Wie Forscher die Korallenriffe retten wollen

von Redaktion

Meereserwärmung, Versauerung der Ozeane und Umweltverschmutzung: Die meisten Korallenriffe der Erde leiden immens. Aber es gibt weltweit viele Projekte, um den gestressten Nesseltieren zu helfen. Auch Touristen, als Korallen-Killer verschrien, sollen für die sensiblen Nesseltiere sensibilisiert werden.

Ein geernteter Dornenkronenseestern: Die oft rot gefärbten Seesterne ernähren sich gerne von Steinkorallen und stellen für die Wiederaufforstungsprojekte in den Riffen eine große Gefahr dar. © dpa

Eines der Gestelle mit gerade angebrachten Korallen in Nha Trang. Gleich wird es in fünf Metern Tiefe im Meer aufgestellt. Dort können die Nesseltiere wachsen. © dpa

Ein Taucher des Projekts in Nha Trang zeigt eine Koralle des Typs Acropora muricata (Kleinpolypige Steinkoralle). © dpa

Korallenfarm auf Grand Bahama: Korallentechniker befreien die Zucht-Fragmente von Zeit zu Zeit von Makroalgen. © dpa

Gesellschaftsinseln in Französisch-Polynesien: Ein Taucher untersucht von Bleiche betroffene Korallen. © Getty Images

Cancun in Mexiko: 400 Figuren hat der britische Künstler Jason deCaires Taylor dort als Basis für Korallen versenkt. © pa

Ein noch halbwegs intaktes Korallenriff im Roten Meer vor Ägypten. © Reinhard Dirscherl/Picture Alliance

Nha Trang – „Gaaanz vorsichtig“, sagt Tran Van Chuong und legt einer Touristin eine kleine braune Koralle mit zierlichen weißen Spitzen in die Hände. Im Taucheranzug kniet er mit ihr im seichten Wasser nahe dem vietnamesischen Urlaubsort Nha Trang vor einem weißen Metallgestell. An jedem Bindeglied wird ein Fragment der Spezies Acropora muricata angebracht – ganz vorsichtig. Die Urlauberin bringt sie behutsam in Position, dann befestigt Chuong die fragilen Nesseltiere sanft mit Kabelbindern. „Korallen sind extrem empfindlich“, weiß er.

Touristen werden oft als Korallen-Killer verschrien: Ein unachtsamer Tritt mit der Taucherflosse oder eine leichte Berührung reichen aus, um hunderte Jahre Wachstum zu zerstören. Dass Urlauber zur Rettung der bedrohten Meerestiere beitragen, ist eher die Ausnahme. Ein Projekt, das 2023 vom Hotel Villa Le Corail Gran Meliá mit einem Expertenteam der Firma Avatar ins Leben gerufen wurde, versucht genau das: Tourismus und Meeresschutz zu vereinen.

Wie an anderen Traumorten sind auch in Nha Trang viele Korallen gebleicht oder gestorben – auch wegen der Erwärmung im Zuge des Klimawandels. Bei zu hohen Wassertemperaturen stoßen die gestressten Nesseltiere die für ihre Färbung sorgenden Algen ab: Das hat etwa im australischen Great Barrier Reef, dem größten Riff der Welt, zu fast einem halben Dutzend Massenbleichen binnen acht Jahren geführt hat.

Korallenfressende Seesterne

Nha Trang liegt direkt am Südchinesischen Meer. Eine kühle Strömung mildert hier die Auswirkungen der Ozeanerwärmung. 2017 aber fielen die meisten Korallen einem heftigen Taifun zum Opfer. Auch Meeresverschmutzung, Überfischung und ein Ungetüm namens Dornenkronenseestern haben ihnen schwer zugesetzt. Die oft rot gefärbten Seesterne ernähren sich mit Vorliebe von Steinkorallen und sind fast überall im Indopazifik heimisch. Taucher sammeln die mit Giftstacheln ausgerüsteten Tiere regelmäßig in der Bucht vor dem Hotel ein. „Das ist ein bisschen wie Unkrautjäten im Meer – und wichtig, weil sie ganz wesentlich am Absterben von Korallenriffen beteiligt sind“, erklärt Hoang Do, Meeresexperte bei Avatar.

Das Unternehmen nutzt zwei Wege, um neue Korallen aufzuziehen: Gestelle, die Touristen im Meer platzieren können, sowie Schnüre, an denen Bruchstücke besonders widerstandsfähiger und schnell wachsender Korallenarten in einige Meter Meerestiefe gebracht werden. Eine Unterwasser-Aufzuchtstation oder, wenn man so will, eine Art Korallen-Baumschule.

Was sind eigentlich Korallen?

Korallen sind wirbellose, koloniebildende Meerestiere, die aus kleinen Polypen bestehen und sich nicht fortbewegen. An ihrer Basis scheiden sie Kalk ab und bilden damit Riffe, die im Laufe vieler Jahre zu gewaltigen Strukturen heranwachsen. Auf diesen Kalkschichten leben sie in Symbiose mit winzigen Algen, die ihnen die bunten Farben verleihen und sie mit Nahrung versorgen. „Obwohl Korallenriffe weniger als 0,2 Prozent der Erdoberfläche einnehmen, sind ein Viertel der bekannten Meeresarten auf sie angewiesen“, erläutert die Umweltorganisation WWF. Die Riffe bieten den Ozeanbewohnern Schutz als Brut- und Aufzuchtplatz.

Es gibt zwei Korallen-Hauptarten: Weichkorallen und Steinkorallen (Hartkorallen). Die Blumentiere können bis zu 20 Zentimeter pro Jahr wachsen, wobei Geweihkorallen am schnellsten zulegen. Neben der extrem resistenten Acropora muricata arbeitet Avatar in Nha Trang mit Steinkorallenarten wie der cremefarbenen Porites rus mit ihren vielen dünnen Ästen, der buschbildenden Pocillopora damicornis und der Acropora hyacinthus, auch Tischkoralle genannt.

Weltweit gibt es Projekte für Korallen

Sind die Fragmente stark genug, werden sie auf künstliche Riffe aus Beton „transplantiert“. Beim Schnorcheln können Urlauber die Aufzuchtstation und vorbereitete, aber noch kahle Beton-Riffe sehen – und auch das Ergebnis der harten Arbeit. Mehrere künstliche Riffe sind bereits über und über mit Korallen bedeckt, zwischen denen sich tropische Fische tummeln.

„Touristen sind immer völlig baff, wenn wir ihnen erzählen, dass wir diese Korallen erst Anfang 2023 gepflanzt haben“, sagt Hoang Do. Ein Franzose nickt zustimmend, während er sich am Strand Flossen und Schnorchel abstreift: „Ich hätte nie gedacht, dass es in so kurzer Zeit möglich ist, ein neues Riff zu erschaffen“, sagt er. Am gerade im Meer platzierten Gestell mit Acropora-muricata-Fragmenten wurde eine Plakette mit dem Namen des Touristen und den genauen Koordinaten angebracht. Das Hotel Villa Le Corail wird ihn regelmäßig über den Fortschritt „seiner“ Korallen informieren – ein Service für alle, die aktiv am Aufbau des neuen Riffs mitwirken.

Weltweit gibt es unzählige Ansätze, um Korallenriffen zu helfen. Korallen werden im Meer aufgezogen, in Aquarien und Farmen an Land. Neben künstlichen Riffen gibt es Versuche, geschädigte Riffe durch das Anpflanzen neuer Korallen zu retten. Wissenschaftler züchten zudem Korallenhybride, die mit wärmeren Wassertemperaturen besser zurechtkommen. Gesucht wird eine Art Superkoralle, die dem Klimawandel trotzt. Angesichts des verheerenden Zustands der meisten Riffe wirken die Bemühungen vielleicht wie ein Tropfen in den heißen Ozean. Aber sie zeigen, dass Rettung, wenn auch noch in kleinerem Rahmen, möglich ist.

Unterwassermuseum in Pazifik und Karibik

Auch Kunst kann dazu beitragen. Der Brite Jason deCaires Taylor hat seit 2006 in der Karibik und im Pazifik hunderte Skulpturen auf dem Meeresboden platziert, die sich mit der Zeit zu künstlichen Korallenriffen entwickeln. „Die Skulpturen schaffen einen Lebensraum für Meereslebewesen und veranschaulichen gleichzeitig die Zerbrechlichkeit des Menschen und seine Beziehung zur Meereswelt“, heißt es auf Taylors Website. Die Installationen locken Touristen an die künstlichen Korallenriffe – und tragen so auch zur Erholung der natürlichen Riffe bei.

Vor Cancún in Mexiko errichtete der Künstler und ehemalige Tauchlehrer das bislang größte Unterwassermuseum der Welt mit lebensgroßen Skulpturen. Da sitzt etwa unter Wasser ein Mann auf einem Sofa vor dem Fernseher. Algen und Korallen machen aus den Kunstwerken lebendige Figuren, die sich ständig verändern.

Geburtshilfe aus dem Aquarium-Labor

Das vier Meter hohe Korallenriff im Naturkundemuseum California Academy of Sciences in San Francisco zählt zu den größten Innenraum-Riffen der Welt. Geforscht wird hier auch: Im Rahmen der „Hope for Reefs“-Initiative arbeitet das Aquarium seit 2016 an der künstlichen Nachzucht von Korallen, die im Meer ausgesetzt werden. Es sei die erste Einrichtung in den USA, die Korallen in einer Aquarien-Anlage zum gleichzeitigen Laichen bringen konnte, sagen die Wissenschaftler. Denn der Prozess ist im Labor schwer nachzuahmen. Die Umstände müssen genau stimmen, um die Nesseltiere zur geschlechtlichen Fortpflanzung anzuregen: Temperatur, Licht, Strömungen und auch der Mondzyklus.

Korallen laichen nur einmal im Jahr, egal ob im Meer oder in der Zucht. Dann geben sie kleine Ei- und Spermienpakete ab, die zur Wasseroberfläche treiben. Der spektakuläre Unterwasser-Schneesturm wird „Coral Spawning“ genannt. Mitarbeiter fangen die kleinen Bündel mit Netzen ab und mischen Eier und Spermien verschiedener Kolonien, um sie zu kreuzen. Ende 2023 hieß das Labor in einem kurzen Zeitfenster tausende Korallenbabys willkommen. Durch Züchtung wollen die Forscher Embryonen und Larven gewinnen, die auch unter Stressfaktoren wie steigenden Temperaturen überleben.

Mikrofragmentierung auf den Bahamas

Im karibischen Inselstaat Bahamas gründeten vor fünf Jahren zwei US-Amerikaner eine kommerzielle Korallenfarm an Land: Coral Vita. Sie nutzen die Technik der Mikrofragmentierung, um Korallen besonders schnell zu züchten – bis zu 50 Mal schneller als in der Natur, sagen sie.

Korallen aus Riffen in der Umgebung werden in kleine Stücke geschnitten und in Freeport auf der Insel Grand Bahama in Wassertanks gezüchtet, um sie dann wieder Riffen zu implantieren. Die in wenigen Monaten statt Jahrzehnten gezüchteten Korallen sollen auch widerstandsfähiger gegen wärmeres und saureres Meereswasser werden.

Man kann die Farm in Freeport besuchen, Korallen können „adoptiert“ werden. Spenden werden von der mexikanischen Biermarke Corona verdoppelt. Coral Vita war 2021 einer der ersten Empfänger des vom britischen Thronfolger Prinz William ins Leben gerufenen Earthshot Prize.

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