„Papa Doktor, ich seh!“

von Redaktion

Weltweit leiden 450 Millionen Kinder unter Sehbehinderungen, zwei Millionen sind blind. Die häufigste Ursache ist Grauer Star (Katarakt). Anlässlich der Woche des Sehens haben wir in Kamerun Christ (7) begleitet, der fast blind auf die Welt kam. Dank einer Operation und der Unterstützung der Christoffel Blindenmission kann er jetzt endlich die Welt entdecken.

Vorsicht vor den Flammen: Christ, noch blind, sitzt mit seiner Großmutter Pauline im Haus an der Feuerstelle.

Dr. Faustin Ngounou hat in Leipzig studiert, ging dann aber nach Kamerun zurück, um Menschen hier zu helfen.

Das Haus in Badjong, in dem die Familie des kleinen Christ wohnt. Die meisten hier sind Bauern.

Christ trägt einen dicken Verband, der aber nach einem Tag schon wieder abkommt. Noch weiß er nicht, ob und wie gut er sieht.

Nachbarn feiern den kleinen Christ bei seiner Rückkehr ins Dorf. Er trägt jetzt Brille.

Erste Einträge ins Schulheft: Auf dem Rücken trägt er stolz seinen neuen Rucksack, den er in der Klinik bekommen hat.

Den Ball fixiert und abgezogen: Christ würde gern Fußballer werden. Jetzt kann er für diesen Traum trainieren.

Es ist geschafft: Dr. Ngounou führt bei Christ nach der OP einen Sehtest durch. Die Augen brauchen noch etwas Zeit.

Christ und seine Mutter Josiane vor der OP in der Klinik. Christs Blick geht ins Leere, seine Linsen sind verkalkt.

Hier wird er bald sitzen: Christ hat gleich mal in der Schule vorbeigeschaut. © Alle Fotos: Thomas Einberger/CBM

Jeden Tag hört Christ, wie die Kinder in Badjong zur Schule gehen. Sie lachen, schubsen sich, lernen in der Dorfschule lesen, schreiben und rechnen. Christ sitzt auch auf einem Bambusschemel, allerdings zu Hause. Mal vor dem einfachen Steinhaus, mal drinnen vor der Feuerstelle auf dem blanken Lehmboden. Er kann das Feuer fühlen, dreht sich blitzschnell weg, wenn die Flammen in seine Richtung lodern. Der Siebenjährige sieht so gut wie nichts. Umrisse, Kontraste – viel zu wenig, um auch in die Schule zu gehen. Zu Hause träumt er davon, dass er mal ein Fußballspieler wird und lernt alleine. „Ich kann schon bis 100 zählen“, sagt er stolz. Woher er das kann? „Das weiß niemand“, sagt seine Mama.

Christ leidet an einer Katarakt, auch Grauer Star genannt, – von Geburt an. Wie schon seine Mutter Josiane (29) und seine Großmutter Pauline (70). Mit Brüderchen Tresor (2), der normal sehen kann, meistern sie ihr Leben im Westen Kameruns, so gut es geht. Der Vater hat die Familie im Stich gelassen. Die Großfamilie wohnt Gott sei Dank rundherum. Bauern, die Bohnen, Mais, Maniok anbauen. Einiges davon verkauft Josiane in einem kleinen Laden an der Hauptstraße. Daneben befindet sich die Krankenstation der Gemeinde. Gute Kundschaft für die Familie. Christ hilft ihr, auch bei anderen Arbeiten. „Früher habe ich ihn abwaschen lassen, aber wenn er mit zehn Tellern das Haus verlassen hat, kam er nur mit neun zurück. Er sieht ja nicht, wenn er etwas verliert“, sagt Josiane. Ihr Blick geht ins Nichts. Die 29-Jährige kann ebenfalls nur Umrisse erkennen. Ihre Augen sind trüb. So wie die von Christ.

Christ weiß, dass sich sein Leben bald von Grund auf ändern wird. Dank einer OP, die in Deutschland Standard ist. 15 Minuten dauert der Austausch der trüben Linsen. Meist geht das ambulant. Christ hat keine Angst. Schwester Doris hat ihm alles genau erklärt. Die augenmedizinische Fachkraft und ihr Team sind regelmäßig im Land unterwegs, um Kinder wie ihn zu finden. Die 48-Jährige berät die Betroffenen, klärt über Kosten und Operation auf.

Bei einem ihrer Dorfbesuche ist Doris auf Christ gestoßen. „Wir waren bei der Familie seines Onkels, die im Nebenhaus wohnt. Und weil es schon mehrere Fälle gab, haben wir auch Christs Familie untersucht. Alle bis auf den kleinen Tresor sind betroffen.“ Schwester Doris kontaktiert die Verwaltung, wenig später kommt grünes Licht vom Sozialfonds: Die Christoffel Blindenmission (CBM) bezahlt. Rund 30 Euro kostet die Graue-Star-Operation je Auge bei einem Erwachsenen. Kinder brauchen eine Vollnarkose, eine intensivere Nachsorge. Die CBM kalkuliert hier mit 125 Euro pro Auge.

Bis zu 200 Kinder kommen pro Jahr in die Acha-Augenklinik in der Provinzhauptstadt Bafoussam. Dort ist Dr. Faustin Ngounou seit 2005 Chef. Der 59-Jährige hat acht Jahre in Leipzig Medizin studiert, dann in Kenia dank eines Stipendiums des südbayerischen Lions-Clubs und einer Patenschaft der Lions Augsburg seine Facharztausbildung absolviert. „Für mich war von Anfang an klar, dass ich wieder zurück nach Kamerun möchte. Der Bedarf in der Augenheilkunde ist riesig“, sagt der Chefarzt von inzwischen fünf Krankenhäusern und drei Außenstellen. Dr. Ngounou weiß, dass Christ nicht mehr lange warten kann. „Sind die Kinder acht, neun Jahre alt, ist das Lernfenster für das Gehirn geschlossen. Das Auge wird faul und das Gehirn kann die Impulse nicht mehr in Bilder umsetzen“, erklärt er.

In der Klinik jammert Christ kein einziges Mal, egal wie anstrengend es für ihn ist. „Er möchte einfach so sehr sehen“, sagt Mama Josiane. Sie sitzt auf seinem Krankenbett, wartet, bis ihr Sohn wieder aus dem OP-Saal kommt. Eine Linse lässt sich nicht wie gewohnt platzieren. Sie wird gefaltet in die Linsenkapsel geschoben und soll sich dort entfalten. Nicht bei Christ. Nach eineinhalb Stunden hat Dr. Ngounou es dann doch geschafft. Die Linsen sitzen perfekt, dicke Verbände schützen die Augen.

Bis zu 15 Katarakt-OPs stehen im Acha-Hospital jeden Tag auf dem Plan. Als Christ aus der Narkose aufwacht, ist er hungrig. „Bonjour, bonjour“, plappert er vor sich hin. Er bekommt einen Schluck Orangen-Limo. „Hhhmmmm.“ Dann telefoniert er mit seiner Oma. Alle sind glücklich.

Am nächsten Tag kommen die Verbände ab. Christ denkt schon an die Schule, daran, Zahlen in sein Heft zu schreiben. In über 90 Prozent der Fälle ist eine Katarakt-OP ein Erfolg. Wie viel Prozent Sehkraft ein Patient danach hat, hängt aber zum Beispiel von Vorerkrankungen ab, und davon, in welchem Alter der Graue Star begonnen hat.

Dr. Ngounou sitzt neben Christ am Bett. „Ein außergewöhnlicher, junger Mann“, sagt er. „Man merkt jeden Moment, dass er alles dafür tut, um endlich sehen zu können.“ Noch fällt es Christ schwer, seine Augen zu öffnen. Das Licht ist grell, die Augentropfen brennen. Er versucht, Dr. Ngounous Finger zu folgen und Gegenstände zu erkennen. „Papa Doktor, ich seh!“ Christ kann kaum mehr stillsitzen – obwohl noch ein langer Weg vor ihm liegt. Wird er nach Farben gefragt, kann er sie nicht benennen. Woher auch? Er weiß nicht, was Blau ist. Auch das Scharfstellen funktioniert noch nicht. Christs Augen müssen vieles erst lernen. Dazu wird er auch über längere Zeit eine Brille brauchen.

Zwei Tage später darf er nach Hause, ausgestattet mit Brille, Schulrucksack und einem Fußball. Geschenke von den Helfern. In Badjong wartet das halbe Dorf auf den Siebenjährigen. Sie alle freuen sich mit Christ. Er schaut kurz in der Schule vorbei und sitzt Probe. Bald wird er in der ersten Reihe seinen Platz zwischen den 41 Erstklässlern haben.

Christ wird weiter Unterstützung bekommen. Ohne gute Nachsorge wird er nicht gut sehen können. Er muss regelmäßig getropft werden. Seine Mutter kann das nicht, sie sieht zu schlecht. Dr. Ngounou will auch Josiane operieren. „Sie hat auf alle Fälle eine Chance. Wir werden es probieren.“

Zu Hause probiert Christ seine Stifte aus, kritzelt in sein erstes Schulheft. Etwas enttäuscht ist er, weil er nicht lesen kann, was er schreibt. Er dachte, sehen heißt auch lesen können. Das lerne er dann eben auch, meint er. Seinen Ball will er gar nicht mehr aus der Hand geben. Er wirft ihn hin und her, sagt ihm: „Du kannst mir jetzt nicht mehr weglaufen, ich seh‘ dich nämlich.“

Artikel 3 von 5