträumtes Fischerdorf, ein Märchenschloss und traditionelle Handwerkskunst: Die Frauen- und Herreninsel gehören zu den Touristenmagneten Bayerns. Nur wenige Menschen leben auf den Chiemsee-Inseln. Woifi Jell ist ihre tägliche Verbindung zum Festland. Ein Postler, der Pakete auch per Ruderboot ausliefert.

Andrea Rieder hat vom Woifi gerade eine neue Lieferung für den Museumsshop bekommen. © Wochinger

„Der Wolfi ist ein cooler Typ“, sagt Georg Huber (re.), der 24 Jahre lang Bürgermeister von Chiemsee war. © Wochinger

Nur rund 250 Einwohner hat die Fraueninsel im Chiemsee mit dem berühmten Kloster. Im Hintergrund die Chiemgauer Alpen. © Foto: Reinig/Picture Alliance

Woifi Jell in seinem Postauto. Ohne ihn geht auf den Inseln im Chiemsee nichts. © Wochinger

Chiemsee – Ohne den Woifi geht auf dem Chiemsee nichts: Ohne ihn bekämen die Gäste der Schlosswirtschaft keinen Kaffee, die Einheimischen würden keine Briefe und Zeitungen erhalten, und ohne den Woifi könnten die Touristen keine Ansichtskarten von den Inseln schicken. Woifi Jell, 59, ist der Postbote vom Chiemsee.

Drei Stunden lang tourt er über die Frauen- und Herreninsel, sechsmal die Woche, das ganze Jahr über, außer wenn er Urlaub hat. „Das ist mein absoluter Traumjob“, sagt der Woifi, wie ihn die Insulaner nennen. „Ich liebe den Chiemsee.“ Sein großes Ziel: 50-jähriges Betriebsjubiläum. „Ich hoffe, dass es noch so lange geht.“

Seit 43 Jahren arbeitet er bei der Deutschen Post. Schon sein Vater war hier beschäftigt, damals, als die Post noch ein Staatsunternehmen war, erzählt er. Inzwischen fährt Jell seit fünf Jahren die traditionsreiche Chiemsee-Route. Sie führt von Prien nach Gstadt und von dort mit der Fähre zunächst auf die idyllische Fraueninsel. Auf der auto- und fahrradfreien Insel wohnen nur knapp 250 Einwohner in etwa 50 Häusern.

Nur wenige Menschen leben auf Herrenchiemsee

Nachdem Jell auf der Fraueninsel die Post ausgetragen und alle Briefe und Postkarten aus den Briefkästen eingesammelt hat, geht es für ihn zurück aufs Festland, nach Breitbrunn – wo die Lastenfähre Richtung Herrenchiemsee wartet. Der Postbote wohnt selbst ihn Breitbrunn, seiner Familie gehört der dortige Jachthafen. „Von hier aus wurde früher der Kini nach Herrenchiemsee rübergefahren“, erzählt er stolz. Heute werden hier keine Monarchen mehr über den Chiemsee gegondelt, sondern Arbeiter, Bewohner und Lieferanten. Und eben der Woifi in seinem Postauto.

Auf Herrenchiemsee, wo es abseits des Schlosses noch eine Bio-Schnapsbrennerei und einen Kutschbetrieb gibt, leben sogar nur ein paar Dutzend Menschen. Schon auf der Lastenfähre übergibt er einer Bewohnerin die erste Post – heute nur eine Zeitung und Werbung. Ein kurzer Plausch mit der Empfängerin und dem Kapitän, schon legt die Fähre im Norden der Herreninsel an.

Erste Station: der Museumsshop. Hier trifft er Andrea Rieder, die seit drei Jahren hier arbeitet. „Wir bekommen etwa sechs Pakete am Tag. Ohne den Woifi könnten wir hier gar nichts machen“, sagt sie. Chiemsee-Aufkleber, Chiemsee-Handtücher, Chiemsee-Bücher: Der gut gelaunte Postbote sorgt Woche für Woche für Nachschub für die Touristen.

„Er gehört schon zum Kulturgut“, sagt Rieder. Und der schiebt im Notfall auch schon mal tatkräftige Sonderschichten. „Einmal ist im Museumsshop das Mückenspray ausgegangen“, erzählt Jell, „und in dem Jahr war es ganz schlimm mit den Mücken. An dem Tag fuhr keine Fähre, also habe ich das Paket mit den Sprayflaschen mit meinem Ruderboot herübergebracht.“ Wenn es ein Problem gibt, sagt er zu seinen Kunden, sie sollen sich keinen Kopf machen – denn er finde schon eine Lösung.

So hält es der charmante Postbote in seiner schwarz-gelben Uniform auch mit den Insulanern auf der Fraueninsel. „Manchmal fragen mich die Bewohner, ob ich ihnen auf dem Festland Geld abheben kann. Das ist natürlich kein Problem“, sagt er. „Sie geben mir dann die EC-Karte und die PIN, und ich bringe am nächsten Tag 1000 Euro mit.“ Und wenn die Familien in den Urlaub fahren, bekommt der Briefträger den Haustürschlüssel und stellt die Pakete einfach im Flur ab.

Er ist sich seiner Verantwortung als Postbote in einer so abgelegenen Region bewusst. „Ich werde hier in die Familien aufgenommen. Das Vertrauen der Menschen, das macht meine Arbeit so schön.“

Doch genug geredet – die Tour geht weiter. Am Briefkasten unweit des Museumsshops holt er die Postkarten raus, die es mit allen erdenklichen Motiven vom Chiemsee gibt. In der Hochsaison im Sommer nimmt er zwischen 30 und 50 Ansichtskarten mit – pro Insel. Zusammen mit Briefen und Paketen sind es gut 50 000 Sendungen im Jahr. Jell packt die Karten in sein Auto und fährt weiter zur Schlosswirtschaft, wo er drei Pakete mit Kaffeebohnen abliefert. Von der Terrasse zeigt er auf eine kleine Insel neben der Fraueninsel. „Da, das ist die Krautinsel. Da rudere ich gerne hin und gehe baden.“

An seinem Postauto fragt ihn eine Touristin nach dem Weg zum Schloss Herrenchiemsee. Der Postler könnte auch Fremdenführer sein, so viel weiß er über den Chiemsee. Etwa, dass die Fraueninsel größtenteils in Privatbesitz ist. Oder dass das Kloster auf der Herreninsel im Jahr 1130 erbaut wurde.

Aber er kennt auch Geschichten, die nicht jeder im Internet nachlesen kann. Etwa die seines Vorgängers Nikolaus Heigl. Der Postsekretär brachte bis in die 50er- oder 60er-Jahre die Post auf die Inseln – genau weiß man das heute nicht mehr. In den Herbst- und Wintermonaten fuhren damals keine Fährschiffe, die Post musste Heigl mit dem Ruderboot transportieren und schwere Holzkisten mitnehmen, gefüllt mit dem selbst gemachten Kräuterlikör, den die Nonnen auf der Fraueninsel bis heute herstellen. „Einmal ist sein Boot von einer Welle erfasst worden, als er gerade ins Wasser gepieselt hat“, erzählt Jell weiter. Er sei ins Wasser gefallen und musste von herbeigeeilten Fischern gerettet werden. „Der konnte nämlich nicht schwimmen.“

Solche Zwischenfälle sind ihm noch nie passiert. Damit das so bleibt, hält er sich fit: Im Aufzug trainiert er an den Handläufen seinen Trizeps, zwischendurch macht er Dehnübungen, und morgens isst er Müsli, Brot und Studentenfutter. Das Wichtigste aber sei, Wasser zu trinken, sagt er. Alkohol und Rauchen sind für ihn tabu, auch nach Feierabend. Nur über die Knie klagt er wegen des niedrigen Laderaums des Postautos.

Auch deshalb darf das richtige Schuhwerk nicht fehlen; er trägt Laufschuhe mit Dämpfung. Dass er sie zu benutzen weiß, zeigt er auf der langen Holztreppe, die zur Wohnung von Paula Sandner führt. Woifi sprintet sie hinauf. Ohne aus der Puste zu kommen, übergibt er der Bewohnerin Briefe und Anzeigenblätter.

Sandner lebt seit über 50 Jahren auf der Herreninsel. Bevor sie in Rente ging, arbeitete sie hier als Küchenhilfe in der Kantine. Sie versorgte die Angestellten der Bayerischen Schlösserverwaltung, etwa Waldarbeiter und Jäger. Jetzt genießt die 71-Jährige ihren Ruhestand auf der Insel. Sie fürchtet, dass die Bewohner künftig keine Post mehr bekommen. „Wegen uns paar Hanseln kommt’s ihr doch nimma“, sagt sie. Jell beruhigt sie: „Nach dem Postgesetz muss überall zugestellt werden.“ Die Seniorin ist skeptisch.

Woifi bringt Badeenten ins Königsschloss

Jell muss sich beeilen, wenn er die nächste Fähre erwischen will. Auf dem Weg gibt’s noch einen Zwischenstopp im Souvenirshop im Königsschloss. Dort wartet schon Georg Huber auf ihn. Seit 37 Jahren betreibt er den Andenkenladen, 24 Jahre lang war er auch Bürgermeister von Chiemsee – der kleinsten Gemeinde Bayerns. Jell bringt ihm Hutanstecker, Ketten und Badeenten mit Motiven des Märchenkönigs. „Der Woifi ist ein cooler Typ“, meint der Alt-Bürgermeister. Er kenne ihn seit 45 Jahren, schon vom Fußballspielen.

Der Postbote muss jetzt aber wirklich los. Woifi Jell steigt in sein Postauto und fährt zurück zur Anlegestelle. Neben ihm flanieren hunderte Besucher und bestaunen das traumhafte Schloss und den Garten. Doch für den Woifi ist der Chiemsee mehr als nur ein Urlaubsparadies: Der See und die Insel sind seine Heimat und sein täglicher Arbeitsplatz.

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