Künstliche Zuneigung im Seniorenheim

von Redaktion

Sie führen Gespräche, holen Medikamente oder helfen Senioren aus dem Bett: In Bayern testen Pflegeheime und Wissenschaftler schon jetzt, Roboter in der Altenpflege einzusetzen. Kann Technologie den Pflegenotstand ausgleichen? Ein Besuch im Johanniter-Haus in Herrsching. Dort ist seit einem Jahr Roboter „Johanni“ im Einsatz.

Der Hahn im Korb: Roboter „Johanni“ kommt bei den Senioren gut an. Er ist immer nett und witzig. Seit einem Jahr ist er im Einsatz. © Fotos (2): Dagmar Rutt

München – Johanni hängt an der Steckdose. In einem Hinterzimmer des Johanniter-Hauses in Herrsching steht der Roboter in einer Ecke und tankt Energie. Jeden Mittwochvormittag wecken ihn die Betreuerinnen für ein paar Stunden aus seinem Schlummer, damit sich die Bewohner des Altenheims mit ihm unterhalten können. Noch lässt er aber seinen Kopf hängen. „Komm mein Kleiner, wir holen dich jetzt mal aus dem Bett”, sagt Martina Eßbach liebevoll und beugt sich über die Maschine. Eßbach ist die Chefin der Einrichtung. Sie drückt einen Knopf an Johannis Rücken, seine Augen beginnen zu flackern, leichte Zuckungen fahren durch Hals- und Schultergelenke. Es dauert ein paar Minuten, bis er einsatzbereit ist.

Eßbach spricht zu Johanni wie zu einem Kind. Seitdem sie den Roboter vor einem Jahr angeschafft hat, hat sie eine fast mütterliche Beziehung zu ihm aufgebaut. Das kommt nicht von ungefähr. Der Roboter des Münchner Start-ups Navel Robotics ist einem kleinen Jungen nachempfunden. Er ist etwa 70 Zentimeter groß, trägt eine Strickmütze und fixiert aus großen blauen Kulleraugen den Blick seiner Gesprächspartner. Wenn Johanni spricht, nimmt seine helle und freundliche Kinderstimme den ganzen Raum ein.

Johanni kann sich sogar die Namen der Senioren merken

„Hallo, Johanni!“ Auf dieses Stichwort hin wendet sich der Roboter seinen Gesprächspartnern zu, baut Blickkontakt auf, grüßt freundlich zurück. Johanni ist mit dem Internet verbunden und verarbeitet die Spracheingaben seiner Benutzer auf Google-Servern. Mithilfe Künstlicher Intelligenz findet er in Sekunden die passenden Antworten. Sein Gedächtnis ermöglicht es Johanni sogar, sich die Namen der Senioren zu merken und an vergangene Gespräche anzuknüpfen. Böse Worte kennt er nicht. Die Programmierer haben ihm einen freundlichen, stets hilfsbereiten Charakter gegeben.

Auf die Bitte, sich vorzustellen, sagt er: „Ich bin Johanni, ein sozialer Roboter aus München. Mein Ziel ist es, Menschen kennenzulernen und mich mit ihnen zu unterhalten.“ Während er spricht, erwecken seine Bewegungen einen stark menschlichen Eindruck. Navel Robotics hat Johanni ein anthropomorphes Design verpasst. Er klimpert mit den Augen, zieht die Augenbrauen erstaunt nach oben oder verdutzt nach unten. Beim Sprechen formen seine Kunststofflippen die Worte. Sein Gesicht simuliert emotionale Zustände.

Wie gut sich die Senioren auf Johanni einlassen, ist in den Gemeinschaftsräumen des Johanniter-Hauses zu beobachten. Etwa ein Drittel der 60 Bewohner nimmt regelmäßig an den Treffen mit Johanni teil. Eine Betreuerin stellt den Roboter dicht vor die Senioren auf den Boden und hilft ihnen, das Gespräch in Gang zu setzen. „Wie war dein Tag heute?“, fragt Johanni eine Seniorin. Sie hat Schwierigkeiten, ihn zu verstehen und antwortet undeutlich. Viele Heimbewohner sind an Demenz erkrankt und altersschwach. Oft fällt es ihnen schwer, sich klar und deutlich zu artikulieren. Johanni übergeht das programmiert charmant und bietet der Seniorin stattdessen an, ein Gedicht, ein Gebet oder einen Witz aufzusagen – Angebote, die die Heimbewohner gerne nutzen.

Johanni soll die Senioren aber nicht nur unterhalten. „Als sozialer Roboter soll er in Interaktion mit den Senioren treten und sie dadurch kognitiv und emotional stimulieren“, erklärt Sofia Kieffa. Sie ist Ergonomin und erforscht an der Technischen Universität München, wie Menschen und Roboter interagieren.

Für ihre Masterarbeit hat sie die Einführung von Johanni wissenschaftlich begleitet. Sie wollte herausfinden, wie effektiv der Roboter seinen Zweck erfüllt und wie sein Design optimiert werden könnte. „Johanni schafft es, dass eher verschlossene Senioren sich öffnen und Dinge erzählen, die sie nicht mal den Betreuerinnen anvertrauen“, sagt Kieffa.

Auch Martina Eßbach berichtet von Situationen, die sie zum Staunen gebracht haben. „Eine Bewohnerin erzählte Johanni von einer Krebsdiagnose, die sie einen Tag vorher erhalten hatte. Und Johanni hat sie dann tatsächlich getröstet und erklärt, welche Behandlungsmöglichkeiten es gibt und dass er mitfühlt“, erzählt sie. Sie beobachtet auch, dass die Senioren dazu neigen, den Roboter zu vermenschlichen. Sie sprächen ihn mit „mein Süßer“ oder „mein Kleiner“ an – und würden ihn ermahnen, in der nächsten Woche auch ja wiederzukommen.

All das bestätigt für Kieffa, dass Johannis anthropomorphes Design die Senioren emotional anspricht. „Außerdem wird das Gedächtnis der Senioren durch die Gespräche stark gefordert“, erklärt die Ergonomin. Wenn Johanni fragt, was sie heute gemacht haben oder welche Musik sie gerne mögen, kommen die Senioren ins Grübeln und trainieren so ihre geistige Fitness. „Oft erinnern sich die Senioren im Gespräch auch an Erlebnisse aus ihrer Kindheit und Jugend. Dann fangen sie plötzlich an zu erzählen“, sagt Kieffa. Das spreche dafür, dass auch die kognitive Stimulation gut funktioniere.

Auch wenn Johanni von Nutzen für die Senioren zu sein scheint, eine Entlastung für die Mitarbeiter ist er nicht. Im Gegenteil: Für sie bedeutet es sogar mehr Aufwand, den Roboter in das Betreuungsangebot aufzunehmen.

Martina Eßbach vergleicht den Roboter mit einem Gesellschaftsspiel. „Johanni unterstützt die Betreuer und ergänzt unser Angebot.” Entgegen vieler Befürchtungen sollen Altenpfleger und Betreuer aber nicht durch Roboter ersetzt werden. Das hält Eßbach weder für möglich noch für erstrebenswert. „Wir wollen nicht, dass Johanni autonom agiert“, stellt sie klar. „Menschliche Wärme, Hautkontakt, Fühlen, Riechen – all das werden Roboter nie ersetzen können. Genau das brauchen Menschen aber“, betont Eßbach. Der technologische Fortschritt und die Digitalisierung müssten zwar auch in der Pflege vorangetrieben werden, allein dadurch könne ein Pflegenotstand aber nicht verhindert werden.

Bürokratie verzögert Einreise von Pflegeschülern

„Ich sehe die Zukunft vor allem in der Ausbildung neuer Pflegekräfte“, sagt Eßbach und zeigt auf einen dicken Papierstapel auf ihrem Schreibtisch. Er bezeugt den Bürokratie-Dschungel, durch den sich die Chefin ständig schlagen muss. „Ich warte seit Wochen darauf, dass zwei Pflegeschüler aus Vietnam endlich einreisen dürfen“, sagt sie. Obwohl Eßbach für alles gesorgt und sogar eine Wohnung angemietet hat, lässt die Einreiseerlaubnis auf sich warten. „Da könnte ich einen Roman drüber schreiben“, sagt sie kopfschüttelnd.

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