INTERVIEW

„Harris hat ein Problem bei jungen Wählern“

von Redaktion

Julius van de Laar hat schon Barack Obama beraten – Er sieht Trump im Aufwind

Hilfe auf den letzten Metern: Am Wochenende unterstützte die ehemalige First Lady Michelle Obama (re.) Harris in Michigan. © AFP

München – Julius van de Laar kennt den US-Wahlkampf, er war selbst aktiver Bestandteil. 2008 und 2012 war er im Team von Ex-US-Präsident Barack Obama. Mittlerweile ist er Politikberater in Berlin, doch das Rennen ums Weiße Haus lässt ihn nicht los. Aktuell ist van de Laar in den USA. Wir erreichten ihn in Pennsylvania, dem wohl wichtigsten Swing State.

Was ist der größte Unterschied zwischen dem Duell Barack Obama gegen Mitt Romney im Jahr 2012 und jetzt Harris gegen Trump?

Die rhetorische Schärfe. Obama und Romney haben dem anderen nicht unterstellt, dass er Amerika zerstören wolle. Und das mediale Umfeld. Es gab noch kein TikTok oder Instagram. Ein signifikanter Unterschied ist auch, dass es Obama damals gelungen ist, die Wahl nicht zu einem Referendum über seine erste Amtszeit werden zu lassen. Er hat die Wahl als Richtungsentscheidung deklariert. Gerade das scheint auch Trump in den letzten Tagen zu gelingen. Er definiert Kamala Harris als Status quo. Er sagt: Sie steht für all das, was euch schon an Joe Biden gestört hat.

War das nicht klar, als sie von Biden übernahm?

Auf dem Parteitag im August sprachen alle von „Joy“ — Harris inszenierte sich als Kandidatin der neu entdeckten Freude, die für Aufbruch und Hoffnung steht. Somit war sie der ultimative Kontrast zu Biden und auch Trump. Die Trump-Kampagne hat allerdings hunderte Millionen Dollar ausgegeben, um sie als Amtsinhaberin zu definieren, die die alleinige Verantwortung für die vergangenen vier Jahre trägt — inklusive der gescheiterten Migrationspolitik. Als Harris vor drei Wochen in der ABC-Sendung „The View“ gefragt wurde, was sie anders machen würde als Biden, sagte sie: „Da fällt mir nichts ein.“ Dieser Satz wird von Trump als Endlosschleife gespielt. Die Aussage: Wählt Harris und ihr bekommt die identische Politik wie unter Biden. Das ist politisch geschickt, denn 70 Prozent der Wähler sind unzufrieden.

Pennsylvania gilt als der Schlüsselstaat unter den sieben Swing States.

Pennsylvania ist für Harris ein „Must win“-State. Mit Wisconsin und Michigan bildet es einen Block, die sogenannte „Blue wall“. Vor vier Jahren lag Biden bei zehn Millionen Wahlberechtigten mit 80 000 Stimmen vorne, 2016 trennten Trump und Hillary Clinton 44 000 Stimmen. Es ist ein verdammt knapper Staat. Die Demokraten kalkulieren, dass sie 3,6 Millionen Stimmen zum Sieg brauchen – wenn die Prognosen zur Wahlbeteiligung stimmen. Das ist der zentrale Punkt. Ende letzter Woche hatten bereits rund 1,1 Millionen Menschen gewählt. Das ist ungefähr die Hälfte der gesamten „Early Vote“-Stimmen 2020 – und ein Indikator, dass die Mobilisierung bei dieser Wahl extrem hoch sein wird.

Aber?

Das führt zu der Strategie von Donald Trump. Er geht davon aus, dass er 48 Prozent der typischen Wähler überzeugen kann. Er schließt nun aber die Wette ab, dass er mit einer extremen Zuspitzung weitere Wähler mobilisieren kann – vor allem junge Männer, die normalerweise nicht zur Wahl gehen. Wenn Trump die Wahlbeteiligung in dieser Gruppe ankurbeln kann, hat er eine sehr, sehr gute Chance.

Was macht er genau?

Trump ist Entertainer, der TV und Social Media versteht wie kaum ein anderer. Nehmen Sie den PR-Stunt bei McDonald’s. Medial lief das überall. Eines der Videos, die Trump bei TikTok hochgeladen hat, hat mehr als 63 Millionen Views, ein anderes 21 Millionen. Obwohl Harris den Sommer dominiert hat, zieht bei Trump die Mobilisierung an.

Bisher hieß es meist, junge Leute tendierten zu Harris.

Die Demokraten gewannen in der Vergangenheit aufgrund der Stimmen von Latinos, Afroamerikanern, jungen Wählern und Frauen. Wenn sie die mobilisieren können, gewinnen sie, ansonsten haben sie ein Riesenproblem. Harris liegt bei diesen Gruppen vorne – allerdings nicht mit dem Vorsprung, wie es Obama oder Biden gelang. Diese Differenz muss sie reduzieren. Bei Frauen hat Harris nach wie vor einen signifikanten Vorsprung.

Und die jungen Wähler?

Ein Teil ist enttäuscht von der Israel-Gaza-Politik im Weißen Haus. Bei den Vorwahlen in Michigan haben 100 000 Wähler ihre Stimme ungültig gemacht – ein Denkzettel für Biden. Wenn die jetzt nicht wählen gehen, hat Harris ein gigantisches Problem.

Darauf spekuliert Trump…

Junge Männer sind ein zentraler Bestandteil der Trump-Basis. Um sie zu erreichen, geht er in den Podcast von Joe Rogan und holt sich Elon Musk an seine Seite. Das Gefühl soll angesprochen werden: „Früher hatte man als weißer Mann einen gewissen Status, der mittlerweile abhandengekommen ist. Kamala Harris kümmert sich um Minderheiten – aber nicht mehr um uns.“ Silicon-Valley-Milliardäre wie Peter Thiel, die Trump unterstützen, sollen als Vorbilder zeigen, dass der amerikanische Traum nach wie vor vorhanden ist — solange Trump gewinnt.

Die jüngsten Zahlen aus Pennsylvania oder Michigan zur Wahlbeteiligung ließen sich als Pro-Harris-Bewegung deuten. Sie sehen das anders?

Es ist schwierig, daraus abzuleiten, wer vorne liegt. Wir leben in Zeiten, in denen der Amtsinhaber Gefahr läuft, dass die Wahl zu einem Referendum über den Status quo wird. Aktuell sehen 70 Prozent der Amerikaner das Land auf dem falschen Pfad. So war es auch 2012 bei Obama. Eigentlich hätte er die Wahl verlieren müssen. Doch ihm ist es gelungen, aus dem Referendum eine Entscheidung zu machen: Wollt ihr Obama, der für euch kämpft, oder Romney, den absoluten Killer-Kapitalisten? Die Strategie war, den Gegner runterzuziehen. Das ist Harris bisher nicht gelungen.

Warum nicht?

Weil wir über Trump schon alles wissen. Alles, was er sagt – dass er auf der Fifth Avenue jemanden erschießen kann und immer noch gewählt wird – ist mittlerweile eingepreist. Wenn sein Ex-Stabschef ihn einen Faschisten nennt, der von Hitlers Generälen schwärmt, heißt es: „Das ist halt Trump.“

Kürzlich ist Harris im urrepublikanischen Bundesstaat Texas aufgetreten. Was erhofft sie sich davon?

Niemand glaubt, dass Harris Texas gewinnt. Aber es geht darum, noch mal die Abtreibungs-Botschaft zu senden: „Schaut her, was in Texas Status quo ist, wird unter Trump in ganz Amerika kommen.“

Zuletzt kursierten Zahlen, die Harris und Trump in Texas fast gleichauf sehen.

Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Texas dieses Jahr blau wird.

Ähnlich ist es mit Florida. Dort leben viele Latinos. Aber auch viele Rentner.

Florida ist dieses Jahr extrem volatil, weil gerade noch zwei Hurrikans durchgefegt sind. Aber in den letzten Jahren gab es in Florida nicht besonders viel Hoffnung für die Demokraten. Ich würde an ihrer Stelle eher nach North Carolina schauen. Dort haben sie zuletzt 2008 gewonnen, es gibt einen demografischen Wandel, viele Demokraten sind dorthin gezogen. Andererseits sind selbst an den Colleges viele junge, konservative Leute, die vor allem auf die Wirtschaft schauen. Die sehen das Chaos in der Welt. Und dann gibt es das Narrativ, dass überall Konflikte sind, während es unter Trump gefühlt ruhig war. Ich bin kein Verfechter dieser Erzählung, aber ich kann nachvollziehen, dass sie relativ gut klingt: „Wir brauchen mal wieder einen starken Vater, der den Gürtel rausholt und alle vertrimmt, dann ist hier Ruhe.“

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