Tatort Eschede: In Niedersachsen lief Ende September ein Junioren-Kreisligaspiel aus dem Ruder. © Screenshot NDR
München – Als die Situation eskalierte, stand es 2:11. Bei so einem Ergebnis kann man schon mal emotional werden, besonders als Anhänger der Heimmannschaft. Wäre es bei verbalen Fouls geblieben, hätte die Öffentlichkeit es bis heute nicht mitgekriegt, aber böse Worte reichten irgendwann nicht mehr. Am Ende gingen nicht nur Spieler beider Teams aufeinander los, auch jugendliche Zuschauer mischten mit. Fünf Personen wurden verletzt, eine musste ins Krankenhaus. Die Polizei ermittelt gegen zwei 18- und 19-Jährige, gegen einen von ihnen wegen schwerer Körperverletzung.
Wenn über Gewalt im Fußball gesprochen wird, geht es nicht immer um Hooligans und die großen Arenen. Handgreiflichkeiten ereignen sich auch im unspektakulären Rahmen, zum Beispiel auf dem Sportplatz des TuS Eschede im Landkreis Celle. Hier ist das Spiel der Kreisliga zwischen der JSG Lachtetal und der JSG Westkreis Ende September so krass aus dem Ruder gelaufen, dass es in den Fokus des ganzen Landes rückte.
Der Niedersächsische Fußballverband (NFV) hat als Reaktion den Jugendspielbetrieb im gesamten Landkreis ausgesetzt. Bis kommende Woche rollt in den U-Ligen kein Ball. Die drastische Maßnahme solle allen Beteiligten die Gelegenheit geben, sich Gedanken zu machen „über einen Spielbetrieb ohne Gewalt“, sagt Philipp Ziemen, der Vorsitzende des Jugendausschusses im Landkreis. Denn Eschede war hier kein Einzelfall. Auch bei einem U 16-Spiel gab es Beulen, eine Partie zwischen zwei E-Junioren-Teams, mit lauter Neun- und Zehnjährigen also, musste ebenfalls abgebrochen werden. Hier hätten sich Erwachsene duelliert, erinnert sich Ziemen: „Schiedsrichter, Trainer, Zuschauer.“
Man hört immer wieder vom rauen Klima im Amateurfußball, aber dieser Fall hat noch mal eine ganz besondere Note. Schon im Jugendbereich häufen sich im Landkreis Celle die Probleme mit Disziplin und Regelwerk. Und vermutlich nicht nur dort.
In Celle sind insgesamt 33 Partien betroffen. Im Gebiet des Bayerischen Fußballverbandes (BFV) finden jedes Wochenende 12 000 bis 13 000 statt, die Größenordnung ist eine ganz andere. Kollektive Spielabsagen wie in Niedersachsen gab es hier noch nicht. Die Zahl der Spiele, in denen die Grenzen des Erlaubten überschritten werden, verharre seit Jahren auf gleichem Niveau, sagt Fabian Frühwirth, der stellvertretende Geschäftsführer des BFV, aber er weiß auch: „Die Wahrnehmung ist eine andere. Der Umgang miteinander wird rauer.“
Frühwirth macht sich da nichts vor. Der Fußball, sagt er, sei „ein Abbild der Gesellschaft“. Streit und Spaltung, das sind keine Themen, die man einfach mit einem Platzverweis belegen kann. Sein Verband hat darauf reagiert. Der BFV schickt in der spielfreien Zeit Schiedsrichter zu den Klubs. Um das Regelwerk zu erklären, aber auch, um auf die Spieler einzuwirken, „wie wir auf dem Platz miteinander umgehen“.
Das gelingt oft, aber nicht immer. Als erster Landesverband arbeitet der BFV deshalb mit der Generalstaatsanwaltschaft zusammen, die sich um besonders schwere Vergehen kümmert. Der erste Fall stammt aus dem Frühjahr und betraf eine rassistische Entgleisung. Bayern setzt da bewusst auf Abschreckung. Eine Rote Karte ist das eine, sagt Frühwirth, doch eine strafbare Handlung etwas ganz anderes: „Dann ist das Führungszeugnis nicht mehr einwandfrei.“
Das aktuelle „Lagebild des Amateurfußballs“ im Freistaat hat rund 200 000 registrierte Spiele der vergangenen Saison ausgewertet. 99,76 Prozent verliefen störungsfrei, bei 476 Partien gab es Vorkommnisse. Das schließt Abbrüche wegen Starkregens ebenso ein wie grobe Unsportlichkeiten. Aus disziplinarischen Gründen vorzeitig beendet wurden 87 Spiele. 54 Prozent stammen aus dem Männer-, über 40 Prozent aus dem Juniorenbereich. Frauen und Nachwuchsspielerinnen tragen zu dieser unrühmlichen Statistik nur ein einziges Spiel bei.
MARC BEYER