München – Ständige Angst vor ernsten Krankheiten – das ist in der Psychotherapie als Hypochondrie bekannt. Mit dem Aufkommen des Internets hat sich außerdem der Begriff „Cyberchondrie“ etabliert, also die übermäßige Beschäftigung mit Krankheitssymptomen in Kombination mit ständigem Googeln. Je nach Studie sind davon zwischen fünf und zehn Prozent der Menschen betroffen.
In der Forschung ist umstritten, ob es sich dabei um eine eigene Krankheit handelt oder nur eine spezielle Unterform von Hypochondrie vorliegt. In einem Punkt sind sich die Forschenden aber einig: Die Recherche im Internet führt bei Betroffenen meist zu keiner Beruhigung, sondern verstärkt die Angst. Für Christine Allwang, Leitende Oberärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Klinikum rechts der Isar, ist das Internet daher Fluch und Segen zugleich: „Zum einen bietet es Menschen eine tolle Möglichkeit, an hilfreiche Tipps zu kommen. Zum anderen erfordert es aber auch eine fachliche Expertise, um Informationen richtig einordnen zu können – etwas, das die meisten Symptom-Googler nicht haben.“
Deutsche gehen zehn Mal pro Jahr zum Arzt
Seit der Einführung des Internets konnte in Deutschland eine Zunahme von Arztbesuchen verzeichnet werden. Aktuell gehen Deutsche im Durchschnitt zehn Mal pro Jahr zum Arzt – Zahnarztbesuche sind da noch gar nicht berücksichtigt. In anderen westlichen Ländern ist dieser Wert wesentlich niedriger. Das liegt vor allem an einer kleinen Gruppe von Menschen: Denn knapp 16 Prozent der Patienten sind für die Hälfte der Arztbesuche in Deutschland verantwortlich.
Oft hätte das mit gewissen Persönlichkeitseigenschaften zu tun, sagt Allwang. „Manche Menschen sind einfach ängstlicher als andere und brauchen viel Rückversicherung, um keine Panik zu bekommen.“ Doch es gebe auch Patienten, die Ängste entwickeln, weil sie in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen gemacht haben. „Da reicht es oft schon, wenn man im Umfeld mitbekommen hat, dass eine ernsthafte Erkrankung erst spät entdeckt wurde. So etwas kann Menschen, die zu hypochondrischem Verhalten neigen, ganz besonders triggern.“
Der Alltag muss funktionieren
Doch nicht jeder, der hin und wieder Symptome googelt, leidet gleich an „Cyberchondrie“. Wie bei den meisten psychischen Phänomenen gilt: Erst wenn der Alltag durch das Verhalten maßgeblich beeinträchtigt wird, sollte professionelle Hilfe in Anspruch genommen werden. Das bestätigt auch Christine Allwang: „Sobald ich merke, dass mein Tagesablauf eingeschränkt wird, ist Vorsicht geboten.“
Angehörigen empfiehlt die Medizinerin, das Problem offen anzusprechen. „Ich würde versuchen, mit dem Betroffenen ins Gespräch zu kommen und Unterstützung anzubieten. Manchmal hilft es schon, wenn die Person merkt, dass jemand für sie da ist und bei der Suche nach Hilfe unterstützt.“ Reicht das nicht, sollte man sich um psychologische Beratung kümmern.
ANNA TRATTER