Das Spiel mit dem Feuer

von Redaktion

Unter Ausschluss der Öffentlichkeit: Geisterspiele wie in der Coronazeit sind das Schreckgespenst des Profifußballs. © dpa/Martin Meissner

Spektakulär, aber brandgefährlich: Pyrotechnik ist in den Stadien verboten und doch allgegenwärtig. © firo/Jürgen Fromme

München – Joachim Herrmanns letzter Besuch in der Allianz Arena ist noch nicht lange her. Anfang September, ein 2:0 gegen den SC Freiburg, für den Bayern-Fan Herrmann ein schöner Ausflug. Zwei Tore, drei Punkte, ungetrübte Stimmung.

Heute wird sich Bayerns Innenminister als Vorsitzender der Sportministerkonferenz wieder mit Profifußball beschäftigen, diesmal dürfte es weniger harmonisch werden. Am Flughafen lädt Herrmann seine Ministerkollegen sowie Vertreter des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) und der Deutschen Fußball Liga (DFL) zu einem Spitzengespräch über „Gewalt im Fußball“. Behandelt wird das volle Programm: Kosten von Polizeieinsätzen, Prävention, schärfere Kontrollen, Strafen für Fans und Vereine bis hin zu Stadionverboten und Geisterspielen. Und natürlich der schwierige Umgang mit Pyrotechnik.

Die Zahlen der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) der Polizei lesen sich mäßig dramatisch. Die aktuellsten stammen aus der Saison 22/23, man vergleicht sie wegen der Coronajahre am besten mit der Spielzeit 18/19. Innerhalb von vier Jahren stieg die Gesamtzahl der Stadionbesucher in den höchsten drei Ligen von 22,0 auf 22,8 Millionen, ein Plus von 3,86 Prozent. Die Menge der eingeleiteten Strafverfahren (5498 zu 5271) und der im Stadion verletzten Personen (1176 zu 1127) nahm mit 4,3 Prozent in einem geringfügig größeren Umfang zu. Auch Herrmann räumt ein, dass der Anstieg sich nicht „in fürchterlich deutlichem Ausmaß“ bewegt, aber: „Es geht in die falsche Richtung.“

Seine Bedenken sind prinzipieller Art. Die Sicherheitslage in Deutschland ist insgesamt angespannt, da will er „nicht viele hundert Polizisten jedes Wochenende in Fußballstadien schicken müssen. Ich brauche sie für Wichtigeres.“ Zielsetzung der Politik sei es deshalb, „dass die Vereine selbst für mehr Sicherheit sorgen“.

Als Herrmann im September seine Vorstellungen erstmals öffentlich formulierte, fiel die Antwort aus der Branche schmallippig aus. Geisterspiele sind ein Schreckgespenst für den Profifußball. Aus dem DFB gab es hinter vorgehaltener Hand auch verwunderte Stimmen, warum die Politik nach personalisierten Tickets rufe und eine bessere Durchsetzung von Stadionverboten anmahne. Beides sei schon Realität. In der „Bild“ nannte Hans-Joachim Watzke, DFL-Aufsichtsratschef und scheidender Geschäftsführer von Borussia Dortmund, die gesamte Kritik „ein bisschen too much“. Allerdings räumte er auch ein: „Dass wir ein Problem haben, lässt sich nicht von der Hand weisen.“

Stadionbesuche, das belegen auch die Zahlen der ZIS, sind grundsätzlich sehr sicher. Aber es wird heute nicht nur darum gehen, was innerhalb der Umzäunung geschieht. Joachim Herrmann erinnert sich an ein Drittligaspiel in Unterhaching vor drei Jahren, nach dessen Ende Fans von Hansa Rostock auf der Heimreise in der Holledau die A 9 blockierten. „Die Fantasie mancher Hooligans ist groß, und wir müssen schon deutlich machen, dass wir das nicht akzeptieren können.“

Pyrotechnik ist also bei Weitem nicht die einzige Herausforderung, aber die mit der buchstäblich höchsten Strahlkraft. Schon vor vielen Jahren gab es Gespräche über ein kontrolliertes Abbrennen und an ihrem Ende ein Machtwort des DFB – das nichts brachte. Der Hamburger SV und Darmstadt 98 erhielten von ihren Landesregierungen mal eine begrenzte Erlaubnis auf Basis der Muster-Versammlungsstättenverordnung, ohne dass daraus mehr wurde. Aktuell blickt die Szene auf ein Pilotprojekt in Norwegen, wo Rauchtöpfe und Leuchtraketen unter strengen Bedingungen und in abgetrennten Bereichen erlaubt sind. Ob sich die beschaulichen Verhältnisse im Norden allerdings übertragen lassen auf den Großbetrieb im deutschen Fußball, ist nur eine von vielen Fragen.

Als Fußballfan kann Joachim Herrmann sogar nachvollziehen, „dass jemand sich an solchem Fackelschein begeistert“. Als Innenpolitiker weist er aber auf die Schattenseiten hin, vor allem auf die Gefahren für Unbeteiligte und generell die Risiken, wenn in einem emotionalen Umfeld, bei räumlicher Enge und womöglich unter Alkoholeinfluss mit entzündlichen Materialien hantiert wird. Pilotprojekte mit Zünd-Erlaubnis am Zaun seien da keine Lösung, glaubt der Minister. Aus der Fanszene habe er schon gehört: „Wir lassen es krachen – gerade, weil es verboten ist.“

Jost Peter hat andere Erfahrungen gemacht. Der Vorsitzende der Vereinigung „Unsere Kurve“ weiß von vielen Fans, die sagen: „Pyrotechnik in abgesperrtem Rahmen finden wir gut.“ Es gehe ihnen nicht um Grenzüberschreitung, sondern um ein schillerndes Erlebnis. Auf ihrer Homepage kritisiert die Gruppe dann auch Leuchtspurgeschosse als „in Menschenmengen unkontrollierbar“ und Böller als „gemeingefährlich“. Anders sehe es bei Bengalos oder Leuchtfackeln aus. Bei verantwortungsbewusstem Umgang seien die „ein wunderbarer Ausdruck der großartigen Fankultur hierzulande“. Das bisherige strikte Verbot sei kontraproduktiv, sogar riskant. Weil sich niemand erwischen lassen wolle, würden Fackeln oft schon entsorgt, wenn sie noch brennen.

In der Saison 22/23 wurden in deutschen Stadien durch Pyrotechnik 92 Menschen verletzt, ein Minus von knapp 40 Prozent gegenüber 18/19 (152). Das muss aber nichts heißen. Geht mal etwas schief, ist potenziell gleich eine hohe Zahl von Besuchern gefährdet. Auch an der Basis sei man sich dieser Risiken bewusst, betont Peter.

Gerade die organisierten Fans behandeln das Thema auffallend differenziert, doch in München werden sie ihre Argumente nicht vortragen können. Sie wurden nicht eingeladen. Herrmann begründet das mit dem bewusst klein gehaltenen Rahmen und der Erwartung an die Vereine, ihrerseits den Dialog mit der Basis zu pflegen. Peter widerspricht: „Wir sind zwangsläufig Teil der Diskussion.“ Also sollten sie nach seinem Verständnis auch mit am Tisch sitzen.

Der FC Bayern erhält keine Rechnung für Polizeieinsätze

Am Dialog lässt sich sicher noch einiges verbessern. Aber es gibt auch Beispiele dafür, wo der Austausch schon heute funktioniert und Früchte trägt. Gerade in Bayern und Baden-Württemberg, lobt Peter, hätten sich Stadionallianzen, in denen sich Polizei, Feuerwehr, Vereine und soziale Fanprojekte vor Spielen abstimmen, sehr bewährt. Er regt an, den Rahmen noch weiter zu fassen. Ultragruppierungen, die engagiertesten Fans also, seien „super Partner für Absprachen, das wird immer vergessen“.

Ein einzelner Vormittagstermin, der mit einer Pressekonferenz um 14 Uhr enden soll, wird ohnehin nicht reichen, um der komplexen Thematik gerecht zu werden. Die Frage etwa, wer für Polizeieinsätze rund um Bundesligaspiele zahlt, beschäftigt mittlerweile das Bundesverfassungsgericht. Angerufen wurde es von der DFL, nachdem die Hansestadt Bremen dem SV Werder nach einem Hochsicherheitsspiel eine Rechnung geschickt hatte.

In einigen Bundesländern, zum Beispiel Hamburg, wartet die Politik nur auf das Urteil aus Karlsruhe, um ihrerseits Geld einzufordern. Bayern wird nicht dazugehören. Joachim Herrmann verweist auf frühere Besuche des Hamburger SV in München. „Da begann der Polizeieinsatz schon am Marienplatz. Ich kann doch die Rechnung dafür nicht dem FC Bayern schicken.“ Aktuell ist die Lage in dieser Hinsicht entspannt. Aber irgendwann wird selbst der HSV mal wieder aufsteigen.

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