Komplett entkernt: In der „Landshut“ sind keine Sitze mehr. Viele andere Teile sind nicht mehr original. © Peter T. Schmidt
Das Cockpit der „Landshut“, wie es heute aussieht. © sc
Die befreiten Geiseln bei der Rückkehr nach Hause. © pa
Mogadischu: Die Leiche von Jürgen Schumann wird über eine Rutsche aus der „Landshut“ geborgen. © Picture Alliance
Der Rumpf der „Landshut“ wurde gestern am Flughafen Friedrichshafen am Bodensee in Baden-Württemberg an seinen künftigen Ausstellungsort gebracht. © dpa
Friedrichshafen – Etwas verloren liegt der Flugzeugrumpf, festgezurrt auf einem gelben Transportgestell, in dem frisch renovierten Hangar am Rande des Flughafens Friedrichshafen. Flügel, Leitwerk und Fahrwerk sind abmontiert, der Lack ist bis auf die Grundierung abgebeizt. Dass einst die Augen der Welt auf diese Maschine gerichtet waren, ist kaum noch vorstellbar. Vor fast fünf Jahrzehnten aber wurde die „Landshut“ im „Deutschen Herbst“ 1977 zum Symbol der Konfrontation zwischen Staat und Terrorismus. Bewaffnete Mitglieder der „Volksfront zur Befreiung Palästinas“ (PFLP), zwei Frauen und zwei Männer, entführen die Maschine auf ihrem Flug von Palma de Mallorca nach Frankfurt. An Bord: 82 Passagiere und fünf Besatzungsmitglieder. Das Ziel: Terroristen der PFLP und der „Rote Armee Fraktion“ (RAF) freizupressen. Der Moment, als die Leiche des ermordeten Kapitäns Jürgen Schumann aus der Flugzeugtür geworfen wird, hat sich ins Gedächtnis einer ganzen Generation eingebrannt, ebenso die Szenen des Jubels nach der geglückten Befreiung durch die GSG 9.
Gefunden auf einem Flugzeugfriedhof in Brasilien
Dass die Boeing noch acht Jahre lang im Dienst der Lufthansa weiterflog, blieb der Öffentlichkeit verborgen und wäre heute wohl nicht mehr denkbar. Danach verlor sich ihre Spur – bis ein Journalist die Maschine auf einem Flugzeugfriedhof in Brasilien aufspürte. Die Boeing war nach 1985 noch für acht weitere Fluglinien und Charterfirmen im Einsatz, bis die argentinische Airline TAF sie 2008 endgültig ausmusterte. Außenminister Sigmar Gabriel sorgte 2017 dafür, dass das Flugzeug nach Deutschland gebracht wurde.
Was tun mit diesem Stück Zeitgeschichte? Das Deutsche Historische Museum in Berlin, das Technikmuseum in Sinsheim sowie Standorte in Fürstenfeldbruck, Hamburg und Flensburg wurden erwogen und verworfen. Ebenso das Haus der Geschichte in Bonn, das eine umfassende Dokumentation zur „Landshut“ pflegt, aber für die Maschine keinen Platz hat. Die Idee, der „Landshut“ eine neue Heimat im Dornier Museum in Friedrichshafen am Bodensee zu schaffen, scheiterte an der Finanzierung.
2020 übergab der Bundestag die Zuständigkeit an die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb). Sie will die Geschichte der „Landshut“ als „Demokratieraum“ erfahrbar machen. Dazu ist der Hangar einer alten Flugzeugwerft renoviert worden, gleich neben der „Spacetech Arena“ der Volleyballer des VfB Friedrichshafen. Zwei Workshop-Räume und ein Foyer bieten Platz für Aktionen und Veranstaltungen, und auch die enorme Hallenfläche rund um das Flugzeug ist bespielbar. Denn eines ist der bpb wichtig, wie ein Sprecher betont: „Wir sind kein Museum. Wir machen politische Bildung.“ Das Wrack der „Landshut“ soll dazu als „Projektionsfläche“ dienen und weitgehend in dem Zustand bleiben, in dem man es in Brasilien vorgefunden hat: als leere Hülle, die nicht einmal optisch an die Geschehnisse vor 50 Jahren erinnert. Zwei gewichtige Argumente hat die bpb für dieses Konzept: Zum einen das „Überwältigungsverbot“, das in der politischen Bildung gilt: Man will nicht Emotionen, sondern Informationen vermitteln. Zum anderen die Tatsache, dass sich allenfalls eine künstliche Authentizität schaffen ließe: Original ist nur mehr die Hülle. Alles andere, von der Lackierung über die Sitzreihen und Cockpit-Instrumente bis zur letzten Schraube, ist im Laufe der Jahre mehrfach ausgewechselt worden.
Dagegen steht der Wunsch, den auch die Geisel Iris Roggenkamp (siehe Interview) hegt: Wenigstens ein paar Sitzreihen könne man doch einbauen, schlägt sie vor. Die Besucher sollten Platz nehmen und nachvollziehen können, welche Gedanken und Ängste die Entführungsopfer damals bewegt haben mögen. Ob es bei der Lufthansa noch Originalsitze oder Pläne gibt, nach denen man sie rekonstruieren könnte, ist unklar. Man sei in die Planungen nicht eingebunden, so ein Sprecher auf Anfrage.
Sigmar Gabriel (SPD) ist sauer. „Ich halte es für einen ziemlichen Skandal, wie mit diesem Teil der deutschen Geschichte und damit mit den Opfern umgegangen wird“, zürnt der 65-Jährige, der von 2013 bis 2018 Vizekanzler und von 2107 bis 2018 auch Bundesaußenminister war. „Wir hatten damals die Absicht, die „Landshut“ als authentischen Ort für einen pädagogischen und historischen Lernort zu nutzen und nicht als leere Hülle irgendwohin zu stellen. Dafür wurden auch einige Millionen Euro in den Bundeshaushalt eingestellt.“
Zumindest die Tragflächen und das Leitwerk, auf dem einst der unverkennbare Lufthansa-Kranich prangte, sollen wieder montiert werden. Ob die „Landshut“ auch auf ihrem Fahrwerk stehen darf, wird noch geprüft, denn die Halle könnte zu niedrig sein. 2026 soll der „Lernort Landshut“ in Friedrichshafen eröffnet werden. Bis dahin kann Sigmar Gabriel, der die Maschine einst vor der Verschrottung bewahrte, „nur hoffen, dass hier noch Vernunft einkehrt“.